Spirituelles Chaos und industrieller Vogelgesang: Die besten neuen Metal-Releases
Agriculture – The Spiritual Sound
Was schreiben über ein Album, das uns mit so vielen Ideen und Stimmungen bombardiert wie „The Spiritual Sound“? Über die letzten drei Jahre haben sich Agriculture als eklektische Naturgewalt etabliert, die mit ihrem „Ecstatic Black Metal“ musikalische Grenzen überwindet und einreißt. Mit ihrem zweiten Album spannen sie den Bogen der Kontraste noch weiter und stellen garstigen Blackgaze, der an die düstersten Momente von Deafheaven erinnert, verträumten Shoegaze à la My Bloody Valentine, heavy groovenden Sludge und balladeske Akustikpassagen nebeneinander.
Man kann von der Ideenfülle, Dichte und Intensität von „The Spiritual Sound“ erschlagen sein – man kann sie jedoch auch als Katalysator einer spirituellen Erfahrung sehen, die alles umfasst: Chaos, Trauer, Freude, Wut, Transzendenz. Klar ist nämlich, dass die steten Windungen und Stilbrüche uns zu einem bewussten Fokus auf das Erleben der Gegenwart zwingen. Und mal ganz abgesehen davon, kann mir niemand erzählen, dass Songs wie „My Garden“ und „Bodhidharma“ nicht absolute Banger sind.
Author & Punisher – Nocturnal Birding
Ornithologie, but make it metal: Die Songs auf dem neuen Album von Author & Punisher sind inspiriert von und basieren auf den Melodien und Rhythmen verschiedener Vogelgesänge – Songtitel wie
„Meadowlark“ (Wiesenstärling), „Black Storm Petrel“ (Schwarzwellenläufer) oder „Rook“ (Saatkrähe) verraten das schon. Was gleichermaßen nerdy und hippiesk wirkt, hat einen ernsten Hintergrund: Tristan Shone sind diese Gesänge bei seiner Arbeit mit der NGO Border Angels aufgefallen, für die er mit anderen Freiwilligen Verpflegung an lebensgefährlichen Grenzabschnitten zwischen den USA und Mexiko verteilt. „Nocturnal Birding“ ist all jenen gewidmet, die an dieser Grenze ihr Leben verloren haben.
Easy Listening oder White Noise zum Meditieren sind die mechanisch pulsierenden Songs natürlich trotzdem nicht: Es ist ein starker Kontrast zwischen Natur und Technik, den Shone quasi als Mensch-Maschine mit seinen selbstgebauten Industrial-Doom-Instrumenten heraufbeschwört. Mit der Verpflichtung von Gitarrist Doug Sabolick als erstes weiteres vollwertiges Bandmitglied haben Riffs und Soli auf „Nocturnal Birding“ Einzug gehalten, die mal mehr Melodien und mal mehr sludgy Wucht liefern. Um ehrlich zu sein, hätte Author & Punisher das aber gar nicht gebraucht, um mit seinen Soundcollagen als einer der modernen Innovatoren des Industrial Metal zu gelten.
Dying Wish – Flesh Stays Together
Auf ihrem dritten Album tauschen Dying Wish blanke musikalische Zerstörungswut gegen Atmosphäre – „Flesh Stays Together“ ist gerade deswegen ihr düsterstes Album bis jetzt. Dass irgendwann die Clean Vocals aus der Trickkiste gekramt werden, scheint heutzutage ja bei so ziemlich jeder Metalcore-Band vorprogrammiert, vermutlich zementieren die Amerikaner:innen damit gerade die nächste Stufe auf den Erfolgsspuren von Spiritbox. Wir wollen uns aber gar nicht beschweren, denn ihren Biss und ihr Rückgrat haben Dying Wish trotz der großen Gesten nicht verloren und die neuen Klangfacetten, die sie hier präsentieren, stehen ihnen wirklich sehr gut.
Hier gehts zur Hard in Here Playlist:

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