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Maryam.fyi über die Revolution im Iran: Ein kleiner Tropfen Hoffnung

Posted in: Kolumne

Den kleinen Tropfen Hoffnung suche ich immer wieder auf’s Neue. 44 Wochen sind es jetzt, in denen ich hier regelmäßig über die Gräueltaten des Islamischen Regimes gegenüber dem ganzen Volk im Iran spreche. Es scheint alles so schmerzerfüllt und hoffnungslos, aber man muss sich immer wieder daran erinnern: Die Menschen im Iran haben seit 44 Jahren darauf gewartet, dass ein Moment wie dieser eintritt. Das Momentum ist noch nicht vorbei und wird erst zum Ende kommen, wenn die Oberhäupter im Iran sich verabschieden – so rede ich es mir immer wieder ein, wenn ich durch die jüngsten Ereignisse lese und nach neuer Hoffnung suche. 

Und deshalb zuallererst ein Wake-up-Call an uns alle. Alle, die Fans, Konsument:innen, Produzent:innen und Musiker:innen sind: Der iranische Rapper Saman Yasin ist in eine psychiatrische Klinik verlegt worden, in der Häftlinge mutmaßlich gefoltert werden, nachdem er in Sprachnachrichten wiederholt hatte, dass er nicht wüsste, weswegen er inhaftiert worden sei. Sei es aufgrund dessen, dass er die Stimme der Freiheit und des Volkes war, dann sei er bereit, diese Strafe zu ertragen.

Saman Yasin ist Kurde und sein Leben ist in Gefahr. Es lohnt sich, seinen Namen, sein Bild und den Hashtag #Freesamanyasin zu verwenden, um ein kleiner Tropfen Hoffnung für Samans Leben zu sein. 

Die Waffe „Sittenpolizei“

Im Winter wurden vom Islamischen Regime News darüber verbreitet, dass die sogenannte „Sittenpolizei” im Iran abgeschafft werden würde. Dass dies aber vor allem gut gesetzte Propaganda war, die sogar von öffentlich-rechtlichen Medien hier in Deutschland übernommen wurde, sollte eigentlich damals schon allen klar gewesen sein. Jetzt wo die Proteste im Iran schon fast seit einem Jahr andauern, werden aber mit Hinblick auf den Jahrestag von Jina Mahsa Aminis Tod die Maßnahmen verschärft und es wird versucht, genügend Angst zu schüren, um die Menschen in ihren Häusern zu halten und sie mundtot zu machen. Da kommen die Mullahs nicht drum herum, ihre Waffe „Sittenpolizei“ wieder auszupacken und – wie auf mehreren Videos bereits zu sehen ist – Menschen, die eventuell ihr Kopftuch nicht richtig tragen oder anders auffällig geworden sind, von der Straße einfach mal in Vans zu zerren, zu verprügeln und willkürlich einzusperren.  

„Ich bin eine Frau. Wir haben keine Angst mehr vor euch!”

So ähnlich war es auch bei Parmida Shabazi: Sie wurde von der „Sittenpolizei“ angehalten und auf ihr schlecht sitzendes Kopftuch hingewiesen bzw. viel eher gewaltsam dazu genötigt, es enger zu tragen. In einem Video hört man sie sagen: „Ich bin eine Frau. Wir haben keine Angst mehr vor euch!” Natürlich konnte das so nicht stehen bleiben: Parmida wurde festgenommen und gezwungen, im staatlichen Fernsehen ihre Aussage zu widerrufen. #FreeParmidaShabazi 

In der letzten Woche wurden drei berühmte iranische Schauspielerinnen wegen inkorrekter Verschleierung in der Öffentlichkeit vom Richter als psychisch krank diagnostiziert und zu psychiatrischer Behandlung gezwungen oder haben eine Haftstrafe erhalten. Wie unvorstellbar sind solche Neuigkeiten? Ihre Namen sind #LeilaBolukat, #AfsanehBayegan und #AzadehSamadi. 

Die Absurdität unserer Welt

Aber kommen wir mal kurz nach Deutschland. Dass Deutschland im letzten Jahr noch immer der stärkste Handelspartner der Islamischen Republik war und dass unser Bundeskanzler Olaf Scholz nichts dafür tut, die im Iran gefangenen und gefolterten deutschen Staatsbürger #JamshidSharmahd und #NahidTaghavi zu befreien, das wissen wir mittlerweile leider alle. Was aber neu und komplett absurd noch ist, ist, dass anscheinend in Hannover (ja, genau, da zwischen Hamburg und Kassel) in einer Privatklinik der Richter Hossein Ali Naeiri behandelt wird. Er war in den 80ern Mitglied einer Kommission, die zehntausende politische Gefangene ohne faire Verfahren hinrichten ließ. 

Dieser Mann liegt also in Hannover in einer Privatklinik. Eine ganze Station wird gesperrt, um für seine Sicherheit zu sorgen, während einerseits zu geringe Pflege-Kapazitäten in unseren öffentlichen Krankenhäusern eine Normalität sind und andererseits die Menschen im Iran wegen Mangel von Medikamentenlieferungen oder vor Armut sterben (und wenn nicht so, dann werden sie in iranischen Gefängnissen gefoltert und gequält, bis sie für den Rest ihres Lebens krank sind.) Die Absurdität unserer Welt und dessen, wie wenig Interesse unsere Regierung an Menschenrechten außerhalb unseres eurozentrischen Bildes haben, nimmt einfach kein Ende. 

Jeder kleine Tropfen hilft

Was ich aber kurz vor Schluss noch sagen möchte, ist, dass ich am Wochenende beim For A Change Festival in Passau gespielt habe. Neben meinem Gig habe ich auch eine kleine Gesprächsrunde zum Thema „Frau, Leben, Freiheit – was geht mich das an” geleitet. Ich sage das nur, um zu unterstreichen: Jeder Schritt zur Unterstützung der protestierenden Menschen im Iran hilft. Jedes aufklärende Gespräch mit jemandem, der oder die vorher noch nicht wirklich wusste, was im Iran passiert, jeder geteilte Post, jeder Demo-Besuch. Alles, was ihr tut, hilft. 

Bitte, hört nicht damit auf. Wir sind alle Teil davon und können unser Privileg der Freiheit nutzen, Hoffnung irgendwie dorthin zu tragen, wo die Menschen sie dringend brauchen, um mit ihrem Leben für die Freiheit einzustehen. Jeden Tag auf’s Neue. 

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