Das Drill-Comeback: Was steckt hinter Drakes neuem Song?
Pünktlich zum Heiligabend lädt Pop-Rap-Gigant Drake ein neues Musikvideo auf seinem Youtube-Kanal hoch: „War“. Zuletzt bekamen wir 2018 sein durchwachsenes Doppel-Album „Scorpion“ zu hören, das zwischen Drakes Trademark-R&B, Trap-Bangern und Throwback-Samples nicht so recht wusste, wo es hin will. „War“ klingt nach nichts von alledem. Stattdessen: Texte, so einschüchternd, wie sie von einem Pop-Rapper eben sein können, ohne Hook, vorgetragen mit einem auffälligen Slang auf einem atmosphärischen Beat mit vielen Leer-Stellen und ungewohnten Rhythmen. Das scheint für einen der erfolgreichsten Künstler unserer Zeit vielleicht ungewohnt, kommt aber nicht von ungefähr. Eine Geschichte über eine Genre, das eine zweite Blüte erlebt.
Drake – War
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Chicago, Illinois, Anno 2011. In der berüchtigten South Side der Stadt brodelt es, ein siebzehn-jähriger Rapper macht von sich reden. Chief Keef ist damals noch nicht einmal volljährig, hat aber schon mehr Gewalt gesehen als andere in ihrem ganzen Leben. Gemeinsamen mit gleichgesinnten wie Fredo Santana und Lil Reese ist Keef zu diesem Zeitpunkt drauf und dran ein lokales Hip Hop-Subgenre aus dem Boden zu stampfen: Drill. Als Inspiration dienen vor allem Künstler wie Waka Flocka Flame und Gucci Mane, ihren Trap-Sound eignen sich Produzenten wie Young Chop mit einem eigenen Twist an. Die Beats werden langsamer, wuchtiger, charakteristisch sind Glocken, schallende Becken und episch-triumphale Melodien. Mit diesem musikalischen Arsenal erzählt Chief Keef in Songs wie „I Don‘t Like“ ungefiltert von seiner Lebensrealität im Gang-Sumpf von Chicago. Nicht umsonst kennt man die Stadt im Slang auch als „Chiraq“: Viele der Jungs, mit denen Keef im Video abfeiert, sind heute nicht mehr am Leben.
Chief Keef feat. Lil Reese – I Don’t Like
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Der neue Hype aus Chicago wird in den Medien als Musik gewordene Glorifizierung von Kriminalität und Gewalt scharf kritisiert, aber auch innerhalb der Szene polarisiert Chief Keefs neuartiger Rap-Stil. Trotzdem wird Drill von einer lokalen Szene zum Sound der Stunde und hinterlässt auch nach seiner Hochphase noch bleibende Spuren: Jahre später berufen sich Künstler aus den schwammigen Genres Cloud Rap und Mumble Rap wie Playboi Carti auf Chief Keef als Vorreiter und Inspiration in Sachen Flow und Adlibs. Auf andere Art und Weise schlägt Drill im Vereinigten Königreich ein. Dort regiert bereits ein andere Subgenre von Hip Hop: Die fragmentierten Rhythmen von Grime, irgendwo zwischen Rap und elektronischen Genres wie Dubstep und Garage. Der Chicago-Sound geht in Symbiose mit dem vorherrschenden Style, das Ergebnis ist UK Drill. Der klingt noch düsterer als sein amerikanischer Verwandter, mit sparsamen, simplen Melodien, getragen von harten Bässen, die nie durchlaufen, sondern immer wieder durchbrochen werden, abgestimmt auf die Flows im charakteristischen Slang der britischen Szene. Die Inhalte der Texte und Videos erinnern an die Bilder aus Chicago: Junge Rapper mit Sturmmasken und Trainingsklamotten hängen am Block – denn Perspektiven gibt es oft nicht. Jeden Tag tauchen neue Hits mit Millionen Streams auf Youtube auf, bekannte Gesichter in der schnelllebigen Szene sind oft Crew-Formationen wie 67, die Harlem Spartans oder eben M24 und Stickz aus dem GBG-Umfeld.
M24 x Stickz – We Don’t Dance
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Ähnlich wie in Amerika wird auch der UK Drill zur Zielscheibe der Medien, die die expliziten Inhalte für die steigende Kriminalität in Großbritannien verantwortlich machen. Trotzdem erlebt Drill im Insel-Königreich seine zweite Blüte und verteilt sich über das Internet auch in Frankreich und Australien und findet schließlich wieder den Weg zurück nach Amerika. Der Kreis schließt sich, statt in Chicago, diesmal in Brooklyn. Schlüsselfigur ist Produzent AXL Beats: Er baut Drill-Beats mit neuem UK-Anstrich für lokale Künstler wie Fivio Foreign, MaxThaDemon und Pop Smoke. Aber auch außerhalb von New York schlägt der neue alte Sound Wellen und schließlich bekommt AXL Beats auch einen Klienten aus Toronto: Drake. Der Pop-Rap-Gigant verfolgt den UK-Drill-Hype nicht erst seit gestern. Wichtig für die Szene in Großbritannien sind vor allem Plattformen wie GRM Daily oder Link Up TV, wo fast täglich neue Songs hochgeladen werden – so auch 2018 ein exklusiver Track von Drake, mit Beat, Flow und Ausprache durch und durch britisch. Fast Forward zu Weihnachten 2019: Drizzy pickt ein Instrumental von AXL Beats für seinen Eingangs erwähnten Track „War“ und ist damit nicht der letzte in dieser Größenordnung. Auch Travis Scott springt auf den Hype aus Brooklyn und Übersee, für sein Crew-Projekt „Jackboys“ produziert AXL Beats den Track „Gatti“. Außerdem bekommt Drill-Rapper Pop Smoke mit seiner charakteristischen tiefen Stimme einen Gast-Part auf dem Song und auch im Video zollt Travis Respekt an den neuen Place To Be im amerikanischen Rap: Die beiden Rapper cruisen im titelgebenden Bugatti durch ein nächtliches Brooklyn.
Travis Scott feat. Pop Smoke – GATTI
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Auch in Deutschland hat Chief Keefs Erbe und der neue UK-Sound Wurzeln geschlagen. Künstler wie Boysindahood, Lucio101 und Nizi19, die 102 Boyz oder Luvre47 implementieren längst einzelne Stilmittel aus dem Drill in ihren authentischen Straßen-Rap, während die Newcomer Tarek und Zenci gleich die gesamte UK-Ästhetik in Ton und Bild bei ihrem neuesten Video „Dunya“ übernehmen. Damit sind sie wohl die ersten hier zu Lande, trotzdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis die UK Drill-Welle auch endgültig über deutsche Gefilde rollt, denn schon jetzt schickt sich das Subgenre an den internationalen Hip Hop im Jahr 2020 spürbar zu dominieren. Das birgt Risiken, denn vorallem musikalisch gleicht hier oft ein Song dem anderen. Andererseits fordern die unruhigen Drill-Instrumentals Engagement vom Protagonist, der auf ihnen rappt, und das könnte viele Künstler zwingen, aus ihrem Laid-Back-Trap-Flow aufzuwachen. Aber all das ist Spekulation. Klar ist nur: Drill hat eine Reise hinter sich, die ihresgleichen sucht. Angefangen bei Chief Keefs ersten Releases, die in der damaligen Rap-Szene wie ein Kuriosum wirkten, bis zur Neuentdeckung des Subgenres im Vereinigten Königreich. Jetzt scheint der Drill-Sound dank der Szene in Brooklyn wieder in seine Heimat zurückzukehren – und könnte das den weltweiten Hip Hop 2020 entscheidend prägen.
Tarek & Zenci – Dunya
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