5 Dinge, die wir auf dem Radar Festival in Zürich gelernt haben
1. Zürich ist gar nicht so …
Zürich ist eine dieser Städte, die mit einigen Vorurteilen belegt sind – positiven wie negativen. Viele wissen, dass Zürich eine der teuersten Städte der Welt ist. Man hat vielleicht eine Postkartenkulisse vor Augen mit einem schönen Fluss, dem Alpenpanorama in der Ferne, dem Zürichsee, und der Limmat, in der von Frühling bis Herbst mitten in der Stadt geschwommen wird. Reich, überteuert und ein bisschen brav – denkt man schnell.
Wer aber zum Radar Festival kommt, das entlang der Langstrasse (in der Schweiz mag man kein „ß“) stattfindet, sieht das andere Zürich. In der Gegend ist der Kiez, sind die Absturzpinten, sind einige sehr gute Bars und Clubs. Hier ist es rough – im Guten wie im Schlechten. Die Bierpreise sind auch hier aus Berliner Perspektive eine mindere Unverschämtheit, aber das ist in der Schweiz nun mal so. Dafür gibt es hier aber viele Supermärkte und Kioske, die bis in die Nacht offen haben. Wer mit dem schmalen Student:innentaler unterwegs ist, greift halt zum Wegbier oder zum Zwischenschnapps vor dem nächsten Konzert. Überhaupt muss an dieser Stelle mal gesagt werden: Zürich ist zwar eine sehr reiche, aber auch eine sehr linke Stadt mit einer ziemlich guten Konzertdichte und vielen stabilen Clubs. Auf dem Radar kann man das in einer Nacht sehr komprimiert erfahren.
2. Viele DIFFUS-Bands hier!
Das Radar ist ein Showcase Festival für neue Musik. Hier gibt es einige sehr vielversprechende Schweizer Acts – wie zum Beispiel Milune, Nina Valotti oder Lily Claire –, aber auch haufenweise, nun ja, DIFFUS-Bands. Das ist natürlich eine ironisch anmaßende Bezeichnung. Die gemeinten Acts sind so gut, die brauchen uns nicht zwingend. Wir meinen das eher so: Im Radar-Line-up gibt es in jedem Jahr viele Newcomer:innen, die auch wir schon länger auf dem Schirm und in unseren Formaten haben. In der Vergangenheit waren das zum Beispiel Lola Young, Paula Hartmann und Berq, die hier sehr früh in ihrer Karriere performten.
In diesem Jahr waren es skuth, Dani Lia, futurebae, 6euroneunzig und Tape Head & NONI, die allesamt tolle Konzerte spielten. Dani Lia hatte einen ultra-cuten Chor an jungen Fans in der ersten Reihe, Tape Head & NONI passten mit ihrem roughen Drama einfach perfekt in die Longstreet Bar, alle wussten, dass es bei 6euroneunzig „zur Party, zur Party“ geht, futurebae hat mit ihren Armbändern und ihrer Bühnenenergie das Gonzo zerwirbelt und bei skuth gab es viele selige Gesichter in den ersten Reihen.
3. Country ist wieder cool
Dank den Country-Alben von Beyoncé, Post Malone und bald hoffentlich auch Lana del Rey und Acts wie Orville Peck, Kacey Musgraves oder Tanner Adell ist Country schon recht lange wieder cool – und gar nicht mehr so konservativ angestaubt, wie man denkt. Beim Radar spielte eine Künstlerin, die bald vielleicht auch einen großen Anteil daran haben wird: die Kanadierin Goldie Boutilier, die mit ihren fantastischen Bandkolleginnen und einer sehr amerikanischen Show das Plaza komplett in ihren Bann zog. Ihr Sound ist kein reiner Country, sondern hat auch Blues- und Alt.Pop-Einflüsse, aber ihre Vibes strahlten irgendwie recht deutlich aus, dass sie so ziemlich jeden räudigen Truck-Stop-Club in eine Goldie-Messe verwandeln kann. Checkt unbedingt ihren Hit „Cowboy Gangster Politician“ aus.
4. Rap auf Schweizerdeutsch? Kann ganz geil sein …
Irgendwann müssen wir hier mal ein Special über guten Rap auf Schweizerdeutsch machen. Dachten wir so, als wir leider nicht mehr bei ETO in den Club kamen, weil die Alte Kaserne vor Leuten platzte. Wir mussten uns also mit Videos von Freunden und Kolleg:innen vorliebnehmen, die leider zeigten, dass wir einen ziemlichen Abriss verpasst haben. ETO seien trotzdem an dieser Stelle wärmstes empfohlen. Die sechsköpfige TINFA*-Crew kennt sich seit der Kindheit, spielt Fußball miteinander und fährt einen 808-lastigen Rapsound, der huere guet kommt, wie man hierzulande sagen würde.
5. Bands zum ersten Mal sehen, bleibt einfach das Beste
Das Radar pflegt den Beisatz „Festival For New Music“ und löst diese Ansage mit seinem Booking durchaus ein. Hier sieht man – ähnlich wie beim Eurosonic oder beim Reeperbahn Festival – viele Bands zum ersten Mal, weil sie eben noch nie in der Gegend waren oder gerade am Anfang ihrer Karriere stehen. Wir haben vor Ort wieder mal gemerkt, wie sehr wir das lieben.
Zum Beispiel, als wir bei boyish standen, die schon eine ganze Weile around sind, aber gerade zum ersten Mal Konzerte in Europa spielen. Alle, die Boygenius und Co. mögen, sollten sie unbedingt auschecken – wir empfehlen zum Einstieg „FUCK YOU HEATHER“ oder den gemeinsamen Song mit King Princess „Kill Your Pain“. Auch richtig gut: Peter Xan aus London, der zwar mit einem frühen Slot gestraft war und die Leute um kurz nach sechs wachrütteln musste, aber sein Sound zwischen Emo-Rap, Indie und UK-Rap klingt in seinen besten Momenten schon ziemlich groß. Zum Beispiel im sehr zu diesem Text passenden „For The Weekend“.
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