Frustration als Motivation: Jassin zwingt uns zum Reality Check
Deuschrap kann auch deep. Keine neue Erkenntnis, wenn man sich die Diskografien von Casper, Prinz Pi und Co. vor Augen ruft, die um 2010 in Deutschland den Weg für gefühlvollen, inhalsstarken Rap freigemacht haben. Artists wie Levin Liam, Apsilon, Schmyt oder Paula Hartmann beschreiten diesen Weg seit geraumer Zeit erneut und lassen in ihrem Indie-Rap-Mix starke Gefühle über Themen der Gesellschaft und vor allem auch Gedanken über die politische Situation in unserer Welt zu.
Ein Newcomer, der diesen Strom nicht nur mitschwimmt, sondern bereits in seinen ersten künstlerischen Atemzügen zu seiner Königsdisziplin macht, ist Jassin. Wie aus dem nichts ist er auf der Bildfläche erschienen und hat sich mit seinem jetzt schon legendären Auftritt bei der Berliner Konzertreihe Unreleased Berlin zum Talk of Town gemacht. Dort wurde ihm auf Wunsch des Publikums als erstem und bisher einzigem Artist die Ehre einer Zugabe zuteil – und das ohne einen einzigen veröffentlichten Song.
Viel bekannt ist nicht über den Newcomer, außer das, was aus seinen mittlerweile drei veröffentlichten Songs hervorgeht: Jassin ist frustriert. Über den Rechtsruck in Deutschland, die Situation in der Welt und die zugespitzten Zustände in der dörflichen Provinz von Sachsen-Anhalt, wo er herzukommen scheint.
In seinen Lyrics wirft uns Jassin die Realität schonungslos vor die Füße. „In dieser Welt gehen ein paar hundert Mios für einen Fußballspieler drauf / und ein paar hundert Mio Menschen wegen Hungersnöten auch“, so zum Beispiel ein Auszug aus „Bind mir die Augen zu“. Seine zweite Single veröffentlicht Jassin im Juli, geschrieben hat er sie aus einem Gefühl der Frust und Ohnmacht angesichts der Ergebnisse der Europawahl.
Düsterer Sound auf mächtigen Beats
Der Sound dazu ist passend düster und wird begleitet von schweren, mächtigen Beats auf die der Newcomer stellenweise singt oder rappt. Düster ist auch die Stimmung der Debüt-Single „Wellness am Scherbenmeer“, in der Jassin von persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und schwierigen familiären Verhältnissen berichtet.
Nun folgt an diesem Wochenende die neue Single „Duftkerzen“ und wir erfahren ein kleines bisschen mehr über Jassin und seine Frustration: „Ja, mein Papa wohnt im Block, doch hat einen Kleingarten / Die Nachbarn wechseln von FC Bayern zu Reichsflaggen / Das nicht die Welt, nein, das sind ostdeutsche Kleinstadtsachen“. Auf seiner dritten Veröffentlichung gewinnt Jassin einen bitteren Galgenhumor dazu, wenn es im Refrain heißt: „Ja, ich sitz‘ mit meinen Leichen im Keller und mache Duftkerzen an“.
Worte, wo vielen die Sprache fehlt
Feelgood-Musik ist es nicht gerade, womit Jassin gerade ganz Rap-Deutschland in seinen Bann zieht. Aber vielleicht ist es gerade auch einfach nicht die Zeit für Friede, Freude, Eierkuchen. Vielleicht braucht es Künstler wie Jassin, die schonungslos aufzeigen, dass gerade vieles so gar nicht okay läuft und es in Ordnung ist frustriert zu sein. Der Newcomer spricht wohl vielen gerade aus der Seele und findet Worte, wo viele keine mehr haben – man muss also kein:e Hellseher:in sein um zu sagen: Jassin sollte man die nächsten Monate im Auge behalten.
Das neue DIFFUS Print-Magazin
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