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Maryam.fyi über die Revolution im Iran: „Zwischen euch und uns ist ein Meer aus Blut“

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 285 Tage. Wem mache ich hier eigentlich etwas vor? Jedes Mal erkläre ich hier aufs Neue, wie wichtig ziviler Aufschrei und Mühe sowie die Menschenrechtsverletzungen, die im Iran seit mittlerweile über neun Monaten geschehen, zu verurteilen, sind. Und was machen unsere Politiker:innen? Richtig, sie sitzen mit Mördern am Tisch (kein Gendern, weil im Iran sind sowieso nur Männer am Tisch) und verhandeln weiterhin über den Atomdeal, das JCPOA und legitimieren damit das iranische Regime. Es braucht einiges an Naivität und Überzeugung, trotz der schrecklichen Bilder und Nachrichten über die Geschehnisse an den EU-Aussengrenzen, den neusten Mitteilungen über militärische Angriffe in besetzten palästinensischen Gebieten und den News über die Ereignisse im Sudan zu glauben, man könne durch zivilen Aufschrei Veränderung herbeiführen. Nun ja, Naivität und Sturheit sind ja wichtige Merkmale von Virgos (me), deshalb denkt nicht, dass ich zeitnah davon ablasse.  

Was ist in den letzten zwei Wochen so passiert? 

Am 17. Juni hatten Studierende der Universität Tehran ein Statement veröffentlicht, in dem sie schreiben, dass sie sich den verschärften Kopftuchregelungen auf dem Campus nicht unterwerfen werden. „NEIN”, war ihre klare Aussage, „Zwischen euch und uns ist ein Meer aus Blut, ausser ,NEIN‘ haben wir nichts zu sagen.”, so lautete das Statement der Studierenden. 

Auf dem Campus der Uni Tehran sollen Studierende von Sicherheitskräften verletzt worden seien, sie riefen wiederholt „Nein”. Daraufhin hatten sich Studierende anderer Universitäten solidarisiert. Auch im Ausland haben sich viele Künstler:innen mit den Studierenden solidarisiert und ihr „Nein” interpretiert. So auch die in Berlin lebende iranische Künstlerin Maryam Keyhani. Ihre Arbeit habe ich hier als Beitragsbild verwendet. 

In den letzten Wochen sind Sicherheitskräfte auch immer wieder aggressiv gegen Frauen ohne Kopftuch vorgegangen. Kürzlich erst habe ich ein Video gesehen, in dem ein Aufseher in einem Universitätsgebäude eine junge Frau gewaltsam zurecht weist, weil sie kein Kopftuch trägt. Ich habe es hier verlinkt.

Und ich erwähne es deshalb erneut, weil erst letzte Woche in einem ZDF-Rundfunkbeitrag die Nachricht veröffentlicht wurde, dass der Tourismus unter den Protesten im Iran leidet und der ZDF-Reporter Jörg Brase (trotz der Reisewarnung durch das Auswärtige Amt) fast schon zum Reisen in den Iran „ermutigte“.  

Pride Month und „Sündenbock“

Nicht nur, aber auch, weil wir im Juni den Pride Month feiern und damit den Kampf für die Sichtbarkeit der LGBTQIA+ Community fortführen, erinnere ich daran, dass die LGBTQIA+ Community im Iran nicht geduldet ist. Ihre Mitglieder werden systematisch dementiert, sie werden oftmals verschleppt, misshandelt und mit falschen Beschuldigungen ins Gefängnis und dort umgebracht. Diese Vorgehensweisen und Propaganda in staatlichen Medien führen dazu, dass Familien ihre eigenen Verwandten verurteilen und ihre Lebensweisen nicht tolerieren. Der Kurde Matin Kahlilbaigi hat sich als Folge des sozialen Drucks und der Aussichtslosigkeit am Montag letzte Woche umgebracht.  

Es ist das dritte Mal, dass ich über den kleinen Jungen Kian Pirfalak spreche, den die Islamische Republik (IR) während eines Protestes erschossen hatte. Beim letzten Mal hatte die IR seine Familie bei der Geburtstagsfeier an seinem Grab drangsaliert und seinen Onkel im Anschluss verhaftet und gefoltert. Ausserdem wurde Kians Grab demoliert. Der Mann, der wegen des Mordes an Khan beschuldigt wird, quasi als „Sündenbock“ herhalten muss und der laut Aussage der Familie eigentlich nichts damit zu tun hat, heisst Mojahed Kourkour. Er ist durch die IR akut in Lebensgefahr.

Ich muss schon sagen: Eigentlich haben ich diese Kolumne mal geschrieben, um darüber zu sprechen, was die deutsche Popkultur so macht, um die feministische Revolution im Iran zu unterstützen. Ihr findet heute wenige Zeilen darüber, denn es geschieht wenig. Und das ist ja auch logisch: Alle haben zu tun, haben Projekte zu stemmen. Und Algorithmen haben auch keinen Bock auf politische Inhalte. Das heisst aber nicht, dass wir uns nicht trotzdem wieder aufraffen sollten und neue Dinge an den Start bringen müssen!

Was wir gerade tun können 

Weitermachen. Naiv und mutig bleiben. Die Slides im Internet lesen und teilen. Uns Demonstrationen anschliessen, so wie dieser hier weiter unten am 1. Juli in Frankfurt oder denen in Berlin, ausgerichtet durch Woman*-Life-Freedom.  

Das wir hier in Deutschland so sicher und frei, weit weg von alle dem Leben, ist ein Privileg, das zu Teilen sicher auch auf den Kosten anderen beruht. Doch genau deshalb sollten wir unsere Freiheit dafür nutzen, um weiter für die Freiheit anderer zu kämpfen. 

Wenn ihr verrückte Ideen und Aktionen im Kopf habt, schreibt mir doch mal.  

Taa bad. (Bis bald) 

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