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Neues Abrechnungsmodell von Spotify bestätigt – warum es für kleinere Artists Probleme bringen könnte

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Schon seitdem Spotify im Jahr 2006 das Licht der Welt erblickte, gibt es Diskussionen und Sorgen über die Auswirkung auf die Musikindustrie. Vor allem, was das Auszahlungsmodell angeht, gibt es seither Kritik von Künstler:innen. Spotify arbeitet nämlich mit einem sogenannten Pro-Rata-System. Das bedeutet, dass Artists nicht nach tatsächlichen Streams bezahlt werden, sondern nach ihrem Anteil an allen Streams. Somit bekommen viel-gestreamte Artists auch einen größeren Teil vom heißbegehrten Streaming-Kuchen. Ein System, das viele Lücken hat und dadurch natürlich auch ausgenutzt wird.

Ende Oktober 2023 wurde bereits bekannt, dass Spotify angeblich an drei Stellschrauben drehen möchte, um Streaming-Betrug einzudämmen und mehr Geld freizulegen, das an Artists verteilt werden soll. Gestern kam nun auf der „Spotify for Artists“-Seite die Bestätigung dieser Pläne. Darin erklärt Spotify, dass sie mit Industrie-Parter:innen wie Künstlervertrieben, unabhängigen Labels, Major-Labels, Vertrieben sowie Künstler:innen und ihren Teams an Lösungen arbeiten würden, um Artists mehr Geld auszahlen zu können. Diese Änderungen sollen laut Spotify in den nächsten fünf Jahren über eine Milliarden Dollar einsparen, die wiederum an Artists ausgeschüttet werden könnten. Wie diese Lösungen aussehen sollen und welche Schwachstellen dieser Plan mit sich bringen könnte, haben wir hier zusammengefasst.

Minimum von 1.000 Streams

Die erste Änderung ist womöglich auch die, die am meisten für Aufruhr sorgt. Ab Anfang 2024 wird bei Spotify pro Song ein Minimum von 1.000 Streams pro Jahr vorausgesetzt, um Einnahmen durch Streaming zu generieren. Die Kosten, die bei weniger gestreamten Tracks durch die Transaktionsgebühren aufkommen, seien in der Regel höher, als das, was ausgeschüttet wird, heißt es in der Erklärung von Spotify. Dadurch käme am Ende gar kein Geld bei den Personen an, die die Musik hochgeladen haben. Deswegen möchte Spotify diese Zahlungen in Zukunft einstellen, um das gesparte Geld an Artists zu verteilen, die mehr als 1.000 Streams erreichen. Laut Spotify sei dies jährlich eine Summe von 40 Millionen Dollar. Wie genau diese Verteilung aussehen soll, ist aktuell noch nicht bekannt.

Kritik aus der Branche

Zu dieser Argumentation wurden in der deutschen Musikszene jedoch bereits Stimmen laut. Sowohl der Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V. (VUT) und PRO MUSIK – Verband freier Musikschaffender e.V. veröffentlichten ein Statement, in dem sie diese Idee kritisieren. „Man könnte argumentieren, dass es für 1.000 Streams insgesamt keine fünf Euro gibt. Dabei bleibt aber außer Acht, dass es Künstler*innen gibt, bei denen gleich mehrere Songs in ihrem Katalog nicht diese Schwelle erreichen. Diesen Artists fehlt dann insgesamt dennoch ein nennenswerter Betrag pro Jahr“, so Christopher Annen, Vorstandsvorsitzender von PRO MUSIK und Teil der Band AnnenMayKantereit.

Dr. Birte Wiemann, Vorstandsvorsitzende des VUT gibt außerdem folgendes zu bedenken: „Seit wann darf der Lizenznehmende entscheiden, ob er die vertraglich vereinbarte Bezahlung leisten will oder nicht? Zudem gibt es ein gesetzliches Recht auf angemessene Vergütung für jede wirtschaftliche Musiknutzung.“

Der Instagram-Kanal vom Musikbranchen-Magazin „Low Budget High Spirit liefert zu dem Thema einen passenden Vergleich. Die neue Mindest-Streaming-Regelung bei Spotify sei, wie wenn der Buchladen einem Autor oder einer Autorin sagen würde: „Ah, schönes Buch, wir haben davon aber nur zehn verkauft, das ist zu wenig, deswegen behalten wir die Erlöse dieser zehn Bücher ein.“

Schluss mit White Noise

Mit der zweiten Änderung möchte Spotify den Ertrag für Non-Musik-Uploads, die nur „White Noise“ enthalten verringern. Bisher war eine Spielzeit von 30 Sekunden ausreichend, um als Stream zu gelten. Das hatte zur Folge, dass viele solcher „Songs“ auch nur 31 Sekunden lang waren, um so viel Umsatz wie möglich zu generieren. Zukünftig sollen Non-Musik-Uploads erst ab 2 Minuten Hörzeit als Stream zählen. Damit soll der Ertrag solcher Tracks um das Vierfache verringert werden.

Artificial Streaming

Die dritte angekündigte Änderung widmet sich dem sogenannten „Artificial Streaming“ – also Streams, die nicht wirklich von Menschen, sondern von Bots generiert werden. In Zukunft sollen Strafen an Labels und Distributoren rausgehen, wenn offensichtlich Artificial Streaming auf einzelnen Tracks zu erkennen ist.

Die Änderungen von Spotifys Auszahlungsmodell stehen gerade erst in den Startlöcher. Aktuell ist noch schwer absehbar, wie sich die neuen Ansätze auf die Branche, die einzelnen Artists und vor allem die kleineren Independent-Künstler:innen auswirken wird. Erst wenn diese Reformen in Kraft getreten sind und eine Weile aktiv sind, kann man wirklich absehen, wer vom neuen System profitiert – und wer in Zukunft leer ausgeht.

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