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Brauchen wir überhaupt noch Musik-Preise in Deutschland?

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Musik-Preise in Deutschland sind so eine Sache für sich… 2023 haben wir nach der ersten Verleihung des Polyton festgestellt, dass Deutschland ein Problem mit seinen Preisverleihungen hat. Es ist nach wie vor aktuell, was wir damals schrieben. Der Echo war lange Zeit das glitzernde Aushängeschild der Branche, wurde im TV übertragen und hatte eine bundesweite Strahlkraft. Im Jahr 2018 wurde der Echo dann völlig zurecht eingestellt. Der Preis war zu einem Trauerspiel verkommen, orientierte sich praktisch nur an Verkaufszahlen, erfand Kategorien um international Live-Acts zu gewinnen und grenzte sich weder gegen rechte Bands noch gegen antisemitische Tendenzen ab. Der Preis für Popkultur wollte ab 2016 vieles anders und vor allem besser machen und ist an sich selbst gescheitert. Viel zu irrelevant, viel zu wenig musikalische Breite bzw. Diversität und kein Glamour. Auch wir waren Teil der Berichterstattung rund um den Preis für Popkultur und präsentierten regelmäßig den Live-Stream auf unserem YouTube-Kanal. Aus den zuvor genannten Gründen zogen wir uns zurück.

Neben kleineren Indie-Preisen wie dem VUT-Award gibt es noch den Voting-Preis 1LIVE Krone – der letzte verbleibende, „große“ Musik-Preis in Deutschland. Jährlich stellt der öffentlich-rechtliche Radiosender eine attraktive Show auf die Beine. Dennoch sorgt die Krone als Votingpreis dafür, dass vor allem die Künstler:innen gewinnen, die ihre Fans am besten mobilisieren können. Musikalische Nischen oder marginalisierte Gruppen finden hier eher nicht statt.

Diskussionen rund um den Preis für Popkultur

Nun sorgt ein Statement von Aria Nejati, Musikjournalist und Head of HipHop bei Apple Music in Deutschland, für Diskussionen. Seine Kritik, nachdem er selbst für den Preis für Popkultur nominiert wurde: Der Preis sei nicht in der Lage, die tatsächliche Popkultur Deutschlands abzubilden, da bestimmte Musiker:innen, vor allem mit migrantischem Hintergrund, vernachlässigt werden: „nur ganz bestimmte migrantische perspektiven sind dort willkommen. diejenigen, die akademisch genug sind, die von leid und traumata berichten. echte geschichten, die das “migrantischsein“ nicht in den vordergrund rücken und erfolgsgeschichten wie die von ufo361 oder apache207 finden dort keinen platz.“

Zudem erklärt er, dass die Gründungsmitglieder des Preises allesamt aus der Musikindustrie stammen und angeblich primär ihre eigenen Künstler:innen fördern und auszeichnen. Der Preis für Popkultur bzw. der ausrichtende Verein für Popkultur e.V. antwortete mit einer Stellungnahme.

Was nun?

Doch mal ehrlich, brauchen wir in Deutschland wirklich noch einen dieser Musikpreise? Nach dem unrühmlichen Ende des Echo im Jahr 2018, dem Versuch des Neuanfangs mit dem Polyton und den aktuellen Diskussionen rund um den strauchelnden Preis für Popkultur stellt sich die Frage, ob solche Preise überhaupt noch zeitgemäß sind. Auch Versuche wie die Hype-Awards scheiterten kläglich und Aktionen wie die HipHop.de- oder Metalhammer-Awards kommen nicht wirklich aus ihrer Nische heraus.

Es ist richtig und wichtig, dass die Musik sich und ihre Künstler:innen feiert, gerne auch mit einem großen Event mit Strahlkraft. Doch dann sollten auch alle teilhaben können: Straßenrap genau so wie Schlager, Metal ebenso wie Pop, Indie und auch Jazz und Klassik. Doch solange nicht die besten Künstler:innen ausgezeichnet werden (und wer kann das schon bewerten? Selbst bei den Grammys gibt es Jahr für Jahr Diskussionen), sondern diejenigen, die am besten ins Konzept passen, macht das alles irgendwie keinen Sinn. Letztlich sind Musikpreise oft nichts weiter als ein Spiegelbild der Industrie, die sie verleiht. Gute Musik aber braucht keinen Preis, um gehört und geschätzt zu werden. Sie findet ihren Weg zu den Menschen, unabhängig davon, ob sie mit einer goldenen Trophäe dekoriert ist oder nicht. Lasst uns die Musik feiern und die Preise Preise sein lassen. Scheinbar funktioniert das in Deutschland nicht anders. Leider!

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