Hard In Here – diese Metal-Alben musst du 2023 hören
Liturgy – 93696 (VÖ 24.3.)
Liturgy testet von Beginn an die Grenzen dessen aus, was Metal ist und sein kann. Als Solo-Unterfangen von Ravenna Hunt-Hendrix gestartet, ist das Projekt mittlerweile auf allen Ebenen massiv gewachsen – so weit, dass mit „93696“ bald ein maximalistisch-komplexer Bombast zwischen Extreme Metal, Art Rock und Klassik erscheint, der musikalisch und konzeptuell für einiges Kopfkratzen sorgen dürfte. Es geht um philosophische und theologische Fragen – kosmische Liebe, die Apokalypse, Metamorphose, das Weibliche,… Ein Album, das schlicht zu groß für einfache Beschreibungen ist. Muss man hören.
BIG|BRAVE – nature morte (VÖ 24.2.)
Als ich vor etwa sechs Jahren erstmals BIG|BRAVE gehört habe, eröffnete sich für mich eine ganze neue Welt: Wie dieses kanadische Trio mit seinen Instrumenten umging und Sängerin Robin Wattie ihre Stimme einsetzte, war eine regelrechte Offenbarung. Seitdem hat die Band drei sehr gute Alben veröffentlicht, ihr kommendes Release „nature morte“ könnte jedoch glatt mein neuer Favorit werden. Bekannt für ihren Distortion- und Drone-Worship, haben BIG|BRAVE hier eins ihrer härtesten Alben aufgenommen, das dabei jedoch nicht an Dynamik und Emotion verliert.
Fågelle – Den svenska vreden (VÖ 27.1.)
Fågelle bewegt sich weniger in Genres als in Stimmungen und Soundscapes: Die schwedische Singer/Songwriterin lässt sich vielleicht am ehesten im Experimental-Dark-Pop verorten, durch ihre Auftritte auf dem Roadburn Festival und mit BIG|BRAVE hat sie sich 2022 jedoch fest im Heavy-Kosmos verankert. Ihre detaillierten Klangkulissen schmückt sie Field Recordings, Noise und Electronica aus und schickt mit ihrem zweiten Album „Den svenska vreden“ eines der spannendsten Releases 2023 ins Rennen.
Dawn Ray’d – To Know The Light (VÖ 24.3.)
Man muss den folkloristisch angehauchten Black Metal von Dawn Ray’d nicht geil finden, um zu erkenne, dass die Szene ohne sie definitiv ein schlechterer Ort wäre. Das britische Trio hat quasi im Alleingang die lange in den dunklen Ecken des Genres versteckte linkspolitische Red-And-Anarchist-Black-Metal-Bewegung in den Metal-Mainstream gehievt, die dem rechten und „unpolitischen“ Szene-Schmutz die Stirn bietet. Von ihrem dritten Album „To Know The Light“ wurde noch nichts veröffentlicht, ich freue mich jedoch schon wieder auf anarchistische Protestlieder mit Blastbeats und Geige.
Esben And The Witch – Hold Sacred (VÖ 12.5.)
Esben And The Witch waren im Laufe ihrer fast 15-jährigen Karriere schon vieles: Witch-House-Hype-Act, Post-Rock-Sensation, Grenzgänger:innen zwischen Dream Pop, Post-Punk und Post-Metal – aber doch immer unvergleichlich und unverwechselbar. Mit ihrem sechsten Album „Hold Sacred“ verspricht das Trio erneut Wiedergeburt und Neuerfindung: reduziert, Ambient-lastig und erstmals ohne Drums. Erste Höreindrücke davon gibt es leider noch nicht, dafür umso mehr Zeit sich in ihrer bisherigen Diskographie zu verlieren.
Stormo – Endocannibalismo (VÖ 10.2.)
Die italienische Musikszene wird im Metal- und Hardcore-Mainstream ja gerne mal übersehen, dabei hätten Bands wie Stormo definitiv viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Auf den Spuren italienischer Screamo-Ikonen wie La Quiete und Raein wandelnd, veröffentlicht das Quartett bald sein viertes Album „Endocannibalismo“ (dabei handelt es sich um das Verzehren von Körperteilen verstorbener Freund:innen und Verwandter). Wer Birds In Row mag, sollte hier reinhören.
Die besten Metal- und Hardcore-Releases 2022 findest du außerdem in der Hard in Here-Playlist:
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.

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