Casper: So war es bei der Weltpremiere von „Alles war schön und nichts tat weh“
Das östliche Oberschöneweide ist normalerweise nicht der Teil von Berlin, den die Musik- und Medienmeute regelmäßig frequentiert. Und trotzdem war die Location für Caspers außergewöhnlichen Livestream samt Publikum gut gewählt: Nicht nur, weil es Platz braucht, wenn man als Künstler elf Songs in elf unterschiedlichen Kulissen am Stück performen will, sondern auch weil das Kulturquartier „Mahalla“ ein gelungenes Beispiel sein könnte, wie man riesige Industrieflächen kreativ nutzbar macht. In den lange Jahre leerstehenden, ehemaligen Maschinenhallen des Kraftwerks Oberspree will der Künstler und Regisseur Ralf Schmerberg in den nächsten Jahren Kunst, Konzerte und Kultur ansiedeln und das Areal dafür auf 20 Jahre gemietet – ob und wie gut das in den nächsten Jahren klappt, wird sich noch zeigen.
Wer zu Caspers Weltpremiere eingeladen war (die natürlich unter 2G+-Bedingungen mit aktuellem Tagestest stattfand), oder als Fan bei der Verlosung auf seinem Instagram-Account gewonnen hatte, merkte schnell, dass man es nicht mit einer gewöhnlichen Konzertsituation zu tun hatte. Das Publikum – rund 200 Fans, Mediennasen, Freund:innen des Hauses und des Künstlers – hatte eher eine Art Seitentribüne, von der man mal mehr, mal weniger Einblicke in die Sets hatte. Aber der Sound kam durch und die Bilder gab es auf einem großen Fernseher – was einen interessanten Effekt hatte. Man fühlte sich eher wie bei einem betreuten Set-Besuch, oder als gäbe es einen MTV-Vergnügungspark, bei der als Showelement Musikvideos gedreht werden.
Das wurde vor allem dann spannend, wenn die Sets und damit auch Casper und seine Gäste ganz nah ans Publikum rankamen – zum Beispiel beim zweiten Track „Lass es Rosen für mich regnen“, bei dem plötzlich Vincent Waizenegger von Provinz in Griff-Weite um Casper herumtanzte und aus voller Kehle seinen Part grölt, während die beiden im Licht geparkter Autos den Bühnennebel zertreten. Am Ende des Liedes schießen plötzlich an anderer Stelle Flammen in die Luft, während Lena Meyer-Landruth vor dem Feuer stehend ihren kurzen Part singt. Ein fast surrealer Auftritt. Hatte man das wirklich gerade gesehen? Tuas Gastspiel, in einem recht gruseligen Waldgewirr war, dann leider eher auf dem Bildschirm zu erkennen. Da hätte man gerne zwischen den Lianen gestanden.
Ein Lied im Zeichen des Krieges
Natürlich gab es an einem Tag wie gestern, der vom Angriff Putins auf die Ukraine geprägt war, viele, die mit gemischten Gefühlen kamen – oder gar zuhause blieben. Die seltsame, manchmal fast schuldbewusste Stimmung zeigte sich in vielen Gesprächen und hatte auch zur Folge, dass man auf eine rauschende Aftershowparty verzichtete. Wer das neue Casper-Album bereits kannte, fragte sich schon, wie denn wohl der Anti-Kriegs-Song „Billie Joe“ wirken würde. Der bei K.I.Z geborgte Plastikpanzer und die als US-Soldaten verkleideten Statist:innen (die zu Teilen aus der DIFFUS-Redaktion stammten) machten die Nachrichtenbilder, die man eigentlich für ein paar Stunden vergessen wollte, präsenter denn je. Casper konnte das natürlich nicht unkommentiert lassen und sagte im Intro: „Traurigerweise ist dieses Lied heute aktueller denn je.“
Auch gegen Ende gab es eine zurückgenommene Szene, die auf diesen furchteinflößenden und verstörenden Tag einging. Arnim Teutoburg-Weiß alias Teute sang auf dem Dach eines Anhängers seinen Part in „Euphoria“ und spielte dann kurz traurig, resignier und ratlos den Refrain von Tocotronics „Nie Wieder Krieg“ an. Ein Wunsch, der Utopie bleibt – und wie auf Kommando rauscht beim Schreiben dieses Textes die Push-Nachricht der ARD rein: „Krieg in der Ukraine: Erste russische Einheiten in Kiew“.
Mehr hochkarätige Gäste!
Die explizit gesellschaftskritischen Stücke „Zwiebel & Mett (Die Vergessenen PT3)“ und „Das bisschen Regen (Die Vergessenen PT4)“ hatten einen ganz ähnlichen Effekt mit Zeilen wie „Wir fahren zur Hölle, das Ende ist nah!“ oder dem apokalyptischen Setting einer absaufenden Welt, das Casper im künstlichen Dauerregen rappte. Erst die als Clubshow inszenierte Performance von „Gib mir Gefahr“ verschaffte einem kurz Ablenkung. Hier wurde das Publikum in einen nach Live-Location aussehenden Raum gelotst, mit der Bitte für die nächsten vier Minuten so zu eskalieren, wie es in den letzten zwei Jahren selten möglich war. Auf der Bühne spielten Casper und Kummer diese wuchtige, aber im Kern sehnsüchtige Hymne auf den Exzess, während im tiefsten Bühnennebel Raja Meissner auf ihre Drumkit eindrosch. Wer sie und ihren YouTube-Channel kennt, weiß, wieviel Energie diese Musikerin in einen Raum prügeln kann. Beim Rausgehen sagte ein Fan zu seiner Freundin zufrieden und schweißtriefend: „Endlich wieder Mosphit“. Und sie grinste und sagte nur: „Isso.“
Das Ende der Performance zeigte dann noch mal die erstaunliche Klasse dieses neuen Casper-Albums: „Fabian“ wurde eher reduziert inszeniert, weil Song, Story und Sound dieses erstaunlichen Liedes kein Bühnenfeuer brauchen, um einen fertig zu machen …
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