Dieser eine Song: Haftbefehl – 069
Während Haftbefehl mit seinen ersten Alben noch gegen viel Widerstand in der Deutschrap-Szene ankämpfen musste, brachte ihn „Russisch Roulette“ 2014 bis in die Feuilletons. Bis heute gilt das Album als Meilenstein, der Straßen-Rap salonfähig machte und bis heute aufstrebende Artists inspiriert. Wie um zu beweisen, dass er seine Wurzeln nicht vergessen hat, feuerte Haftbefehl nur ein Jahr später sein „Unzensiert“-Mixtape hinterher – und damit auch die vielleicht mächtigste Hymne, die einer deutschen Stadt je zu Teil wurde. Welcome to 069!
Aus Hatern werden Fans
Haftbefehl gehört zu Frankfurt am Main wie die EZB und der Ebbelwoi. Dabei kommt der Azzlacks-Chef eigentlich aus dem direkt angrenzenden Offenbach, dem er schon auf seinem ersten Album die Ode „Sommernacht in Offenbach“ gewidmet hat. Als Haftbefehl 2010 in der deutschen Rap-Szene aufschlägt, hat er bereits Frankfurter Legenden wie Jonesmann, Azad und Chaker im Rücken. Trotzdem strampelt der damalige Newcomer erstmal gegen viel Hate an. Damalige Szenegrößen und Influencer wie JuliensBlog (uff…) kritisieren die Kopf-durch-die-Wand-Attitude, die Haftbefehl mitbringt und seinen Slang, der sogar titelgebend für sein zweites Album wird: „Kanackis“.
Zwei Jahre später erscheint der Nachfolger „Russisch Roulette“ – und pustet alle Vorbehalte im Handumdrehen um. Das Album wird ein moderner Deutschrap-Klassiker, der die anspruchsvolle Produktion von Bazzazian mit einem schnörkellosen Abbild von Haftbefehls Lebensrealität kombiniert. Darauf enthalten sind zeitlose Stücke wie „Ich rolle mit meim Besten“, „Lass die Affen aus dem Zoo“ und natürlich die „1999“-Parts. Aber das ist eine andere Geschichte für einen andere „Dieser eine Song“.
Unzensiert und unverkopft
Nach seinem Magnum Opus scheint Hafti im Modus für Randale zu sein, statt sich an die gerade gewonnenen Feuilleton-Schreiberlinge anzubiedern. Nur ein Jahr nach „Russisch Roulette“ veröffentlicht er „Unzensiert“ – ein brachiales Mixtape, auf dessen Cover er als Malcom X hinter dem Vorhang posiert und auf dem er sein gesamtes damaliges Umfeld versammelt. Mit Celo & Abdi, Olexesh, Soufian, Capo, Hanybal und sogar Moses Pelham rekrutiert Haftbefehl quasi jeden, der damals in Frankfurt und Umgebung Rang und Namen hat. Im Gegenzug beschenkt er seine Heimatstadt mit einer Lokal-Hymne, die die Deutschrap-Szene wie ein Erdbeben erschüttert.
Räubermusik
„069“ ist an die Vorwahl von Frankfurt am Main angelehnt und zeichnet die passenden Bilder zur „Stadt mit der einzigen Skyline Europas“, wie Vega sie einmal beschrieben hat. „Die Banken kratzen an den Wolken / Ich mich am Yarak / Wie komm ich an Euros?“, rappt Haftbefehl, ein obszönes, am gerade deswegen so starkes Bild von den extremen Kontrasten in Frankfurt. Dazu schmettert ein Beat von seinem langjährigen Wegbegleiter Bazzazian, der schon damals eine eigene Handschrift mitbringt und perfekt die goldene Mitte zwischen klassischem Rap und den ersten Trap-Sounds findet, die damals gerade aufkommen.
Die Hook ist ganz Hafti: Ein bisschen all over the place, manisch und unique. „Das ist für die Azzlacks, für die Straßenninjas / Für die mit den Skimasken auf den Motorrad Ninjas / Warum kommt Hafts Album denn schon wieder im Winter? / Das ist Räubermusik und da wird’s früher dunkel, was ’ne Frage, behindert?“. An diesen Leitspruch hält sich Hafti Abi auch fast zehn Jahre später noch – zumindest kam sein letztes Werk „Mainpark Baby“ pünktlich zum 1. Dezember. Und auch wenn man es gerade noch nicht wahrhaben möchte: Die Tage werden ja gerade schon wieder langsam aber sicher kürzer – es wird also dringend Zeit für neue Räubermusik.

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