Es tut wieder weh: Eine Powerviolence-Macht ist zurück und eine Industrial-Band wird persönlich
Nails – Every Bridge Burning
Acht Jahre haben wir auf diese 18 Minuten Musik gewartet. Dass wir sie überhaupt bekommen, war lange unsicher, fielen Nails nach der Veröffentlichung ihres dritten Erfolgsalbums „You Will Never Be One Of Us“ doch eher mit Schlagzeilen um abgesagte Shows und eine folgende mehrjährige Funkstille inklusive Umbesetzung von zwei Dritteln der Band auf. Hat sich das Warten gelohnt?
Vorneweg, Bandkopf Todd Jones sagt selbst: „This band was modeled after some of my favorite bands; the type of bands where, when they put out an album, you know what it’s going to sound like. It’s the delivery of the expectation.“ Überraschungen können wir also nicht erwarten, mal wieder gepflegt von einem Album das Gesicht weggeschmolzen zu bekommen hingegen schon.
Der Opener „Imposing Will“ stößt uns direkt mit aller Brutalität rein ins Chaos, anschließend jagen Nails von Thrash über Crust bis Death Metal alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, durch den Powerviolence-Fleischwolf und erinnern uns daran, dass das irgendwie doch keiner so gut macht wie sie. Ob Jones’ gurgelndes Geschrei, die massiven Riffs und Schlagzeuggewitter oder die heillose Übersteuerung: Die Band hat in jede Sekunde von „Every Bridge Burning“ das absolute Maximum an Gewalt und Intensität gepackt. Der Name ist mal wieder Programm.
Uniform – American Standard
CW: Essstörungen
Gefälligkeit und Versöhnlichkeit sind von Uniform nie zu erwarten, ihr fünftes Album ist jedoch auf einem ganz neuen Level beklemmend: Sänger Michael Berdan verarbeitet auf „American Standard“ seinen Kampf mit Bulimie; diese Songs sind seine Erkundung der Krankheit, die seit Jahren an seiner Psyche und an seinem Körper nagt. Auf lyrischer Ebene suchte Berdan bei der Entfaltung des vielschichtigen Narrativs Unterstützung von den Autor:innen B.R. Yeager („Negative Space“) und Maggie Siebert („Bonding“).
Die entsprechende musikalische Dringlichkeit ist derweil nicht nur Berdans Kreativpartner und Uniform-Gitarrist Ben Greenberg zu verdanken, sondern auch dem furiosen Drummer-Doppel Michael Sharp und Michael Blume sowie Interpol-Drummer Brad Truax. Gemeinsam verleihen sie dem Album einen treibenden, vielschichtigen Sound, der brutal ist, wo es sein muss und sich zurücknimmt, wenn Gedanken und Gefühle Platz brauchen, um sich zu entfalten.
Über die Hälfte der Spielzeit von „American Standard“ wird vom Titeltrack eingenommen, der sein ganz eigenes Universum erschafft. Beginnend mit den Worten „A part of me, but it can’t be me. Oh God, it can’t“ und der verschrobenen Version eines Call-And-Response-Gesangs windet sich der Song durch mal hypnotische, mal karge Industrial-Noise-Landschaften, wird von schweren Riffs zermalmt und gipfelt schließlich in einem geradezu ekstatischen Blackgaze-Finale. Bevor überhaupt der zweite Track des Albums beginnt, hat man angesichts dieses Opus Magnum schon das Gefühl, ein ganzes Leben gelebt zu haben. Im Pressetext heißt es passend: „Es ist scheußlich. Es ist schön. Es ist notwendig.“
Zeal & Ardor – Greif
Sieben Jahre ist es her, dass Zeal & Ardor mit den Blues- und Gospel-Sounds des Debütalbums „Devil Is Fine“ im Feuilleton als disruptive Crossover-Sensation der Black-Metal-Szene gefeiert wurde. Drei Alben später ist von den Extreme-Metal-Wurzeln des Projekts nur noch wenig übrig: „Greif“ ist eher im Art Rock und Prog-Metal zuhause als im Norwegen der Neunziger.
Erstmals kollektiv von der Band statt im Alleingang von Mastermind Manuel Gagneux geschrieben und aufgenommen, hat das Album jedoch viele der Kernqualitäten von Zeal & Ardor beibehalten: Groove und Dynamik, Call & Response und erhabene Chorgesänge, große Melodien. Die Disruptivität hat die Band gegen mehr Ruhe und Harmonie eingetauscht. Allein für diese radikale Transformativität und Unberechenbarkeit müsste man sie schon respektieren – dabei würde man aber das erstklassige Songwriting unterschlagen.
Spectral Wound – Songs Of Blood And Mire
Spectral Wound sind dafür bekannt, Old School Black Metal in all seiner Dekadenz und Frostigkeit zu zelebrieren, und ihr viertes Album ändert an dieser Agenda nichts. „Songs Of Blood And Mire“ ist schnell und räudig, hat dabei aber genau das richtige Maß an Melodien, dass einem wohlige Schauer den Rücken runterlaufen. Innovativität kann man der Band nicht vorwerfen, aber okay, never change a winning team. Das Album-Kernstück „Aristocratic Suicidal Black Metal“ kriegt derweil nicht nur die Höchstpunktzahl auf der Titel-Trveness-Richterskala, sondern ist mit seinem etwas gedrosselten Rock-Vibe auch überraschend catchy.
Chelsea Wolfe – Undone EP
Ein halbes Jahr nach ihrem grandiosen neuen Album „She Reaches Out To She Reaches Out To She“ veröffentlicht Chelsea Wolfe eine Remix-EP, auf der sich sechs Artists Songs des Albums annehmen. Boy Harsher verwandeln „House Of Self-Undoing“ in einen Darkwave-Traum und auch Crosses laden mit ihrer Version von „Tunnel Lights“ auf die Tanzfläche. Forest Swords und Ash Koosha hingegen dekonstruieren die Songs derweil deutlich radikaler und Full Of Hell entstellen „Eyes Like Nightshade“ (im besten Sinne) mit Power Electronics. Besser kann man die Album-Leitthemen der Transformation und Wiedergeburt kaum vertonen.
Hier gehts zur Hard in Here Playlist:
Hier wäre eigentlich etwas eingebettet. Du hast aber Embed und Tracking deaktiviert.
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Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzte
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