Hard In Here – Antifaschistischer Black Metal: Das ist RABM
Das neue Jahr ist hier und mit ihm eine Myriade großartiger neuer Releases – nicht. Traditionell veröffentlicht ungefähr niemand zum Jahresende/-anfang neue Alben (außer Kringa – Shoutout an dieser Stelle). Deswegen widme ich mich heute in einer Sonderausgabe von Hard In Here einem meiner absoluten Lieblingsthemen: antifaschistischem Black Metal.
So viel vorab: Das Black-Metal-Genre hat wirklich keinen guten Ruf. Die ersten Assoziationen Außenstehender liegen meist irgendwo zwischen Homophobie, Mord, Rassismus und Kirchenverbrennungen. Es wäre gelogen zu behaupten, dass das vor allem in der prägenden norwegischen Szene der frühen Neunziger nicht herrschende Zustände waren, und es wäre ebenso gelogen (oder zumindest verklärtes Wunschdenken) so zu tun, als hätten diese Taten und Mindsets nicht auch noch heute Einfluss auf Teile der Szene.
ABER: Black Metal ist kein Nazi-Genre. Der Anteil explizit Nationalsozialistischer Black-Metal-Bands (NSBM) ist winzig, der Großteil der Szene versteht sich als unpolitisch oder zentristisch, dabei herrscht jedoch zugegebenermaßen oft eine hohe Toleranz für rechtes Gedankengut. Aber wie schon Newton wusste, erzeugt jede Aktion eine gleich große Reaktion (oder, frei nach den Ärzten: „Gewalt erzeugt Gegengewalt“). Zu Beginn der 2000er formiert sich antifaschistischer Widerstand – Red and Anarchist Black Metal (RABM) ist geboren. Diese Bands solltest du kennen:
Profecium – Socialismo Satánico (1997)
Wir beginnen obskur: Viele Jahre bevor RABM als Genre geboren wird, erkennen Profecium, dass sich das rebellische, radikale Potenzial des Black Metal auch hervorragend für den Klassenkampf eignet. Ihre Musik bezeichnen die Argentinier damals noch als Communist Black Metal. Fest in der Ästhetik und dem Kelleraufnahmen-Sound der Second Wave Of Black Metal verankert, nimmt die Band hier schon viel der sich bald formierenden Antifa-Metal-Bewegung vorweg.
Deep Dive: Agony – Sickle And Hammer (2004), Мракобесие/Nazgulum – Black-Red Dawn Before Armageddon (2005)
Iskra – s/t (2004)
Musikalisch eher im Blackened Crust als im klassischen Black Metal verortet, gehören Iskra mit ihrem explizit gesellschaftskritischen Debütalbum zu den Mitbegründern der RABM-Bewegung. Ihr letztes Album veröffentlichen die Kanadier:innen 2015.
Deep Dive: Book Of Sand – Destruction, Not Reformation (2010)
Panopticon – Kentucky (2012)
Das Ein-Mann-Projekt Panopticon macht antikapitalistischen, anarchistischen Black Metal im breiteren Metal-Mainstream bekannt. Mastermind Austin Lunn widmet sich auf seinen ersten Alben gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Missständen, auf musikalischer Ebene webt er dabei Folk und Bluegrass mit ein. Damit erschafft er nicht nur Meilensteine des RABM, sondern auch des Appalachian und Cascadian Black Metal, deren Naturverbundenheit oft in Anarchismus und Umwelt-Aktivismus wurzelt.
Deep Dive: Skagos – Anarchic (2013), Wolves In The Throne Room – Black Cascade (2009)
Dawn Ray‘d – The Unlawful Assembly (2017)
Vor Dawn Ray’d (Foto) hätte vermutlich keiner geglaubt, dass es eine RABM-Band mal auf die Titelseiten internationaler Magazine schaffen würde. Das erste Album der Briten verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Metal-Szene, gleichzeitig nutzen sie wirklich jede Plattform, die sie haben, zur antifaschistischen, antikapitalistischen und anarchistischen Aufklärung – ob Interviews, Social Media, Shows oder Songtexte. Im März 2023 erscheint ihr drittes Album „To Know The Light“.
Deep Dive: Gudsforladt – Friendship, Love And War (2022), Pessimista – Uma Saída (2020), Trespasser – Чому не вийшло? (2018), Sankara – Total Liberation Of The Human Race (2019)
Feminazgûl – No Dawn For Men (2020)
Tolkien gehört zu Black Metal wie schwarze Klamotten zum Berghain-Besuch. Feminazgûl setzen das Ganze jedoch erstmals in einen queer-feministischen Kontext. Mit Naturverehrung, „Der Herr der Ringe“-Nerdtum und Bekämpfung des Patriarchats schaffen die Musikerinnen ein Gegengewicht zur toxischen Hypermaskulinität des Genres.
Deep Dive: Awenden – Golden Hour (2020), Tumultuous Ruin – Demo II (2021), Operation Volkstod – No Gods, No Masters (2018), Ragana – Wash Away (2015)
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.

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