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Jeremias und Betroffene veröffentlichen Statements

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Content Warning: Machtmissbrauch

Die Band Jeremias ist aktuell mit heftiger Kritik von ihren Fans und vielen Kolleg:innen aus der Musikindustrie konfrontiert. Auslöser dafür ist das Musikvideo zu ihrem neuen Song „Sag mir was ich nicht weiß“, das am Freitag erschien. In den Credits taucht hier nämlich der Name einer Person auf, die im engen Kontakt zu der Band Jeremias steht und der vorgeworfen wird, ihre Macht in der Musikbranche missbraucht zu haben.

Als Reaktionen auf die Veröffentlichung des Musikvideos, sollen die Band einige verunsicherte Nachrichten und Fragen erreicht haben, warum die vier Indie-Musiker „mit einem Menschen zusammenarbeiten und diesen zudem schützen, der Vorwürfen von Machtmissbrauch ausgesetzt ist.“ Vor allem auf TikTok äußerte sich die Fanbase der Band entsetzt. Dazu nahmen Jeremias am Samstag mit einem Statement in ihrer Instagram-Story Stellung. 

In dem Statement heißt es: „Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen und möchten keine Täter schützen.“ In Zusammenarbeit mit der Agentur Same But Different befinde man sich in einem intensiven Aufarbeitungsprozess und sei „nach mehreren Wochen zu der Entscheidung gekommen, die Zusammenarbeit mit der verantwortlichen Person wieder aufzunehmen. Wir möchten allesamt Teil der Lösung sein und sind der festen Überzeugung, dass diese zweite Chance eine Wichtigkeit ist (…).“ 

Viele Menschen aus der Branche reagierten auf dieses Statement mit weiterer Kritik an der fortgeführten Zusammenarbeit und der Art der Aufarbeitung, die bisher vor allem intern, aber ohne Kommunikation nach außen angegangen wurde. 

Neues Statement von Jeremias

Seit gestern gibt es nun eine zweite Stellungnahme von Jeremias – und zum ersten mal auch ein Statement der Betroffenen. Beides entstand wohl in gegenseitiger Absprache, wie Jeremias eingangs schreiben. Erstmals wird auch benannt, dass es sich bei der Person, der „Manipulation, Ausnutzung von Safer Spaces und Gaslighting“ vorgeworfen wird, um einen ehemaligen Fotografen der Band handelt. Dieses Verhalten verurteilen Jeremias, stellen aber klar: „Die aktuellen Kommentare über Fälle des sexuellen Missbrauchs, die Behauptungen „Nacktfotos gegen Gästeliste“ oder mutmaßlich eingeleitete Strafverfahren sind für uns völlig neu. Sie wurden bisher nur von Dritten, nicht von den betroffenen Personen selbst erhoben. Das bestätigen auch die uns bekannten betroffenen Personen in ihrem eigenen Statement @hoert.betroffene. Hier geht es nicht darum, Erfahrungen in ihrer Schwere zu bewerten, uns ist es allerdings wichtig, bei den direkten Berichten der betroffenen Personen zu bleiben und euch darzulegen, welche Informationen uns zu welchem Zeitpunkt vorliegen.“ Die Zusammenarbeit mit dem Fotografen habe man inzwischen beendet.

Ihn überhaupt zwischenzeitlich wieder zu beschäftigen, sei ein Ergebnis der laufenden Aufarbeitung gewesen. „Unsere Einschätzung zu diesem Zeitpunkt war, dass er das grenzüberschreitende Handeln reflektiert hat und ein Umdenken bei ihm angestoßen wurde. Aus unserer Sicht hätte es strukturell nichts geändert, ihn rauszuschmeißen, sondern nur das Problem verlagert. Er hätte ohne weitere Konsequenzen irgendwo anders weiterarbeiten können, ohne zu verstehen, was an seinem Verhalten falsch war. Rückblickend wurde dieser Entscheidung nicht genug Zeit gegeben und die betroffenen Personen nicht ausreichend einbezogen. Das war ein Fehler.“

„Wir haben euren Safer Space gefährdet“

Weiter entschuldigt sich die Band für ihre vorangegangene Stellungnahme vom Samstag: „Mit unserer überhasteten und unvollständigen Stellungnahme am Samstag haben wir viele Menschen verletzt, enttäuscht und für Verwirrung gesorgt. Bei dieser Stellungnahme wurden die betroffenen Personen nicht einbezogen. Mangelnde Transparenz und fehlende Kommunikation mit unserer Community haben dazu geführt, dass wir eure Ängste nicht ausreichend gesehen und berücksichtigt haben. Wir haben euren Safer Space gefährdet. Das tut uns aufrichtig leid.“

Konsequenzen aus der Situation

In den weiteren Slides verweist die Band auf Anlaufstellen für Betroffene und fasst den Prozess der Aufarbeitung in Stichpunkten zusammen. Als Konsequenz der aktuellen Situation habe man nicht nur die Arbeit mit dem Fotografen final beendet, sondern auch das Musikvideo zu „Sag mir was ich nicht weiß“ und alle dazugehörigen Clips offline genommen. Außerdem wolle man langfristig neue Strukturen schaffen, dazu gehören unter anderem regelmäßige Fan-Dialoge, die Gründung eines Fan-Beirats und ein aktualisierter Verhaltenscodex für Band und Crew. 

Die Kommentarfunktion hat die Band unter ihrem Post „auf Wunsch und zum Schutz der betroffenen Personen […] deaktiviert.“

Statement von @hoert.betroffene

Die Gruppe von betroffenen Personen, die sich im August mit Vorwürfen gegen den ehemaligen Fotografen von Jeremias an die Band gewandt hat, hat ihr Statement auf der Instagram-Seite @hoert.betroffene veröffentlicht. Hier bestätigt man den gemeinsamen Aufarbeitungsprozess mit Jeremias und der Agentur Same But Different und reflektiert den öffentlichen Umgang mit der Situation: „Die letzten Tage waren sehr zehrend und triggernd für uns. Es ist ein schreckliches Gefühl, eine Sache, in die man selbst so sehr involviert ist, auf einmal von einer außenstehenden Perspektive betrachten zu müssen. Es ist schrecklich zu sehen, wie viele Menschen sich auf jeglichen Social Media Kanälen dazu berufen fühlen, Geschichten zu erzählen, die sie nicht kennen, und diese ohne Wissen mit unseren zu verknüpfen. Es macht Angst, Kommentare zu lesen, in denen nach Beweisen und Screenshots gefragt wird. Es macht auch Angst, schlimme Anschuldigungen und Verdrehungen unserer Geschichten zu lesen, die den eigentlichen Fokus auf die Geschehnisse verfälschen. Das führt dazu, dass Betroffene das Gefühl bekommen die eigenen Erfahrungen seien nicht schlimm genug gewesen, um daraus Konsequenzen zu ziehen.“

Die Vorwürfe

Nachfolgend schildern die Betroffenen ihre Erfahrungen: „Unsere Geschichten habe vor allem eine Komponente, die sich deckt – das Ausnutzen von Spaces und Machtgefällen durch diesen Fotografen. Fast alle von uns wurden entweder persönlich oder über Social Media kontaktiert, woraufhin das Versprechen von Jobchancen, Emotionalität oder der Nähe zu den Lieblingsbands suggeriert wurde. Fast alle wurden auf Gästelisten gesetzt, teils auch in den Backstagebereich eingeladen, und es kam außerdem innerhalb dieses Machtgefälles zu einvernehmlichen Intimitäten zwischen einigen Betroffenen und dem ehemaligen Fotografen. Die einzelnen Geschichten haben sehr individuelle Komponenten, aber was uns vereint ist der Schmerz, den sie hinterlassen haben. Andere Berichte von Betroffenen können wir aus unserer Gruppe heraus noch nicht verifizieren, aber wir glauben allen Betroffenen!“

Außerdem wird in dem Statement kritisiert, dass der Fotograf zwischenzeitlich ohne die Kenntnis der Betroffenen wieder eingestellt wurde und geäußert, dass man sich in diesem Prozess übergangen fühle. Die Vorwürfe und den Aufarbeitungsprozess habe man jetzt öffentlich machen wollen, um einen weiteren Diskurs anzustoßen und grundlegende Veränderungen herbeizuführen, die über die individuelle Situation hinausgehen. Außerdem bietet man einen Austausch über die Mail hoert.betroffene@gmail.com an, die von den bisherigen Betroffenen selbstständig verwaltet wird und eine Anlaufstelle für etwaige weitere Fälle sein soll.

Anlaufstellen für professionelle Hilfe:

Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V.

@themisvertrauensstelle

E-Mail Adresse vertraulicher Austausch mit Same But Different

austausch@diversityberlin.de

Hilfetelefon Gewalt an Frauen: 08000 116 016

Hilfetelefon Gewalt an Männern: 0800 1239900

Hilfetelefon sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530

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