Maryam.fyi über die Revolution im Iran: Wer ist jetzt noch Kläger und wer Verteidiger?
Heute bin ich müde. Seit fast einem Jahr gehen Menschen im Iran auf die Straßen, protestieren für Freiheit, bringen sich direkt damit in die Schusslinie der aggressiven Hand, die das iranische Regime noch immer gerade auf seine Bevölkerung gerichtet hält.
Wieviele Menschen bisher umgebracht wurden, verschwimmt. Allein im Juli wurden mindestens 61 Menschen in iranischen Gefängnissen hingerichtet. Videos darüber, wie die iranische Sittenpolizei Frauen auf offener Straße erniedrigt und Gewalt an ihnen ausübt, kursieren unentwegt.
Die Grafik zum Beitrag ist von @denakah_art und ist eine Referenz dazu, dass die junge Iranerin Kosar Eftekhari, die während den Protesten bereits ein Auge verloren hat, jetzt auch noch anderweitig verklagt und vor Gericht gezerrt wurde. Ihre todesmutige Antwort darauf war: „Mein Auge zu nehmen war nicht genug? Wer ist jetzt noch Kläger und wer Verteidiger?”
Die Zusammenhänge im geopolitischen Kontext mit den Protesten im Iran sind komplex und ich bin nicht Expertin genug, diese verständlich hier aufzudröseln, aber dafür lohnt es sich, dem Politologen Ali Fatollah-Nejad zu folgen und sich in seine Arbeit einzulesen, hier gibt es einen kleinen Einblick:
Teurer Gefangenenaustausch zwischen den USA und Iran
Was aber absurderweise passiert ist, ist, dass die US-Regierung mit dem Iran einen Deal gemacht hat. Es werden fünf inhaftierte Amerikaner im Iran freigelassen und vorerst in Hausarrest gehalten, bis von amerikanischer Seite sechs Milliarden Dollar im Austausch bezahlt werden. Kurzfristig ist das zwar nett und es ist selbstverständlich gut, dass sich Regierende für ihre Bürger:innen im Ausland einsetzen, jedoch ist der Austausch in meinem Verständnis ein Pseudo-Handel.
Die Iranische Republik wird durch so einen Handel finanziell unterstützt und kann ungestört weiter ihr Volk drangsalieren, hat neue finanzielle Mittel, um sich weiter zu erhalten und die USA können sich weiter raushalten und zurückgelehnt dabei zuschauen, wie die iranische Diktatur sich weiter behauptet.
Die Gefangenen sind seit 2018 und 2019 im Iran in Gefangenschaft. Dass jetzt dieser Gefangenenaustausch geschieht, zum selben Zeitpunkt, zu dem seit einem Jahr die Inflation im Land ins Unermessliche steigt und die Armut höher ist als je zuvor, kann kein Zufall sein.
Anfang August wurden zwei Tage spontan zu „Feiertagen” erklärt, weil die Hitze zur Verdreifachung der Zahl an Hitzeschlägen führte. Auf @iranjournal.de wird erklärt, dass auch Probleme mit der Aufrechterhaltung der Stromversorgung dahinterstecken können. Kommuniziert wurden die freien Tage aber „zum Schutz der Gesundheit der Bürger:innen”. In einigen Regionen im Iran war es mehrfach zu Temperaturen über 50(!) Grad Celsius gekommen.
Sinkendes Interesse, kaum Aufmerksamkeit
Heute kann ich keine Promi-News über die Proteste mit euch teilen. Nicht, weil ich nicht will, sondern weil es keine gibt. Das öffentliche Interesse an den Unterdrückungen, die im Iran vor sich gehen, fällt mit jedem Tag. Auch deshalb bin ich müde. Ständig sagen mir Leute: „Dass du ständig über den Iran redest ist gut, aber am Ende geht es zu wenige Menschen hier in Deutschland etwas an, um noch Interesse zu wecken.“ Und genau in solchen Aussagen liegt das Problem.
Als wir (Deutsch-Iraner:innen) vor einem Jahr angefangen haben, über die Proteste zu posten, hatten wir zu Beginn Angst. Angst davor, dass wir nie wieder ins Land einreisen können. Angst davor, dass unseren Verwandten im Iran etwas zustoßen könnte, als Konsequenz für unsere Postings. Und ein ganz kleiner Funken Angst davor, dass uns hier in Deutschland etwas zustoßen könnte – dass wir selbst hier nicht sicher sind. Und diese Angst wird wohl immer realer. Unter anderem in der Süddeutschen Zeitung habe ich darüber gelesen, dass Hackerangriffe auf Deutsch-Iraner:innen im Ausland wahrscheinlicher würden. Was für Angriffe noch passieren können, weiß ich nicht.
Das ist genau der Grund, warum diese Proteste uns alle angehen. Nur, wenn großflächig Aufmerksamkeit von vielen kleinen Instanzen erweckt wird, kann der Überblick über einzelne wenige Akteur:innen verloren gehen, kann Sichtbarkeit geschaffen werden, die der Zivilgesellschaft im Iran letztendlich signalisiert: „Ihr seid nicht alleine, wir unterstützen euren Kampf um Freiheit.” Den Umsturz müssen die Menschen dann selber schaffen, so viel wissen wir mittlerweile. Wir können nur aus der Ferne jubeln und bangen, Sichtbarkeit schaffen und versuchen, kleine Weichen zu stellen.
Und deshalb ende ich heute damit, mir zu wünschen, dass wir wieder aktiv werden. Dass wir uns Dinge einfallen lassen und spätestens am 16. September 2023, am Jahrestag von Jina Mahsa Aminis Tod, uns alle auf der Straße sehen und laut sind, um zusammen für “FRAUEN, LEBEN, FREIHEIT”, einzustehen!
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