Über offene Herzen und Mittelfinger an die Welt: Paula Engels mit „Kommt von Herzen“
Paula Engels streckt uns auf dem Albumcover mit dem Titel „Kommt von Herzen“ ihren Mittelfinger entgegen und hat damit eigentlich alles gesagt, was man für das Debüt der Wahl-Berlinerin wissen muss. Ein Album über das Erwachsenwerden, was sich zwischen rohen Emotionen und dem halb-gespielten Laissez-faire der 20er bewegt.
„Kommt von Herzen“ handelt von der Illusion des Erwachsenseins als Ziel, dass man irgendwann erreicht, eines Tages aber merkt, dass es dieses Ankommen gar nicht gibt und alle Erwachsenen auch noch unterwegs sind. Wie widersprüchlich dieser Gedankengang ist, zeigt Paula Engels mit „560 km“, wo sie singt, „Fünfhundertsechzig Kilometer lang / Bis nach zuhause, doch wann komm‘ ich an?“ und ihrer eigenen Antwort dann auf „Mittelfinger an die Welt“, wo sie sich selbst entgegnet: „Ich glaub‘, das ist gelogen, dass man sich irgendwann findet / Ich werd‘ nur besser, meine Angst zu überwinden“.
Über Wachstumsschmerzen und Weitergehen
Neben Pop-Songs wie „Ich fühl alles“ und „Mittelfinger an die Welt“, in denen Paula im Up-Beat-Tempo und mit Nachdruck zeigt, dass nur sie über ihr Leben entscheidet entscheidet, sind es vor allem die introspektiven Songs, auf denen Paula auf nicht kitschige Weise ihre Zerbrechlichkeit zulässt. Da ist das Herzstück des Albums, „Leere Hülle“, auf dem sie darüber gleichzeitig so zerbrechlich und gefasst singt, wie sie plötzlich in die Rolle der sich sorgenden Erwachsenden schlüpfen musste, als es ihrem Vater so schlecht ging, dass er sich „still und heimlich“ aufgelöst hat: „Zeig mir, dass da noch was von dir übrig ist / Weil ich dich vermiss‘, will mein’n Dad zurück“.
Und dann ist da „Hab dich lieb (Skit)“, auf dem das Vogelgezwitscher im Hintergrund so unschuldig daherkommt, wie die Freundschaft, die sich zwischen „Spür‘ jetzt noch Junitagе auf der Haut / Wir lagen auf verbrannten Rasen, Wassereis im Bauch“ und „Ich schreib‘ für meine Jugend Protokoll, doch hab‘ für sie gar keine Zeit“ irgendwann zu einem Nebenher- und Auseinanderleben entwickelt hat.
„Kommt von Herzen“ ist gefüllt mit Paulas zartem, hier und da gemurmeltem Gesang, dunklen Beats, elektronischen Melodien und Takten klassischer Musik, die sich zusammenziehen wie ein Himmel voll dunkler Wolken und feinen Sonnenstrahlen, die hier und da durchblitzen. In den sehr persönlichen Geschichten, die sich durch das Album ziehen, stellt sich immer wieder die Frage, wie man mit Anfang 20 solch klare Worte für diese großen und kleinen Gefühle finden kann. Es ist, als sei Paulas Wut auf dem Album Wellen, ihre Verletzlichkeit und Grübelei die Wellenbrecher. Paula Engels hat auf ihrem Debütalbum die rohen, radikalen Gefühle des Daseins als junge Erwachsene mit einem Skalpell aus dem Herzen geschnitten und fein säuberlich aufs Papier gebracht: Titel und Cover sind also Programm.

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