In die Provinz! Eine Liebeserklärung an Konzerte abseits der Metropolen
Seit vielen Jahren bin ich in Sachen Konzertleben ein privilegierter Bastard: Für mich einst unerreichbare Traditions-Clubs wie der Festsaal Kreuzberg, Huxley’s Neue Welt oder das SO36 liegen in Laufweite meiner Wohnung (nach Berliner Maßstäben), die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof für die großen Pop-Konzerte ist nicht weit, und oft braucht es nur eine Gehbierlänge, um Bands zu sehen, für die andere weit reisen müssen. In Berlin stoppt irgendwann halt fast jeder Act, der es zu was bringen will.
Es ist ein gottverdammter Luxus. Und trotzdem muss ich dieser Tage wieder oft an Clubs und Festivals denken, die halt nicht den „Konzertmetropolen-Bonus“ haben. Das liegt vielleicht ein wenig daran, dass wir uns im aktuellen Printheft intensiv mit Orten beschäftigt haben, die man Provinz nennen könnte – was dort und in diesem Text auch bitte liebevoll und nicht als Diss gemeint ist. Und es liegt daran, dass unsere neue Konzertreihe Diffusion meine Kolleg:innen kürzlich in die Stadt führte, in der ich als kleiner Metal-Milchbubi mit 16 meinen ersten Gig besuchte: Osnabrück.
Das erste, prägende Konzert findet nicht unbedingt in einer A-Stadt statt
Ich selbst bin in einem Dorf namens Venne in der Nähe von Osnabrück groß geworden. Livemusik gab es da nur beim Schützenfest oder beim jährlichen Besuch der größten Coverband der Region. Mein erstes „richtiges“ Konzert (die „Nazi Punks fuck off!“-Tour von Napalm Death) mit 16 fand also in Osnabrück statt: In einem Club namens Hyde Park am Rande der Stadt. Ein in der Gegend fast legendärer Laden, der anfangs im wahrsten Wortsinn um einen Platz in der Stadt kämpfen musste. Die jungen Goths und Punks passten Anfang der 80er anscheinend nicht ins aufgeräumte Stadtbild. Als die Behörden 1983 eine Schließung des ersten Standtorts in der Innenstadt verfügten, kam es zu Protesten: Rund 2000 Fans des Hyde Park clashten mit der Polizei und es kam zu brutalen Szenen, die es sogar auf die Titelseite der damals schon räudigen BILD-Zeitung schafften.
Als ich Mitte der Neunziger meine ersten Konzerte am neuen Standort des Hyde Parks am Fürstenauer Weg besuchte, kämpfte man „nur“ noch mit dem schlechten Ruf unter Spießern und dem Urban Myth, dass man hinter dem Gebäude so ziemlich alles kaufen konnte, was irgendwie illegal war. Das wilde Konzert und die Stimmung im Club fixten mich allerding mehr an, als das alle Drogen, die ich hinter dem Hyde Park hätte kaufen können. Als ich und meinen besten Freund:innen Nancy und Mammut später am Straßenrand saßen und auf unsere Eltern warteten (die uns mit dem Auto abholten), hinterließen wir unsere den Abdruck unserer verschwitzten Arschbacken auf dem Asphalt, lachten uns halb tot darüber und waren die glücklichsten Teenager der Welt.
Von A-, B-, C- und D-Städten
Osnabrück ist natürlich nicht wirklich eine Provinzstadt. Aber sie ist das, was man im Konzertgeschäft vermutlich eine C- oder D-Stadt nennen würde. Diese Formulierung fällt immer mal wieder, wenn man mit Booker:innen oder Bands spricht. Die Bedeutung ist eigentlich recht simpel: Konzert-Metropolen wie Hamburg oder Berlin sind A, kleinere oder geografisch ungünstig gelegenere sind B, C oder D. Es liegt natürlich in der Natur der Sache, dass die riesigen Mainstream-Acts große Konzerthallen und große Städte brauchen, und ich will diese Städte auch gar nicht gegeneinander ausspielen. Meine ersten Fahrten nach Hamburg, Köln oder Berlin für ein Konzert waren ebenfalls prägende Erinnerungen für mich und haben mich ein Stückweit darauf vorbereitet, dass ich mir vorstellen konnte, irgendwann in so großen Städten wohnen zu wollen.
Trotzdem wird mir immer wieder bewusst, dass ich – wie viele Menschen, die irgendwann in Berlin, Hamburg oder Köln aufschlagen – meine musikalische Sozialisation zu großen Teilen Jugendzentren, Bars mit Bühnen und anderen Konzertlocations zu verdanken haben, die eben nicht das Glück hatten, inmitten pulsierender Großstädte zu existieren. Prägende Clubs in meinen ersten Konzertjahren waren zum Beispiel das Forum, das erst in der mittelgroßen Stadt Enger und dann in Bielefeld zu finden war. Vor allem der Club in Enger spielte in den 90ern eine wichtige Rolle in Sachen Gitarrenmusik: Hier spielten Green Day und Nirvana auf ihren ersten Deutschland-Touren und ich selbst konnte dort bei Sleater-Kinney lernen, dass es mehr gibt, als Dudes mit Gitarren. Möglich war das übrigens, weil findige Veranstalter:innen merkten, dass Enger zwischen den A- und B-Städten oft fast auf dem Weg lag – und es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn die weit angereiste Band noch einen Gig mehr spielen könnte. Dass es das Forum aber bis heute gibt, liegt dann eben auch an der Strahlkraft des Clubs und an einem Publikum, das eine längere Anfahrt nicht scheut, wenn man sich auf das Booking verlassen kann. Meine ersten Schritte in den Musikjournalismus machte ich dann in Hannover, wo Läden wie das Café Glocksee, das Kulturzentrum Faust, Béi Chéz Heinz oder das UJZ Kornstraße dafür sorgten, dass man mindestens ein- bis zweimal die Woche gute Konzerte fand, die nicht gleich das Bafög-Budget sprengten.
Einfach mal „Danke!“ sagen
Warum ich das alles hier erzähle? Weil ich mich sehr gefreut habe, dass unser hippes Kreuzberg-Medium mal in meiner alten Konzertheimat Osnabrück aufgeschlagen ist. Und weil es mir immer wieder gut tut, nicht nur in den A-Städten, in denen ich heutzutage leben darf, auf Konzerte zu gehen, sondern hin und wieder auch die alte Heimat zu besuchen – am liebsten mit den Leuten, die mich einst mit Konzerten in Berührung gebracht haben. Das hatte ich zum Beispiel letztens bei Kettcar in Osnabrück, deren allererstes Konzert übrigens im Gleis 22 in Münster stattfand und nicht irgendwo in ihrer Heimat-A-Stadt Hamburg.
Wir allen wissen, dass der Tourmarkt und das Überleben als junge Band oder als kleiner Club gerade alles andere als leicht sind – und trotzdem halten überall in Deutschland viele engagierte Menschen durch und sorgen dafür, dass diese Konzertoasen weiterblühen. Danke dafür!
Deshalb verzeiht mir bitte diesen etwas rührseligen Text, der nicht zum Ziel hat, meine Nostalgie zu füttern, sondern euch alle noch einmal daran zu erinnern, dass Konzerte mit das Tollste sind, was man als junger, kulturinteressierter Mensch erleben kann. Schaut euch also einfach um, was in eurer Studi-Stadt so geht, wie man auch in der Provinz die nächste Konzert-Location erreicht oder fragt gar, ob ihr selbst im AJZ in der Nähe aushelfen könnt, den Laden am Laufen zu halten. Denn auch das habe ich nach hunderten A-Städten-Konzerten gelernt: Manchmal ist die Atmosphäre im kleinen Club in der kleinen Stadt fast magischer als in Berlin oder Hamburg, wo man als Konzertgänger:in halt schon ein wenig verwöhnt ist …

Das neue DIFFUS Print-Magazin
Titelstory: Mit Provinz in die Provinz
Außerdem im Heft: Interviews mit Kayla Shyx, Lisa von Blackpink, Bibiza, Ritter Lean, MCR-T, Caney 030, DJ Koze, Mustafa, Enji, Mia Morgan uvm.