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Callejon im Interview: „Man muss ein bisschen die eigenen Verlustängste überwinden“

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Es gibt nur wenige Bands, die in ihrer bisherigen Laufbahn derart konsequent mit (musikalischen) Konventionen gebrochen haben wie . Irgendwo zwischen Metalcore, Circus Halligalli und Cover-Versionen von deutschen Pop-Songs hat sich die Combo in den letzten Jahren ihre eigene Nische gesichert. Einen weiteren Zenit fand die Callejon’sche Attitüde mit dem aktuellen Album des Fünfergespanns: Auf „Fandigo“ wagt sich die Band in komplett neue Sound-Gefilde mit sphärischen elektronischen Elementen, dezentem Pop-Appeal und einer düsteren, introspektiven Grundstimmung vor. Metallische Riffs und Screams, die zuvor charakteristisch für den stark vom Metal geprägten Sound der Band waren, werden nur noch pointiert eingesetzt. Diesen Bruch haben viele Fans anfangs nicht unbedingt befürwortet, was diverse Facebook-Kommentare zeigten und der Band selbst bewusst war, wie Kotsche erzählt: „Natürlich kam am Anfang die erste Welle von ‚Was soll das sein? Wo sind die geilen Screams?‘. Kann man nachvollziehen, weil vorher in unseren Songs einfach viel geschrien wurde und wenn man etwas gewöhnt ist, will man das auch wiederhaben.“Entgegen dessen fielen die Reaktionen auf den neuen Sound letztlich allerdings doch sehr positiv aus: „Es ist ja ein Hauptmerkmal des Internets, dass die, die am unzufriedensten sind, auch am lautesten und am schnellsten schreien. Wenn man diesen Faktor ein bisschen abzieht, war das Feedback gar nicht so negativ. Vor allem auf dieser Tour kriegen wir, auch zum Album, sehr viel positive Rückmeldung.“

Callejon – Hölle Stufe 4

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„Wir haben uns nie so richtig als klassische Metalcore-Band gesehen“

Bernhard erklärt zudem, dass das Quintett überrascht davon war, dass es von einigen Hörern vor „Fandigo“ als reine Metalcore-Band wahrgenommen wurde: „Wir haben uns nie so richtig als klassische Metalcore-Band gesehen. Wir hatten ja auch vorher viele Alben, die gar nicht so metallastig waren. Unsere ersten Sachen gingen beispielsweise eher in Richtung Hardcore und Screamo, alles ein bisschen chaotisch. Wir haben uns nie wirklich Gedanken darüber gemacht, wie das Genre jetzt ganz genau bezeichnet werden soll.“Eben diese Genre-Einordnung sei für die Band jedoch auch nicht relevant, betont Kotsche: „Im Grunde geht’s gar nicht darum, ob wir uns mit der Bezeichnung ‚Metalcore-Band‘ wohlfühlen, weil wir auch überhaupt keinen Einfluss darauf haben. Wenn man uns jetzt als Schlager-Rock bezeichnen würde, könnten wir auch nichts dagegen machen. Die Leute werden sich immer ihre Kategorie suchen. Das ist auch okay. Solange man sich selbst mit der Musik, die man macht wohlfühlt, ist alles cool.“ Für den enormen Sound-Wechsel auf „Fandigo“ nennt Bernhard einen simplen, aber einleuchtenden Grund: Die Band wäre nicht in der Lage gewesen, ein weiteres gutes Metal-Album zu schreiben. Er sagt: „Wir hätten nicht gewusst, wie das so richtig geil werden soll, sodass wir auch zu 100% dahinterstehen können. Natürlich hätten wir auch einfach ein Album mit einem ähnlichen Sound wie das davor machen können, aber das hätte sich für uns einfach nicht richtig angefühlt.“Damit verbunden hatte die Band „das Bedürfnis nach einer krassen Veränderung im Sound.“

#VALUE!

In Anbetracht dessen ist es nicht überraschend, dass sich auch der Entstehungsprozess von „Fandigo“ anders als bei den Alben zuvor gestaltete. Bernhard erzählt, dass zum einen Kotsche viel stärker als zuvor ins Songwriting neben ihm und Sänger Basti involviert war, zum anderen hat die Band das Album komplett selbst produziert – ein Novum für Callejon. Er erklärt weiter: „Wir haben uns ein bisschen kreativ freigeschwommen. Ich glaube, man hört auch, dass es ein sehr freies Album ist auf dem wir einfach das gemacht haben, wovon wir zu dem Zeitpunkt sehr überzeugt waren. Und immer noch sind.“Kotsche erklärt darüber hinaus, dass das Songwriting bei der neuen Platte weniger „rifforientiert“ war. Während die Band ihre Songs vorher eher um einzelne Riffs oder Parts herum geschrieben hat, wie er sagt, verfolgte sie bei „Fandigo“ einen ganzheitlicheren Ansatz: „Es gab vor allem textlich immer ein großes Thema und einen Kern einer Idee, um den wir eine Atmosphäre gebaut haben und aus dieser Atmosphäre ist dann vielleicht ein Riff entstanden. Es gab also mehr Songwriting als ganzes Lied und weniger als Stückwerk.“ Ein weiterer wichtiger Faktor von „Fandigo“: Die Tracks bringen eine neue, eigene Dynamik in die Live-Shows von Callejon. Bernhard hat das Gefühl, dass das mittlerweile 95 Minuten lange Set der Band durch die neuen Songs spannender und abwechslungsreicher ist, als wenn es ausschließlich aus „Geballer und Metal-Inferno“bestünde. Er persönlich fände dies „nicht so interessant und eher anstrengend“ – worin ihm Kotsche zustimmt: „Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass wir jetzt einen Einblick in das Gesamtwerk schaffen können, ohne dass es die Leute kaputt nervt. Wenn wir das vor fünf Jahren gemacht hätten, wäre das sehr laut, anstrengend und vielleicht auch eintönig geworden nach der ersten Stunde.“

Callejon – Fandigo Tour Aftermovie

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Doch wie bewahren sich Callejon auch nach so langer Bandgeschichte ihre Kreativität und den Mut, sich stetig neu zu erfinden? Eine wichtige Triebfeder ist die generelle musikalische Philosophie der Band, wie Bernhard erklärt: „Wir wollen Musik machen, die wir selber spannend finden und die authentisch und ehrlich ist. Die etwas transportiert, was wir tatsächlich empfinden. Wenn man 15 Jahre Musik macht und dabei eben auch 15 Jahre älter wird, bekommt man natürlich neue Einblicke, sieht Dinge aus einem anderen Blickwinkel und findet andere Sachen interessant. Das ist dann ein ganz natürlicher Prozess.“Auf die Aussage, dass sich bei vielen Formationen die Alben nach mehreren Bandjahren sehr gleich und wenig innovativ anhören, reagieren die beiden Musiker diplomatisch: „Ich glaube nicht, dass Bands keine Ideen haben, wenn sie viele Alben machen, die sich ähnlich anhören. Vielleicht ist es so, dass die Bands ihren Style voll gefunden haben und das total abfeiern, was auch cool ist. Aber ich glaube, dass manche Bands sich vielleicht auch nicht richtig trauen, mal ein Experiment einzugehen. Das ist einerseits schade – aber andererseits kann ich es auch verstehen, weil es natürlich auch in die Hose gehen kann, wenn man ein Experiment eingeht. Natürlich muss man dann damit leben, wenn Leute den Song oder das Album nicht so geil finden“, meint Bernhard. Kotsche ergänzt: „Man muss ein bisschen die eigenen Verlustängste überwinden. Wenn man sich an einen gewissen Status von positiven Rückmeldungen und ‚Fantum‘ gewöhnt hat, ist das sehr komfortabel. Um dann genau das Gegenteil zu machen oder in diese Richtung zu arbeiten, muss man schon einen kleinen Hau haben – den wir haben.“ Bernhard sagt ergänzend dazu, dass man auch „ein bisschen eine masochistische Ader“ dafür braucht. Wohin ihr Innovationsgeist die Band noch treiben wird, bleibt abzuwarten. Wie Bernhard meint, stehen Callejon grundsätzlich für alles offen, solange es sich für sie richtig anfühlt und es für sie vertretbar ist. Oder um mit Kotsches nicht ganz ernstgemeinten Worten abzuschließen: „Es kann durchaus sein, dass wir beim nächsten Album endgültig im Schlager-Metal angekommen sind. Oder im echten Metalcore.“

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