Die 10 besten Songs 2022 international
Es ist jedes Jahr auf’s Neue ein unerbittlicher Kampf um den Titel „Bester Song des Jahres“ und eine noch schwierigeren Wahl, sich zwischen all den offensichtlichen und heimlichen Hits des Jahres für nur einen Track zu entscheiden. Deshalb haben wir insgesamt zehn Songs internationaler Künstler:innen ausgesucht, die uns in diesem Jahr bewegt und begleitet haben. Mit dabei: Beyoncé, Harry Styles, Sam Smith feat. Kim Petras, Jack Harlow, Shervin Hajipour, Dominic Fike & Zendaya, Steve Lacy, Central Cee, Lizzo und Eliza Rose.
Beyoncé – Break My Soul
In diesem Jahr war ein bemerkenswerter Trend zu beobachten: Immer mehr große Popstars nutzten reduzierte Techno- und House-Sounds für ihre Songs. Beyoncé hat sich auf dem schillerndsten Song ihres neuen Albums „Renaissance“ ganz dem Sound der großen Klassiker aus Detroit und Chicago gewidmet. „Break My Soul“ ist eine Verbeugung vor dem amerikanischen House-Erbe mit einer starken Botschaft: „Release ya anger, release ya mind / Release ya job, release the time / Release ya trade, release the stress / Release the love, forget the rest“ – „You won’t break my soul!“ Der knapp fünfminütigen Dance-Track ist einfach unwiderstehlich. Eindringender Beat, sich hochschraubende Synthies plus Rap und Gesang, die nahezu danach schreien, auf voller Lautstärke gehört zu werden. Außerdem schickt Beyoncé dank des promineten Samples von „Show Me Love“, einem Dance-Klassiker der 90er, die heute 60 Jahre alte Club-Ikone Robin S. wieder ins Rampenlicht. Die bedankte sich kurz nach Release im britischen Frühstücksfernsehen höchstpersönlich bei Beyoncé und sagte: „Das ist Robin S. und diese Nachricht geht raus an Queen Bey höchstpersönlich, Beyoncé, Jay-Z, an das ganze Team. Vielen Dank, dass ihr mir meine Blumen überreicht habt, solange ich noch am Leben bin. Ich bin geehrt und ich bin gespannt zu sehen, was noch passieren kann.“ So ist doch herrlich!
Harry Styles – As It Was
Drei Jahre lang mussten Fans von Harry Styles auf einer Durststrecke verharren, denn es gab keine einzige Veröffentlichung des ehemaligen One Direction-Mitglieds. Dafür kam Harry mit einer geballten Ladung an 80s-Synths und himmlischen Dreampop-Klängen zurück. „As It Was“ ist dabei nicht nur für uns einer DER Songs des Jahres: Unfassbare Streaming-Zahlen, etliche Social-Media-Postings und ausverkaufte Stadien, in denen die einprägsamen Zeilen mitgesungen wurden, stehen zu Buche. „As It Was“ ist ein Song, der immer und überall zum Tanzen bringt – von der kleinen Disco nebenan bis zum großen Pop-Club. Dabei versteckt sich hinter den spielerischen Melodien ein Lied über Einsamkeit, Isolation und die Zeiten, an denen die schlechten Tage zu häufig kommen: „Answer the phone / Harry, you’re not good alone / Why are you sitting at home on the floor? / What kind of pills are you on?“. Einen positiven Turn nimmt der Song am Ende dann doch, zumindest im Musikvideo. Von Tanu Muino inszeniert, sehen wir Harry Styles in verschiedenen Settings in seiner knallroten Pailetten-Montur immer wieder beim Versuch, den Kontakt mit einer anderen Person zu halten. Nur um am Ende alleine und glücklich davon zu tanzen. Harry Styles hat sich mit „As It Was“ zurück in unsere Herzen gesungen und dem Jahr 2022 seinen Soundtrack gegeben.
Sam Smith feat. Kim Petras – Unholy
Sam Smith kam in diesem Jahr nach dem letzten Album „Love Goes“ 2020, zurück. Mit einem heftigen Knall, der sich „Unholy“ nennt. Dafür schmiss sich Sam Smith in neues Gewand. Denn die klassischen Balladen-Nummern wie „I’m Not The Only One“ oder „Stay With Me“ sind erstmal Geschichte, wenn wir uns „Unholy“ anhören. Fern von Leid, hin zu Verführung und einem sexy Banger, der auch auf TikTok und Co. seine überdimensionalen Runden zog. Gemeinsam mit der deutschen, L.A.-based Künstlerin Kim Petras machte Sam Smith „Unholy“ zu einen der Songs des Jahres. In den Zeilen „Mommy don’t know daddy’s getting hot at the body shop doing something unholy“ begegnet uns ein teuflisches Lächeln gepaart mit einem Bass, der Schweißperlen erzeugt. Sam Smith und Kim Petras in neuem Vibe, dem 2022 wohl keine Boxen, Kopfhörer oder Radios dieser Welt entkamen.
Jack Harlow – First Class
Egal, ob man es nun liebt oder hasst: Kein Trend hat das Jahr 2022 so sehr bestimmt, wie das Wieder-Aufwärmen von alten Samples. Exemplarisch dafür steht hierzulande wahrscheinlich Ion Miles’ MGMT-Hommage „Powerade“, auf internationaler Ebene hat dagegen kein Weg an Jack Harlow mit „First Class“ vorbeigeführt. Denn wer dachte, dass der verschmitzte Charmeur aus Louisville mit „What’s Poppin?“ (Der Song, nicht die Kolumne) bereits den größten Hit seiner Karriere hinter sich hat, wurde hier eines besseren belehrt. Und das liegt nicht zuletzt vor allem an Fergie, die mit ihrem 2006 erschienen Song „Glamorous“ das zentrale Single für „First Class“ beisteuert. Ein gewisser Hit-Faktor war also bereits von vornherein gegeben, trotzdem haben Jack Harlow und Team ihr Sample-Material ungemein kreativ verwendet. So werden Fergie buchstäblich neue Worte in den Mund gelegt und wenn Jack Harlow, den wir an anderer Stelle schonmal als das personifizierte flirty Zwinkern betitelt haben, dann noch seinen Zauber wirkt, kommt dabei ein Billboard-Hit der Kategorie extrasmooth heraus. Trotzdem an dieser Stelle der Aufruf an alle New-Wave-Deutschrapper:innen, die das gerade lesen: 2023 gerne wieder eigene Melodien. Danke.
Shervin Hajipour – Baraye
Ein ganz besonderer Song, der dieses Jahr geprägt hat, ist „Baraye“ vom iranischen Musiker Shervin Hajipour. In einem Land, in dem Unterdrückung und Gewalt an Frauen Alltag geworden sind, fand Hajipour den Mut, mit seiner Kunst einzelne Stimmen lauter zu machen. Aus Tweets über die Revolution und Wünsche von Iraner:innen setzte der Musiker die Lyrics von „Baraye“ zusammen. Binnen kürzester Zeit ging der Song viral und wurde zur inoffiziellen Hymne der iranischen Revolution. Eine Hymne mit enormer Reichweite, die auch dem iranischen Regime nicht entging. Kurz nach der Veröffentlichung wurde Shervin Hajipour inhaftiert und dazu gedrängt, sich von dem Song zu distanzieren. Doch der Song war bereits da und wurde weiterhin gehört, geteilt und gecovert. Die Welt hatte ihn bereits gehört. „Baraye“, was übersetzt „für“ oder „wegen“ bedeutet, wird trotz Internetsperre im Iran weitergetragen, so lange, bis die Frauen im Iran wieder gehört werden.
Dominic Fike & Zendaya – Elliot’s Song
Auch wenn die Szene im Finale der zweiten „Euphoria“-Staffel ein wenig konstruiert wirkte und überhaupt das Storytelling und das Drehbuch immens gelitten haben, weil sich Showrunner Samuel Levinson zusehend auf die Showwerte konzentrierte, hat uns diese Folge einen wunderschönen Song geschenkt. Dominic Fike alias Elliot sitzt dabei in seinem Zimmer und versucht, sich mit einer kleinen Ballade auf die Freundschaft bei Zendaya alias Rue zu entschuldigen. Bei der Studioversion singen die beiden am Ende, was diese mit Labrinth geschriebene Akustikversion noch einen Tacken besser macht. „You and my guitar /I think you may be my only friend / I gave it all to see you shine again / I hope it was worth it in the end“, singt Dominic Fike dabei, der ein großer Gewinn für den Cast von „Euphoria“ ist und ja selbst schon eine amtliche Songwriter-Karriere am Laufen hat. Am Ende der Szene ruht die Kamera auf Rues Gesicht. Man sieht, wie sie traurige lächelnd mit den Tränen kämpft, sich diese Blöße aber vor Elliot nicht geben will. „I am still working on it“, sagt Elliot. Und Rue flüstert: „I like it.“
Steve Lacy – Bad Habit
„Damn I ain’t even have to change“, so kommentiert Steve Lacy mit Lach-Smileys seine erste Nummer 1 in den amerikanischen Billboard Charts. Und im Grunde genommen hat er damit absolut recht: Seine Hit-Single „Bad Habit“ fügt sich nahtlos in die Diskographie ein, die sich der 24-jährige seit 2015 aufbaut. Schon zuvor hat er sich als Gitarrist bei The Internet und als umtriebige Figur im Umfeld der Odd Future-Crew einen Namen gemacht, bis er sich dann in den vergangene Jahren zunehmend auf eine Solo-Karriere fokussiert hat. Seine bisherigen Projekte und Singles klingen nach dem alternativem RnB-Entwurf, für den auch Frank Ocean gefeiert wird, eingefärbt mit Lo-Fi-Produktion und Lacys einzigartigem Gitarren-Sound. Und eigentlich macht sein aktuelles Album „Gemini Rights“ da nicht besonders viel anders, aber irgendwie scheinen diesmal alle Sterne richtig zu stehen. Und so wurde „Bad Habit“ trotz einer Spielzeit von fast vier Minuten und einer ungewöhnlichen Songstruktrur wider Erwarten zum großen TikTok-Hit, der in diesem Herbst in keiner Playlist fehlen durfte.
Central Cee – Doja
Wir haben in diesem Jahr nur wenige Zeilen gehört, die gleichzeitig so kontrovers wie auch humorvoll wie die folgende sind: „How can I be homophobic? / My bitch is gay“. Einen plakativeren Einstieg in seine Hitsingle „Doja“ hätte der Londoner Senkrechtstarter Central Cee wohl kaum wählen können. Dass der Song aber auch über die Drill-Szene hinaus so großen Anklang findet, war wohl kaum abzusehen. Aber hier hat eben alles gestimmt: Der simple Beat, die Attitüde, die kleine aber feine Prise Humor, die sonst im grimmigen britischen Straßenrap oft fehlt. Nicht zuletzt kommt „Doja“ auch einfach zum richtigen Zeitpunkt: Drill steht auf seinem absoluten Zenit und nie lag das Interesse der globalen Rap-Szene mehr auf dem Vereinigte Königreich als jetzt. Das ist der Pionierarbeit von Größen wie Skepta, Stormzy und Dave anzurechenen – und eben nicht zuletzt auch jungen Talenten wie Central Cee.
Lizzo – About damn time
Lizzos Musik empowered – in den letzten wie auch diesem Jahr. „About Damn Time“ ist davon nicht auszunehmen. Mit positiven Vibes verleitet Lizzo einfach zum Tanzen, wenn es „bad bitch o’clock“ schlägt. Das Self-Embracement der Künstlerin schlug Wellen, die quer durch die Social Media Plattformen zogen. Die Zeilen „In a minute / I’ma need a sentimental / Man or woman to pump me up …“ sollten also von jeder/jedem, die/der einen Social Media Account besitzt, mühelos zu Ende gebracht werden können. Lizzo schafft dabei etwas, das von feministischer Kraft nur so strahlt. Wir erinnern uns zurück an ihre Single „Truth Hurts“, die mit gleicher Attitude die Lyrics verkörperte. „About Damn Time“ verdeutlicht dabei erneut das Markenzeichen von Lizzo, bei dem wir uns am liebsten selbst umarmen und einfach nur feiern möchten. Ein Track, den die Menschheit definitiv gebraucht hat.
Eliza Rose & Interplanetary Criminal – B.O.T.A. (Baddest Of Them All)
Die schönste Hymne auf das Nachtleben, die wir 2022 gehört haben: „B.O.T.A. (Baddest Of Them All)“ von Eliza Rose und Interplanetary Criminal. Dabei hatte letzterer das Instrumental für den Song quasi schon fertig, zeigte es aber Eliza Rose, die „B.O.T.A.“ dann um ihre Vocals und damit einen ganz eigene Note ergänzte. „Als ich den Beat zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich sofort an meine Kindheit in den 90ern und die Bubblegum-Tanzmusik aus dieser Zeit erinnert.“, erzählt die Produzentin, Sängerin und DJ aus London. Diesen ersten Eindruck hat Eliza Rose gekonnt in ihren simplen, aber eingängigen Text gelegt: „Do you wanna dance, baby? / I know you see me lookin‘ at you on the daily / Ooh, I’m in a trance lately / I need something to wake me up, something to faze me“. Gemeinsam mit dem fröhlich blubbernden House-Beat sorgt Eliza Rose für Schmetterlinge im Bauch, dieses nervöse Kribbeln wenn man zu dieser einen Person rüberschaut oder vielleicht auch einfach nur in der Schlange vor der begehrten Clubtür steht und drauf und dran ist, sich in eine Nacht voller unbegrenzter Möglichkeiten zu stürzen.
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