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Gesellschaftskritik aus dem Schlafzimmer: Clairo gibt mit „Immunity“ ihr Album-Debüt

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Vollkommen immun, so scheint es zumindest, gegen sämtliche in der Vergangenheit aufgetauchten Vetternwirtschaft-Vorwürfe und Vorschusslorbeeren, konzentriert sich Clairo auf das für sie Wesentliche, ihr Album-Debüt. Und schon beim ersten Durchlauf der Platte wird recht schnell klar, irgendwie kommt man nicht so richtig daran vorbei, diesen zum Teil sehr fragilen, in seinen besten Momenten aber auch mit Effekten gespickten Pop-Entwurf gut zu finden. Viel mehr noch als bloß gut, holen einen die elf Songs so gefühlsecht ab, wie es sonst nur Erinnerungen an die eigene Coming-Of-Age-Zeit schaffen. Dabei ist Clairo genauso bestes Beispiel dafür, dass man sich als gefühlt frisch eingeschriebene Studentin, mitten im Hausparty-Campus-Chaos nicht in lyrischen Plattitüden und musikalischen Belanglosigkeiten verlieren muss, wie man es einer Musikerin in dem Alter und in der Lebenssituation gerne andichten möchte. Ja, das Leben Anfang Zwanzig ist auch bei Clairo wahrscheinlich viel Liebeschaos und Zukunftswirrwarr, aber das kann auch abseits einer 0815 heteronormativen Beziehung erzählt werden. „Wie funktioniert das überhaupt?“ – sich seiner sexuellen Orientierung bewusst werden, die zu aller eh schon vorhandenen, grundlegenden Überforderung zusätzlich auch noch abseits einer gesellschaftlichen Norm stattfindet? „Bags“ skizziert also ziemlich autobiographisch, den klassisch romantischen Fernsehabend, nur das die Person neben einem, ganz anders als die Protagonistin es eigentlich tun will, von einem vermutbaren Großteil der Gesellschaft immer noch maximal zur besten Freundin raufgestuft werden würde. Dieses Gedankenspiel findet seine inhaltliche Fortsetzung dann wesentlich deutlicher und fordernder in der Textzeile „Sofia, know that you and I shouldn’t feel like a crime“ auf dem gleichnamigen Song „Sofia“.

Clairo – Sofia

https://www.youtube.com/watch?v=L9l8zCOwEII

Clairo stellt mit ihrem Debüt also nicht nur ihr Feingefühl für interessante Arrangements unter Beweis, sondern bietet inhaltlich auch genug Anhaltspunkte, um das aktuelle Werk mit gutem Grund in Dauerschleife laufen lassen zu können. Wenn bei alldem was der gerade mal 20 jährigen offenbar so im Kopf vorgeht, nicht vorrangig so gute Musik entstehen würde, wäre es fast schon ein bisschen erschreckend mit anzusehen, wie reflektiert sie in dieser Lebensphase agiert.

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