Hat die Pandemie unser Musikhören verändert?
„Wer will heute Musik anmachen?“ – Diese Frage wird eigentlich in jeder gemeinsamen gemütlichen (oder auch bereits angetrunkenen) Runde mit Freund:innen gestellt, die aufgrund der Pandemie, kleiner und intimer wurden. Während man sich also vorher in Bars und Restaurants traf und niemand die Verantwortung für die Hintergrund-Musik hatte, musste dafür nun immer selbst Sorge getragen werden. Meinen eigenen Musikgeschmack so offenzulegen, war mir da fast ein wenig peinlich, weil Musik besonders in der Pandemie zu einem Stimmungsmesser wurde und sich zu privat zum Teilen anfühlte.
Musikgeschmack im Lauf der Zeit
Dass Musikgeschmack aber am Ende gar nicht so individuell ist, zeigen Studien, die verdeutlichen, wie anhand der meistgespielten Songs auch das Weltgeschehen abgelesen werden kann. Und das geht über die alljährlichen Jahreszeiten-Klassiker wie Weihnachtssongs hinaus. Denn dass im Winter lieber gemütlichere, weniger aufgedrehte Songs gehört werden, dafür muss man keine Statistiken lesen.
Ich habe mich also gefragt, wie es zu Pandemiezeiten mit unserem Musikgeschmack aussieht. Dazu hat SPIEGEL die Top 100 Single Charts von 2015-2021 untersucht und festgestellt, dass während der Pandemiezeit weniger energiegeladene Songs gehört wurden als in den Jahren zuvor. Als Parameter galten hier die von Spotify angelegten Kategorien Stimmung, Energie und Tanzbarkeit.
Winterwelle nach langem Sommer
Besonders auffällig war, dass im ersten Pandemie-Herbst die Stimmung erstmal absackte und eher düstere Deutschrap-Hits die Charts bestimmten, wie auch Songs des Herzschmerz-Albums „Nur für dich“ von Ufo361 und Sonus030. Wir erinnern uns: Herbst 2020, wir hatten gerade einen etwas gelockerten Sommer hinter uns, dann bewahrheitete sich, was Wissenschaftler:innen bereits lange vorher verkündeten und die Winterwelle stand trotzdem ganz unerwartet vor der Tür. Dementsprechend sank das Tanzbarkeitslevel der Songs, die dank eines langen, warmen Sommers aus den Boxen und Kopfhörern schallten, rapide ab.

Der eigene Musikgeschmack in Zahlen
Im Winter und am Jahresende konnte sich dann jede:r vor allem durch das Tool Spotify Wrapped einen Überblick über den eigenen Musikgeschmack und den von anderen machen. Ironisch und unironisch wurden die meist gehörten Künstler:innen und Lieblingssongs fleißig auf Instagram geteilt.
Wer aber auch unabhängig von der Jahreszeit gerne einen Einblick in die persönlichen Statistiken erhalten möchte, kann das ganz easy über die Website musictaste.space machen. Hier wird einem prompt eine Lockdown Playlist erstellt, ganz nach dem Motto: „The songs that have kept you company during COVID-19“ . Analysiert werden neben den meistgehörten Genres, dem „Obscurify Score“ und weiteren Parametern, auch welches „Happiness“- oder „Energie“-Level die gehörten Songs repräsentieren. Ich scheine da mit 48% Happiness im Durchschnitt zu liegen und mit 59% Energie etwas unterdurchschnittlich.

Kein Wunder – denn ich bin eine Person, die im Alltag ruhige Songs bevorzugt und das seit der Pandemie noch mal mehr, weil Musikhören eine ganz andere Rolle für mich eingenommen hat. Vorher verband ich mit „Lo-Fi“ nicht so viel, jetzt höre ich es zum Kochen, Arbeiten, Schlafen… Nee Spaß, zum Schlafen natürlich nicht, da lieber das ein oder andere hier nicht genannte Hörspiel, das sich auch bei vielen in den Jahresrückblick von Spotify eingeschlichen hatte.
Smoother Lo-Fi und Elektro-Sounds dank Pandemie
Wie hat sich die Pandemie also auf mein Musikhören ausgewirkt? Bei mir läuft seit der Pandemie mehr Lo-Fi, aber auch Elektro wie Bonobo oder Fred again.., womit ich abseits des Clubgeschehens davor nicht so viel anzufangen wusste. Das liegt vor allem daran, dass ich viel mehr Zeit zu Hause verbracht habe und sich enstpannte Synthie-Melodien einfach gut als Hintergund-Musik eigneten.
Mehr Zeit zu Hause, hieß außerdem mehr Zeit, um neue Musik zu entdecken. Auf meiner Playlist, die vorher hauptsächlich von Female Rap bestimmt war, befinden sich jetzt auch Künstler:innen wie Oscar Anton oder Fil Bo Riva, die wie meine Energie-Level-Analyse bereits gezeigt hat, eher ruhige Songs machen.
Inzwischen nutze ich die Teilen-Funktion von Spotify wie bei Songs von Oscar Anton fast täglich, manchmal kommentarlos, weil der Track schon alles sagt und mit den Lautsprecher verbinde ich mich auch – egal in welcher Runde.
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