Maryam.fyi über die Revolution im Iran: Ein Jahr danach. Ihr Name ist Armita Garavand!
Vor wenigen Tagen, am 01. Oktober wurde die 16 Jahre alte Armita Garavand in einer U-Bahn in Teheran wegen Verstoßes gegen die Hijab-Regeln von der Moralpolizei misshandelt. Davon habe ich keine Aufnahmen gesehen. Die Aufnahmen, die ich aber gesehen habe und die für kurze Zeit meinen Feed überlagerten, zeigten, wie eine andere Frau den leblosen Körper von Armita aus der U-Bahn zog. Und sie zeigten auch, wie Armita im Koma lag. Sie erinnern mich an die Bilder von Jina, die wir letztes Jahr gesehen haben.
Die Station, auf der Armita sich befindet, wird von Sicherheitskräften überwacht. Ihre Eltern haben im staatlichen Fernsehen ein (man ist überzeugt, dass die Aussage erzwungen ist) falsches Statement über den Verletzungshergang ihrer Tochter veröffentlicht und diesen als Unfall beschrieben.
Wir müssen uns diesen Namen jetzt alle einprägen und bestenfalls laut in die Welt rausschreien: ARMITA GARAVAND. Solange sie noch lebt, in der Hoffnung, dass sie überlebt!
Neues Gesetz, härtere Strafen
Am 21. September hat das Parlament der Islamischen Republik ein neues Gesetz verabschiedet, das härtere Strafen in Bezug auf die Hijab-Pflicht verankert. Darunter fallen beispielsweise ein zweijähriges Ausreiseverbot, bis zu zehn Jahre Gefängnisstrafe, horrende Geldstrafen und nachträgliche Einstellungsverbote in Regierungsinstitutionen. Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Ausweitung zurecht aufs Schärfste.
Immer öfter habe ich in den letzten Wochen und Monaten gelesen: „Das Stadtbild in Teheran hat sich verändert, kaum noch Frauen tragen in der Öffentlichkeit ihren Hijab vorschriftsgemäß.” Ein Wortlaut, der dem iranischen Regime nicht schmeckt und der von außen gern als Erfolg der Proteste verzeichnet wurde – zurecht. Dass dagegen jetzt aggressiv vorgegangen wird, wagte niemand zu bezweifeln und ist als Konsequenz der Hilflosigkeit und als weitere Maßnahme der Machtdemonstration des IR zur Verbreitung von Angst in Reihen des Regimes zu verrechnen. Die Bilder von misshandelten, bewusstlosen jungen Frauen im Internet tun nichtsdestotrotz jedes Mal aufs Neue weh und sind ein Schlag in die Magengrube.
Internationale Auszeichnung für AktivistInnen
Die letzten Tage und Wochen sind (eigentlich wie jede Woche seit Beginn der Proteste) für mehr und mehr von uns sehr aufwühlend. Der Rapper Saman Yasin, der keine Straftat begangen hat, sondern bloß Musik macht, sitzt dafür weiterhin im Gefängnis im Iran – und das auch leider immernoch an seinem 25. Geburtstag am 29. September. Am 06. Oktober dieses Jahres hat das norwegische Nobelkommittee die höchste internationale Auszeichnung für AktivistInnen verliehen. Die Rede zur Verleihung begann mit „WOMEN, LIFE, FREEDOM” und endete mit dem Namen „Narges Mohammadi”. Die Journalistin ist 51 Jahre alt und sitzt noch immer im Gefängnis, wurde insgesamt 13 Mal verhaftet und zu mittlerweile zu 31 Jahren Gefängnisstrafe und 154 Peitschenhieben verurteilt, weil sie zuletzt einen Folterbericht über die Geschehnisse im Evin-Gefängnis ans Licht gebracht hatte.
Schwer in Worte zu fassen
Wer sich von uns aktuell durchs Internet bewegt und Mensch ist, kann nicht unbetroffen bleiben, was sich zuerst in Israel durch die Terrororganisation Hamas und jetzt fortlaufend durch das Israelische Regime für Gräueltaten abgespielt haben und es weiterhin tun. An Absurdität und Schrecken ist das nicht zu übertreffen und für mich nur besonders schwer in Worte zu fassen, zumal ich keine Expertin auf dem Konflikt bin, auch nach Jahren, in denen ich versuche, konstant alle Nachrichten aus der Region zu verfolgen und zu verstehen.
Mein Schmerz ist mit allen, die um ihre Angehörigen und um ihre Heimat bangen, diejenigen, die auf einem Festival feiern wollten und blutrünstig umgebracht wurden. Das erwähne ich hier, weil ich nicht anders kann, aber auch, weil es wichtig ist, dass wir alle die Zusammenhänge verstehen. Nämlich den Zusammenhang dahinter, dass das Iranische Regime vor einigen Wochen erst in einem Gefangenenaustausch sechs Milliarden Dollar von den USA erhalten hat, dass das IR öffentlich die Anschläge auf Israel feiert und zugibt, die Terrormiliz „Hisbollah” im Libanon zu unterstützen.
Unsere Aussenministerin und Bundesregierung solidarisieren sich derweil völlig angemessen mit Israel und deren Bevölkerung, kritisieren aber das Iranische Regime nicht stärker und öffentlicher. Warum müssen wir darüber sprechen? Keiner weiß, wie es aktuell weitergehen wird und wie sehr sich diese Konfliktsituation noch verschärfen kann oder wird. Am besten könnt ihr auf dem Instagram-Kanal von Alena Isabelle up to date bleiben.
Mein Appell geht aber an uns alle: Lass uns unsere Bundesregierung dazu auffordern, Geschäfte mit dem IR einzustellen und eine vollständige Listung der Revolutionsgarde auf der EU-Terrorliste noch einmal zu forcieren. Mein Appell lautet auch, dass wir unserer politischen Verantwortung hier in Sicherheit gerecht werden sollten und zumindest wählen gehensollten, um zu verhindern, dass auch in unserem Land die Demokratie geschwächt werden kann.
In diesem Sinne, passt gut auf euch auf. „This too shall pass”
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