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Auf den Spuren von Tangerine Dream & Co.: Zu Besuch bei Blood Incantation in den Hansa Studios

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Spätestens seit ihrem Psychedelic-Ambient-Release „Timewave Zero“ 2022 ist klar, dass bei Blood Incantation keine gewöhnlich Death-Metal-Band am Werk ist. Und so wird der Hansa-Studiobesuch schnell zur gratis Führung: Hier hat Brian Eno seinen Namen an die Wand gekritzelt, da steht einer der ersten Digital-Reverbs, der je gebaut wurde (für die Nerds: das EMT 251 Digital Reverberation System), dieses dunkelblaue Tape signalisiert, das bereits Tangerine Dream mit diesem Equipment gearbeitet haben. Und plötzlich wird einem klar, dass ein neues Blood-Incantation-Album an keinem anderen Ort als hier aufgenommen werden konnte. Denn auch wenn sie als Death-Metal-Band kategorisiert werden, war wohl seit Edgar Froese und Klaus Schulze niemand mehr so obsessed mit Krautrock, Kosmischer Musik, Prog Rock und Ambient.

Zwischen Synths, Amps und Pedals verstreut stehen inspirierende Bücher, Memorabilia und Platten, die Blood Incantation bei ihren Streifzügen durch Berlins Läden ergattert haben – die meisten davon von ihren größten Vorbildern, der 1969 gegründeten deutschen Art-Rock-Band Eloy. Das Ganze ist nun bereits ein Jahr her, und endlich haben Blood Incantation, die als absolute Perfektionisten bekannt sind, das Ergebnis dieses mehrwöchigen Studiobesuchs angekündigt: Ihr viertes Album „Absolute Elsewhere“ erscheint am 4. Oktober 2024. Das hatte die Band beim damaligen Besuch dazu zu sagen:

Wie seid ihr darauf gekommen, euer neues Album in den Hansa Studios aufzunehmen?

Paul Riedl: Wir wollten ein expansives, progressives Experimental-Album in der Tradition all der Bands machen, die vor uns hier waren – vor allem in den Siebzigern und Achtzigern. Dieser Ort, die Technik und der Vibe hier haben ihnen geholfen, etwas Neues, Interessantes und Verrücktes zu erschaffen. Und das wollten wir auch mit unserem ganz eigenen Approach tun.

Morris Kolontyrsky: Um etwas wirklich Progressives zu erschaffen, muss man auch einfach raus aus der Komfortzone, also sind wir an diesen Ort weit weg von unserem Zuhause gekommen, wo wir uns ganz auf die Musik konzentrieren können.

Dabei ist Hansa ein ungewöhnliches Studio für eine Metal-Band…

Morris: Unser Produzent Arthur Rizk hatte die Idee, weil er mit Kreator hier aufgenommen hat. Das war vor etwa zwei Jahren und seitdem haben wir das geplant. Erst als wir hier angekommen sind, haben wir jedoch gecheckt: Wow, das passiert wirklich. Das ist der Ort, an dem Depeche Mode, Tangerine Dream, Bowie, Marillion und so viele andere aufgenommen haben.

Isaac Faulk: Es gibt viele Metal-Studios auf der Welt, die wir hätten wählen können. Aber Hansa hat einen Vibe und ein Environment, das mehr zu dem passt, was wir erreichen wollen. Es gibt leider kein richtiges Archiv mit allen Alben, die hier entstanden sind, aber das ist ziemlich sicher das erste Death-Metal-Album, das hier aufgenommen wurde.

Ich nehme an, dass auch eure Sound- und Stilreferenzen wieder recht wenig mit klassischem Death Metal zu tun haben.

Isaac: Vom ersten Tag an haben wir versucht, uns in verschiedene Gebiete vorzuarbeiten, denn wir wollen eine verrücktere Form von Death Metal machen. Dieser Weg hat uns in Richtung Progressive Rock, Krautrock, Ambient, Folk und elektronische Musik geführt, aber eben auch zu Black Metal, Funeral Doom und so weiter.

Paul: Wenn man Blood Incantation hört, wird man natürlich Death-Metal-Standards wie Morbid Angel oder Death raushören, aber eben auch Eloy, Camel oder King Crimson. Es wird auf jeden Fall interessant werden. Ich wünschte, dass ich als Musikfan in einer Welt leben könnte, in der dieses Album aus dem Nichts droppt. Es ist, als würde eine 90’s-Death-Metal-Band 70’s-Prog spielen oder so.

Isaac: Wir werfen echt viel in den Mix, um ein möglichst verrücktes Ergebnis zu erhalten. Am besten lässt es sich vielleicht damit beschreiben, dass dieses Album so sehr nach Blood Incantation klingt wie keins zuvor.

Wie sind die Songs von „Absolute Elsewhere“ entstanden?

Paul: Wir haben im vergangenen Jahr viele Angebote abgelehnt, um uns auf dieses Album zu konzentrieren. Wir brauchen diese Zeit für uns, denn wir proben teilweise fünf bis sechs Mal die Woche. Das letzte Riff auf dem Album hat aber zum Beispiel bereits vor unserem Debüt „Starspawn“ existiert. Mir war von Anfang an klar, dass es nur das finale Riff von etwas sein kann, aber auf „Starspawn“ hätten wir das nicht bringen können. Einige der technisch anspruchsvollsten und intensivsten Death-Metal-Riffs auf diesem Album wurden auf Akustikgitarre geschrieben, manche Leadgitarren-Parts auf dem Bass. Andere Parts basieren auf kurzen Snippets von Improvisationen aus unseren Proben. Jetzt kann das alles zusammenkommen. Wir haben aber immer noch stundenweise unveröffentlichtes Ambient-Material, das sich selbst noch von „Timewave Zero“ komplett unterscheidet – da stecken mindestens drei Releases drin. Wir diskutieren noch, was wir genau damit machen wollen, aber es wird definitiv rauskommen.

Das Album war also schon komplett fertig geschrieben, als ihr hier angekommen seid?

Paul: Ja, denn alles ist relativ komplex und erfordert viel Planung.

Morris: Wir haben zwei Parts für Improvisationen offengelassen. Für einen davon kam Nicklas Malmqvist von Hällas ins Studio, um Synth und Piano zu spielen. Wir hatten keine Ahnung, in welche Richtung das gehen würde, denn wir haben noch nie mit jemandem außerhalb der Band kollaboriert. Es ist absolut großartig, dass er das mitgemacht hat.

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Könnt ihr auch schon was zu den Themen und Inhalten des Albums verraten?

Paul: Ja, alles steht schon: Artwork, Titel, Texte… Es besteht aus zwei Songs: „The Stargate“ auf Seite A und „The Message“ auf Seite B. Der Albumtitel stammt von einer Instrumental-Cosmic-Prog-Band von 1976, die nur ein Album namens „In Search Of Ancient Gods“ veröffentlicht hat. Die waren quasi die Blood Incantation der Siebziger.

Isaac: Es ist auch eine kleine Verneigung vor Opeth, die ja auch viele ihrer Titel wie „Blackwater Park“ oder „My Arms, Your Hearse“ von ihren alten Rock-Idolen übernommen haben. Auch wenn das Ergebnis ganz anders ist, sind Opeth wahrscheinlich die Band, die dem, was wir machen, am nächsten kommt. Sie haben versucht, Death Metal und 70’s Prog zu vereinen, und den Extreme Metal dann irgendwann hinter sich gelassen.

Paul: Trotz unseres Alters sind wir immer noch ein bisschen zu jung, um diesen Schritt zu gehen. Das neue Album ist definitiv ein Metal-Album. Die Musik steckt voller Emotionen von den höchsten Höhen zu den tiefsten Tiefen und die Lyrics spiegeln eine Art viszeraler, kosmischer Brutalität. Es zieht sich eine transzendentale Philosophie der Einheit und Verbundenheit aller Wesen durch unser gesamtes Schaffen, dabei geht es aber weder um politische noch religiöse Konzepte. Wir wollen, dass sich die Menschen dieser Erkenntnis öffnen und etwas Positives und Hoffnungsvolles zur menschlichen Erfahrung von Leben, Tod, Liebe, Verlust und so weiter beitragen. Diese Menschlichkeit ist genau das, wonach unsere Musik klingt.

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