Empfehlung des Tages: Mola – Enfant Perdu (im Original von Wolf Biermann)
Mit Molas „Enfant Perdu“ kommt heute der siebte Vorabsong aus dem Album „Wolf Biermann RE:IMAGINED – Lieder für jetzt!“, das am 15. November auf dem Label Clouds Hill erscheinen wird. An diesem Tag feiert der politische Liedermacher seinen 88. Geburtstag. Auch bei Molas Version wird wieder deutlich, wie zeitlos seine Lieder in neuer Spielart klingen – obwohl Biermann textlich ja immer sehr nah am politischen Geschehen seiner Zeit war und hier Namen von DDR-Intellektuellen nennt, die jüngeren sicher nicht mehr geläufig sind.
Wer den Liedermacher und Lyriker bisher nur vom Hörensagen oder aus der Plattensammlung der Eltern oder gar Großeltern kennt: Wolf Biermann ist nicht weniger als eine Ikone der deutschsprachigen Musik und der innerdeutschen Protestbewegung. Als kommunistischer Jugendlicher siedelte er 1957 in die DDR über, weil er glaubte, dort könne man ein besseres Deutschland aufbauen. Eines, das nicht – wie im Westen – von vielen Ex-Nazis geleitet wurde, die ganz plötzlich unter Amnesie litten und sich an ihre SS-Zeit nicht mehr erinnern mochten.
So ganz ging die Sache dann ja leider nicht auf: Über die Jahre wurde Biermann zu einem scharfen Kritiker der SED und DDR und wurde 1976 quasi aus dem Land geschmissen. Nach einem Konzert, für das er nach Köln reisen durfte, verweigerte ihm die DDR die erneute Einreise. Danach war er zum Beispiel Teil der Frieden- und Anti-Atoms-Bewegung der BRD. Auch heute noch ist Wolf Biermann ein meinungsstarker Künstler, der erst kürzlich für Diskussionen sorgte, weil er scharfe Worte gegen das Bündnis Sarah Wagenknecht und die AfD fand. Sein Fazit: „Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus.“
Mit dem kommenden Sampler „Wolf Biermann RE:IMAGINED – Lieder für jetzt!“, der Mitte November erscheint, kann man die besten Lieder seines Schaffens nun völlig neu entdecken. Die ebenso simple wie schöne Idee: jüngere Acts covern Biermann-Classics. Haiyti, Betterov, Bonaparte und Alligatoah haben zum Beispiel schon gezeigt, wie gut das funktioniert. Nun ist die Münchener Band Mola um Sängerin Isabella Streifenede dran und nimmt sich das hochpolitische „Enfant perdu“ vor. Benannt nach einem Gedicht über den Kampf für die Freiheit von Heinrich Heine, entstand der Song nach der Flucht des Schriftstellers, Malers und Komponist Florian Havemann nach Westdeutschland. Biermann sah darin einen Verrat an all jenen, die versuchten, die DDR wirklich zu verändern. Sein Urteil: „Wer abhaut aus dem Osten, / der ist auf unsere Kosten / von sich selber abgehaun“. Außerdem singt Biermann über Florian Havemann: „dort macht er den linken Clown“. Der Geflüchtete war der Sohn von Biermanns gutem Freund Robert Havemann, der ebenfalls die DDR offen kritisierte.
Molas Version ist nun ein fantastisches Update: Isabelles raue Stimme gibt der Erzählung eine völlig neue Note, der Bass einen federnden Schritt und die wavigen E-Gitarren in der zweiten Hälfte eine ganz eigene Stimmung. Auch die „Enfant Perdu“-Rufe im Chorus haben einen schönen Punch. Was Biermann in seiner Autobiografie sein „großes Kummerlied“ für seinen Freund Robert Havemann nennt, klingt hier nicht mehr ganz so wehmütig.
Mola, bzw. Isabella sagt über Biermann und ihre Beteiligung an dem Projekt: „Ich glaube, Biermann bleibt immer aktuell, weil es damals wie heute für Künstler:innen ganz schön mutig ist, politisch Stellung zu beziehen. Gerade popkulturell sind die Leute damit oft eher zurückhaltend, weil man Angst hat, jemandem damit auf die Füße zu treten. Wolf Biermann hat Mut gezeigt hat und seine politische Haltung geäußert. Er ist damals ein großes Vorbild dafür gewesen, dass man sich traut auch seine Meinung in Kunstform zu äußern – und er ist es heute auch immer noch.“

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