Kosmische Metal-Exkursionen und Crossover Against The System
Blood Incantation – Absolute Elsewhere
Es dürfte eines der großen Metal-Konsensalben des Jahres sein: Blood Incantation setzen mit „Absolute Elsewhere“ neue Maßstäbe in Sachen musikalisch extremer Transzendenz. Über ein Jahr nach den Aufnahmen in den Berliner Hansa Studios (Studiobericht hier) beweist dieses kosmische Death-Prog-Epos, dass der Vierer aus Denver, Colorado sich in den acht Jahren seit dem Release ihres Debütalbums „Starspawn“ zu einer der wegweisenden Bands im Heavy-Sektor gemausert hat.
Auf „Absolute Elsewhere“ haben sich Blood Incantation der Langform verschrieben: Das Album besteht aus zwei rund 20-minütigen Stücken, „The Stargate“ und „The Message“, die für Spotify & Co. in jeweils drei Tablets unterteilt wurden. Die Band hat es irgendwie geschafft, ein ganz eigenes Universum zu schaffen und in diese knapp 44 Minuten Spielzeit zu quetschen. Jedes der beiden Stücke nimmt uns mit in die hellsten und dunkelsten Ecken in dessen unendlichen Weiten.
Der Vierer legt Synthfläche über Synthfläche, Riff über Riff, Detail über Detail, bis dieses vielschichtige Sci-fi-Konstrukt kaum noch in einem einzelnen Hördurchgang zu erfassen ist. Da sind reinere 90’s-Death-Metal-Phasen, in denen Sänger Paul Riedl finster röhrt, die Gitarren kreischen, die Drums blasten. Und da sind die Momente, in denen Prog, Krautrock und Ambient komplett übernehmen – in den spacigen Synth-Traumwelten von „The Stargate [Tablet II]“ etwa, an denen niemand Geringeres als Tangerine Dreams Thorsten Quaeschning mitgewerkelt hat, oder in den reverbverhangenen Clean-Vocal-Parts von „The Message [Tablet II & III]“, deren gedrosseltes Tempo einen nochmal ganz anders rausschiebt.
„Absolute Elsewhere“ ist detailversessen, nerdy, brutal, psychedelisch und vor allem: intensiv. Es schafft wie kaum ein Metal-Album zuvor die Verschmelzung verschiedenster Stile zu einem Erlebnis das größer ist, als die Summe seiner Bestandteile. Fazit: Drittes Auge geöffnet, mind blown.
Fever 333 – Darker White
Es ist eine bittersüße Zeit für Fever 333, hat die Band um Mastermind Jason Aalon Butler doch kurz vor dem Release des neuen Albums aus Mental-Health-Gründen alle geplanten Konzerte, darunter auch eine EU-Tour, absagen müssen. Auf „Darker White“ brennt die Flamme der Band jedoch heller als je zuvor – und macht aus dem Album ein musikalisches wie politisches Manifest.
Systemkritik und Aktivismus standen schon immer im Zentrum von Fever 333, die ähnlich Rage Against The Machine, Musik für die bevorstehende Revolution machen. Auf dem Nachfolger des 2019er Debütalbums „Strength In Numb333rs“ ist die Band im Angesicht von Polizeigewalt, Klassismus und Rassismus so wütend wie eh un je: „The system ain’t broke, they just built it that way“, deklariert Butler an einer Stelle, und an einer anderen: „Guns don’t kill people, cops kill people“.
Dass der Titel „Darker White“ an „The Blackest Beautiful“ von Butlers 2017 aufgelöster Band Letlive erinnert, ergibt Sinn, wenn man Fever 333 als Weiterführung seiner bereits damals existierenden politischen und musikalischen Bestrebungen sieht. Der Sänger, der 2022 die komplette Band neu um sich formieren musste, arbeitet beständig daran, Hip-Hop und Punkrock – beides Musikformen des gesellschaftlichen Umbruchs – zu seinem ganz eigenen, explosiven Amalgam zu verschmelzen. Dabei entstehen düstere Trap-Momente, soulige oder auch mal zuckersüß-poppige Hooks und immer wieder aggressive Ausbrüche. Trotz der Schwere der Materie sind Ohrwürmer da vorprogrammiert.
Heriot – Devoured By The Mouth Of Hell
Schwer zu glauben, dass Heriot jetzt erst ihr Debütalbum veröffentlichen, gelten sie doch bereits seit Jahren als Speerspitze der jungen britischen Metal-Generation. Mit „Devoured By The Mouth Of Hell“ werden sie diesem Hype mehr als gerecht. Dass die Band erst vier Jahre nach ihrer ersten Single ihren ersten Langspieler nachlegt, scheint sich ausgezahlt zu haben, denn die Selbstsicherheit und Vielseitigkeit mit der sie uns ihre Songs in die Magengrube boxen, muss man sich erstmal drauf schaffen.
Die Brit:innen haben sich für ihren Metalcore schon immer gerne bei anderen Genres von Death bis Post-Metal bedient und vermengen die verschiedenen Klangfarben von Heaviness hier zur Perfektion. Große Neuerung und Highlight von „Devoured By The Mouth Of Hell“ ist in diesem Zusammenhang die Clean-Vocal-Überraschung „Opaline“ (später ergänzt um „Lashed“ und „Visage“), die sich von einer Doom-Ballade zum Industrial-Sludge-Brecher aufbaut. Dem generellen Dampfwalzen-Charakter des Albums tut das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: Bereits nach dem tonangebenden Opener-Doppel „Foul Void“ und „Harm Sequence“ bräuchte man eigentlich eine Verschnaufpause.
In den letzten Jahren haben sehr viele Bands versucht, genau dieses Album zu machen. Dass sie es geschafft haben, zeugt davon, dass Heriot eine der definierenden Metal-Bands ihrer Generation werden können.
Hier gehts zur Hard in Here Playlist:
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.

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