Erstes Projekt seit sechs Jahren: Chance the Rapper veröffentlicht „STAR LINE“
Nicht jeder kann von sich behaupten, drei Grammys gewonnen zu haben, bevor das erste Album überhaupt draußen ist. Zugegeben, Chance the Rapper hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei gefeierte Mixtapes veröffentlicht. Trotzdem ist dies eine beachtliche Leistung. Sein Debütalbum „Big Day“, welches 2019 erschien, stand jedoch wider Erwarten im Kreuzfeuer der Kritik. Nachdem seiner aszendierenden Karriere dadurch ein Dämpfer verpasst wurde, zog sich der Rapper aus Chicago für eine längere Zeit zurück. Nun präsentiert er sein lang erwartetes neues Projekt „STAR LINE“.
„STAR LINE“: Vier Jahre Promophase
Um genau zu sein, begann die Promophase bereits Anfang 2023 mit dem (Youtube-exklusiven) Song „The Heart & The Tongue“. In diesem stellte Chance erneut sein außerordentliches Schreibtalent unter Beweis. Es folgte ein interdisziplinäres Projekt, in dem er für jede Single mit diversen Künstler:innen kollaborierte, um auditive und visuelle Kunst zusammenzuführen. Die entsprechenden Werke wurden zum Beispiel auf internationalen Messen wie der „Art Basel“ in der Schweiz präsentiert.
Tatsächlich hat es von diesen Songs wie „Child of God“ oder „3333“ nur „The Highs & The Lows“ zusammen mit Joey Bada$$ auf „STAR LINE“ geschafft. Das 17-Track lange Projekt steht trotzdem noch ganz im Zeichen des ursprünglichen Rollouts. Inspiriert ist das Album von der Schiffahrtsgesellschaft „Black Star Line“, die vom Panafrikanisten Marcus Garvey in den späten 1910er Jahren im US-Bundesstaat Delaware gegründet wurde. Sie unterstützte den Transport von Waren und afroamerikanischen Menschen innerhalb eines globalen afrikanischen Netzwerks. So ist es auch das Ziel von Chance the Rapper, Brücken innerhalb der afrikanischen Diaspora zu bauen.
Chance The Rapper: Im Zeichen der Gemeinschaft
Schon im Vorfeld rief er zusammen mit seinem Weggefährten und Kollegen Vic Mensa das „Black Star Line“ Musik- und Kulturfestival ins Leben. Dieses fand im Januar 2023 in der ghanaischen Hauptstadt Acra vor mehr als 50.000 Zuschauer:innen statt. Getrieben von diesen internationalen Erfahrungen und neuen Perspektiven, spielt das Thema Community auch auf „STAR LINE“ eine große Rolle. Von regionalen Problemen in seiner Heimatstadt Chicago bis zur systematischen Benachteiligung der afroamerikanischen Bevölkerung im Rechts- und Gesundheitssystem, nimmt Chance kein Blatt vor den Mund. Obwohl das Album stark von seinem Glauben und Gospeleinflüssen geprägt ist, spricht er auch Fehlverhalten der nationalen Kirche und mit ihr in Bezug stehenden rassistisch motivierten Attentaten an.
Mit einer Mischung aus Hip-Hop, Soul und R&B reflektiert der Rapper mit lyrischer Versiertheit seine letzten Jahre. Dabei geht er genauer darauf ein, wie sehr ihn einschlagende Ereignisse wie der Zerriss von „Big Day“, seine kürzliche Scheidung und diverse Trauerfälle getroffen haben. Seine Antwort: Liebe. Für sich selbst, für seine Freunde und Familie und für seine Community. „Look, love was the fuel and the pen was the tool / It’s been that way since the lunch tables at school“, rappt er im Outro „Speed of Love“.
„And when I’m back in Chicago“ …
Neben Gästen wie Young Thug und Lil Wayne findet mit Jamila Woods und BJ The Chicago Kid auch Artists aus Chicago auf dem Album statt, mit denen Chance schon seit mehreren Jahren zusammenarbeitet. Sogar das Coverart entstammt Brandon Breaux, der bereits für die Cover seiner ersten drei Mixtapes verantwortlich war. Wer genau aufpasst, findet auch auf „Back To The Go“ im Hintergrund, ein Sample der viralen Chicago-Hymne „End of Beginning“ von Djo.
Auf der Producer-Seite wagte sich Chance the Rapper hingegen über die US-Grenzen hinaus. Die schwedische Experimental-Pop-Künstlerin Becky and the Birds hat zum Beispiel Writing und Production-Credits auf „Burn Ya Block“ und der deutsche Produzent Ambezza hat an „Gun In Yo Purse“ mitgewirkt.

Das neue DIFFUS Print-Magazin
Titelstory: SSIO
Außerdem im Heft: Interviews mit badmómzjay, t-low, Magda, Paula Engels, fcukers, Betterov uvm. Außerdem große Reportagen über Kneipenkultur, Queer Rage und Essays!