Erste Single zum neuen Album von Casper: Wer ist „Emma“?
Als nach der Albumankündigung die erste Aufregung verklungen war, fragte man sich schnell: Wie wird dieses neue Projekt, das da auf uns zukommt, denn nun klingen? Schließlich hatte Casper 2022 mit „Alles war schön und nichts tat weh“ ganz schön vorgelegt und intimste Gedanken Seite an Seite mit großen gesellschaftlichen Themen in seinen hymnischen Sound gepackt.
Das Cover des Nachfolgers „Nur Liebe, Immer.“ – ein altes Polaroid-Foto, das den Rapper als Kind zeigt – verspricht eine Platte, die erneut tiefe Einblicke in Caspers Innenleben gewährt. Und tatsächlich eröffnet er diese neue Ära mit einem melancholischen Song, der Altbekanntes mit neuen Einflüssen kombiniert.
Casper, der Sänger
So schlägt „Emma“ zu Beginn auffällig ruhige Töne an. Eine akustische Gitarre wird gezupft, von Fingern, die hörbar über die Saiten gleiten. Diese intime Beschaffenheit erinnert beinahe an den frühen, folkigen Bon Iver, der ja seinerseits schon Musik für seine „Emma“ geschrieben hat. Überraschend wird es, sobald Casper den Mund aufmacht – denn tatsächlich rappt er hier nicht, sondern singt. Auch wenn er solche Tendenzen bereits auf „Alles war schön…“ gezeigt hatte, ist es doch das erste Mal, dass wir Casper in dieser Form hören. Mit einer Stimme, die eher fragil klingt als nach dem kratzigen Ton, für den er bekannt ist.
Künstliche Euphorie
„Ich kann dich verstehen / Bist so müde, dass du nicht schläfst / Bist verloren und ist schon okay / Emma, Emma“, heißt es gleich zu Beginn. Aber wer ist denn nun diese Emma? Wer zwischen den Zeilen liest oder sich gerne mal im Nachtleben herumtreibt, steigt schnell dahinter, dass es sich hier nicht unbedingt um eine Person handelt. Die „Augen wie ein Diamantenring“, von denen Casper singt, das betäubte Körpergefühl, die Verzücktheit, all das verweist darauf: Emma ist als Personifikation der Party-Droge MDMA zu verstehen, die so auch gerne mal in der Rave-Szene betitelt wird.
Zwei Seiten einer Medaille
In diesem Kontext besonders spannend: Casper greift hier einige Textzeilen aus „Euphoria“ wieder auf, seinem gemeinsamen Song mit Beatsteaks-Sänger Teute, der sich auf seinem letzten Album fand. Schon damals konnte man aus diesem sehr schönen und experimentellen Stück heraushören, dass die titelgebende Euphorie chemische Ursprünge hat. So heißt es in „Euphoria“: „Mit Godspeed in Zeitlupe durch die Sommernacht / Pupillen groß wie der Mond, sind bis in die Fingerspitzen angespannt / Sie sagt, wie lebendig sie wär’ / Hellwach, doch spürt ihre Hände nicht mehr“.
Im Vergleich dazu die Pre-Hook von „Emma“: „Und sie meint, wie lebendig sie wär / Hellwach, doch spürt ihr Gesicht nicht mehr“. „Emma“ scheint also so etwas wie die Kehrseite von „Euphoria“ zu sein. Statt sich der universellen Liebestrunkenheit hinzugeben und eins mit dem Gras im Park zu werden, mahnt Casper hier vor Eskapismus, aber scheint diesen auch zu verstehen.
Zurück ins Hinterland
Später schwillt der Song dann noch zur vollen Stadion-Größe an, mit lautem Schlagzeug-Getöse, das uns zurück ins „Hinterland“ oder gleich zu „XOXO“ befördert. Trotzdem schwingt da eine gewisse Verträumtheit mit, die den lärmenden Ausbrüchen ihre Schärfe nimmt. Am Ende lässt uns der Song wieder mit einer einsamen Akustikgitarre und vielen Fragen zurück: Wer ist denn nun die Person, die im Song mit künstlicher Ekstase vor der Wirklichkeit flüchtet? Liegt diese Episode in der Vergangenheit, steckt sie mitten drin, geht es ihr gut? „Emma“ stimmt nachdenklich und regt allerlei Eigeninterpretationen an. Der Song verknüpft lyrisch geschickt das vorangegangene und das kommende Album, und als Casper-Fan findet man sich im akustischen Indie-Sound sofort wieder. Trotzdem scheint dieser seit dem letzten Jahr weiter gereift zu sein.
Verliebt in die Stadt, die es nicht gibt
Mehr Einblicke in diese Entwicklung gibt es dann natürlich beim Release am 24. November. Und für das folgende Jahre könnt ihr euch sogar auch schon einen Termin im Kalender eintragen: den 15.06.2024. Denn laut Instagram-Ankündigung spielt Casper an diesem Tag das einzige Konzert zu seinem Album – das „Verliebt in die Stadt, die es nicht gibt“ Open Air in, wie sollte es auch anders sein, seiner Heimatstadt Bielefeld. Tickets dafür gibt es ab Freitag, 18:00, hier zu kaufen.
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