DIFFUS

Mach’s (noch einmal) gut, liebes Maifeld Derby!

Posted in: Features

Passt natürlich fast zu gut hier, aber es stimmt sogar: Mein Besuch auf dem Maifeld Derby in diesem Jahr war einer der schönsten Tage in diesem Sommer. Obwohl das Wetter am ersten Juniwochenende ziemlich beschissen war und ich leider nur am Sonntag dabei sein konnte. Aber trotzdem: Kaum hatte ich das Festgelände betreten und mich in den Matsch vor die Bühne gestellt, machte das Maifeld Derby das, was es immer macht: Es zog mich liebevoll aber bestimmt in eine Eskalation aus überraschender Musik, Konzerteuphorie, Rosé-Schorle (lacht nicht, das Zeug knallt besser als jeder andere Drink), geilen Leuten und einem Vibe, der mich immer vergessen lässt, irgendwann auch mal die Bremse zu ziehen.

Die Folgen davon schmerzen zwar am nächsten Morgen ein wenig hinter dem Stirnbereich, aber ich möchte den Moment auch nicht missen, in dem ich in einem Zug von Mannheim nach Irgendwo sitze und zwischen dem Kater Erinnerungen an den Vortag aufblitzen sehe: ein kalter Schauer bei der Erinnerung an Slowdives «Sugar For The Pill» und den Bühnenvisuals dazu, ein gerade noch runtergeschlucktes Fan-Kreischen beim Yeule-Gig (verbunden mit der Frage: Warum spielt Yeule nicht längst in Stadien?!?), ein aufgedreht angeschorlter Talk mit meiner unerwarteten Festivalgang, ein ehrfürchtiger Kloß im Hals in der fünften Reihe bei Chelsea Wolfe, eine Träne bei To Athenas Performance von «Angscht» auf der Reitstadionbühne mit dem tollen Namen „Parcours d’amour“, das kurze Aufblitzen der Vernunft nachts auf dem Campingplatz, verbunden mit den Worten: „Shit. Ich bin total besoffen. Ich muss sofort ins Bett.“

Seit 2012 das Indie-Festival in Mannheim

Das Maifeld Derby ging zum ersten Mal am 20. und 21. Mai an den Start. Festivalgründer Timo Kumpf, der damals noch bei Get Well Soon Bass spielte, war in dem Jahr sozusagen vor, hinter und auf der Bühne aktiv. Neben Konstantin Gropper und seiner Band spielten u. a. Ra Ra Riot, die Mannheim-Buddys Mikroboy, Wallis Bird, Katzenjammer und Hundreds.

Auch DIFFUS hat eine enge Verbindung zum Festival, denn genau in diesem Jahr drehte Magazingründer Torben hier seine allerersten Videointerviews. Props an dieser Stelle an Hundreds-Sängerin Eva Milner, die sich doppelt Zeit nahm, weil bei der ersten Aufnahme leider das Mikro aus war. Im Hintergrund des Clips sieht man die Skelette der Maimarkt-Festzelte, die in den ersten Jahren oft die Kulisse prägten.

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Mein erstes Maifeld Derby

Ich selbst war bei der zweiten Ausgabe im Jahr 2012 ersten Mal auf dem Maifeld Derby und muss ehrlicherweise zugeben, dass es bei mir keine Liebe auf den ersten Blick war. Vielleicht war ich auch ein wenig skeptisch, weil ich eigentlich vermeiden wollte, dass ich mich in Zukunft an diesem Wochenende zwischen dem Immergut Festival und dem Maifeld Derby entscheiden musste. Ich fand das riesige Maimarktgelände bei der ersten Anreise fürchterlich trostlos – viel Beton, viel Parkplatz, angerostete Metallzäune und eben die besagten Festzelt-Skelette.

Dann aber erkannte man, wie sich Timo und sein Team aus der Tristesse heraus eine sehr liebevolle Festivalinsel freigekämpft hatten, bei der fehlendes Budget mit Liebe zum Detail wettgemacht wurde. Als sich das Wetter dann auch endlich von Unwetter mit Sturmböen auf heiter bis wolkig drehte, machte mir das Maifeld zum ersten Mal so richtig Spaß. Auch das Line-up kickte mich. Ich erinnere mich an Blood Red Shoes, einen schon damals redefreudigen Olli Schulz, an Raven mit Frittenbude und an mein leises Seufzen beim Gig von Weakerthans-Frontmann John K. Samson.

Die ersten Nächte auf dem Campingplatz wiederum waren auch speziell. Was zum einen an dem etwas ruppigen, unter dem zarten Gras fürchterlich steinigen Boden lag, zum anderen an einem wirklich sehr vögelfreudigen Pärchen in der Nachbarschaft. Die schafften es sogar in meinen Nachbericht, den ich damals für den „Rolling Stone“ schrieb. Da ich weiß, dass Timo sich damals sehr darüber amüsiert hat und sogar kürzlich anmerkte, dass inzwischen anscheinend leiser gevögelt werden würde, zitiere ich sie hier noch mal: „Wer als Musikjournalist über ein Open-Air berichten will, der muss auch das Treiben auf dem Campingplatz mitnehmen – und eben auch mal morgendliche Beischlafgeräusche aus dem Nebenzelt ertragen, selbst wenn die einen an ein Zitat aus dem Film ‚Fight Club‘ denken lassen, das da heißt: ‚Das ist keine Liebe, das ist Sportf…..‘“.

Der Campingplatz in diesem Jahr (Foto: Florian Trykowski)

Von Bilderbuch über The Kills bis zu James Blake

Bis heute ist jede Derby-Erinnerung, die sich zwischen Dutzenden besuchten Festivals in meinem Hirn behaupten kann, mit diesem Gefühl der Euphorie und des Rauschs verbunden. Nicht, weil ich mich jedes Mal hart betrunken hätte (das vielleicht ganz manchmal auch), sondern weil ich immer geradezu gehetzt entscheiden musste, ob ich jetzt noch eine Weile in einer guten Runde weiterquatsche oder ganz dringend zum nächsten Act springe. Das Line-up wirkte nämlich in fast allen Jahren, als sei es aus meiner Plattensammlung destilliert worden. Timo hatte ein gutes Gespür für Newcomer:innen, die live können und alten Held:innen, die gut zum Vibe des sehr interessierten und oft geschmackssicheren Publikums passten. Ich erinnere mich an Auftritte von James Blake und The National auf der großen Zeltbühne, an Shows von The Kills, Future Islands, Sophie Hunger, Dear Reader (was machen die eigentlich heute?) und Bilderbuch. Und ich weiß noch, als wäre es gestern, wie angefixt und verschwitzt ich aus dem Moshpit von METZ gerannt kam, um mir nur drei Minuten nach dem letzten Akkord ein Bandshirt von ihnen zu kaufen.

Als ich Timo Kumpf für diesen Artikel interviewte, sagte er auf die Frage zu seiner intensivsten Maifeld-Erinnerung: „Ich sehe da nicht einzelne Konzerte, auf die stolz bin, sondern das große Ganze. Das Krassesten und Schönste für mich war all die Jahre eigentlich die Tatsache, dass wir das Jahr für Jahr gestemmt und getoppt haben und das Maifeld Derby zu so einem Ort wurde, wo alle happy waren, wo alles irgendwie leicht ging, wo auf einmal alles, was ich Tage vorher nie gedacht hätte, dass es funktionieren wird, geflutscht hat. Also organisatorisch, inhaltlich, alles ging sich irgendwie aus.“ Orte wie dieser, sagt er, werden in der heutigen Festivallandschaft immer seltener. „Vielleicht fühlte es sich deshalb auch jedes Jahr intensiver an.“

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Das Ende kam nicht unbedingt überraschend

Die Frage, ob wir uns bald vom Maifeld Derby verabschieden müssen, war schon in diesem Jahr Talk of the town. Timo hatte immer sehr offen kommuniziert, wie kräftezehrend und finanziell herausfordernd es ist, dieses Festival zu stemmen. Ein Vortrag von ihm auf dem „Pop-Kultur“ vor einigen Jahren in Berlin trug den schönen Titel „Festival machen – Das dümmste Hobby der Welt?“

Zum Endspurt des Vorverkaufs hatte Timo außerdem schon gedroppt, dass die Lage gerade brenzlich werden kann, weil auch das Maifeld unter den Problemen leidet, die eigentlich alle Indie-Festivals haben: Vorverkäufe gehen zurück, die Kosten sind überall gestiegen, die großen Player können mit Investmentkohle im Rücken viel besser bezahlen und die Bands müssen ihr Auskommen eben überwiegend mit Live-Spielen reinholen. Aber die Entscheidung, nun wirklich zum letzten Rodeo einzureiten, ist ebenso persönlich wie wirtschaftlich. Das kann man schon aus dem offiziellen, von Timo verfassten Statement herauslesen. Darin heißt es: „Und ich schwenke jetzt auch in die Ich-Form. Ich kann mich nicht mehr von Jahr zu Jahr hangeln und weiter in dieser Ungewissheit verharren. Das Maifeld Derby ist eine gemeinnützige GmbH, d.h. es dürf(t)en keine Gewinne ausgeschüttet werden. Aber ich trage das alleinige und volle Risiko und das beschäftigt 365 Tage im Jahr. Bis vor einem Jahr wurde ich vom ehemaligen Bürgermeister Grötsch komplett ignoriert und mir wurde über Jahre hinweg jegliche Förderwürdigkeit über Kleckerbeträge hinaus abgesprochen. Im Zuge der Aufarbeitung bin ich auf so einige unbeantwortete E-Mails gestoßen…“

Einen Absatz weiter spürt man noch deutlicher, dass es einen berichtigten Groll gegen die Stadt Mannheim gibt. „‘Wo soviel Bier getrunken wird, das kann keine Kultur sein‘, wurde mir mal von Unbekannt aus dem Rathaus zitiert. Das hat sich eingebrannt und ist sinnbildlich. Zuletzt hab ich 2023 kurzfristig einen Urlaub abgesagt, um einen Antrag auf institutionelle Förderung zu stellen. Abgelehnt und jegliche Hoffnung gleich wieder begraben. Danke für nichts.“

Liebe in den Augen der ersten Reihe (Foto: Florian Trykowski)

Danke für nichts, Mannheim?

Auf diesen Part angesprochen, sagt Timo: „Mannheim ist seit 2014 ‚UNESCO Creative City of Music‘, aber danach hat sich gar nichts gebessert. Ich wurde mit sehr überschaubaren Summen abgespeist.“ Irgendwie habe er immer das Gefühl gehabt, die Entscheider:innen denken über ihn: „So lange der so blöd ist, das alles selbst zu stemmen und auf Selbstausbeutung zu setzen, läuft’s doch.“ Als Timo 2019 dann die erste Pause ausrief, die ebenfalls verbunden war, mit der Frage, wie und ob man das Maifeld Derby nachhaltig weiterführen kann, sei dann plötzlich Alarmstimmung gewesen. „Trotzdem, wenn man sich Musikstadt schimpft, dann sollte man auch Musik oder Popkultur als Teil der förderbündigen Musik irgendwie anerkennen – vor allem, weil wir da ja wirklich über einen Mindestbedarf sprechen und nicht über riesige Summen. Aber sind halt immer noch veraltete, verkrustete Strukturen, die irgendwelche alten weißen Männer vor Jahren aufgesetzt haben. Vielen von denen bin ich in den letzten 15 Jahren auch überall begegnet. Das war oft so ein Ego-Gerangel und ich kam mir manchmal vor, als wären wir in so einer Provinzstadt-Posse. Inzwischen gibt es da jemanden, der da etwas mehr Farbe reinbringt und engagierter ist. Aber der ist erst seit sechs Monaten im Amt und startet direkt in eine der größten Haushaltskrisen der letzten 20 Jahre. Andererseits bin ich auch ein wenig erleichtert, dass die Förderung nicht zustande kam – dann muss ich meine Entscheidung nicht schon wieder überdenken und lande wieder im Hamsterrad.“

Timo sagt, er habe die politischen Entwicklungen trotzdem noch abwarten wollen: „Es gab kurz die Hoffnung, das Festival mit neuer Förderung etwas stabiler aufstellen zu können, aber das ist dann nicht passiert. Da war die Sache für mich klar. Als ich dann das offizielle Statement online stellte, waren meine Gefühle eher gemischt. Auf der einen Seite war es schon befreiend und die Vorverkäufe können den Effekt, den so eine Ankündigung hat, gut gebrauchen. Nach 14 Jahren Maifeld Derby könnte mich das natürlich auch in eine Identitätskrise stürzen, aber ich habe gerade Lust auf eine komplette Neuerfindung. Deshalb geht es mir ganz gut damit.“

Lambrini Girls beim Maifeld Derby 2024 (Foto: Florian Trykowski)

Zu intensiv gefühlt

Dezente Stimmungsschwankungen bleiben dennoch, wie das eben so ist, wenn eine große Veränderung im Leben ansteht. Auf einmal schaut man doch mit der rosaroten Brille der Nostalgie zurück und vergisst oder verklärt die Probleme und Strapazen. „Ich schließe ja auch nicht aus, dass es vielleicht irgendwann so etwas wie ein Maifeld Derby ligtht gibt“, gesteht Timo. „Das schwankt von Tag zu Tag. Heute hatte ich zum Beispiel wieder einen Riesenspaß dabei, kleine geile Bands zu buchen. Aber morgen kann es dann schon wieder frustig werden.“

Diese intensive, emotionale Verbindung zum Maifeld Derby, die ich aus Fanperspektive spüre, kann als Veranstalter halt auch mal toxisch werden. Timo meint: „Ich glaube, ich habe dieses Festival immer zu intensiv gefühlt und zu ernst genommen. Finanziell, aber auch persönlich. Ich stecke da zu tief drin. Deshalb ist der Schlussstrich reiner Selbstschutz. Als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH trage ich das volle finanzielle Risiko und ich muss viele Teilbereiche ausfüllen, die ich einfach schon immer gehasst habe. Ich liebe es Konzerte zu veranstalten und zu buchen, aber ich bin weder der große Unternehmer, noch bin ich der große Anführer. Letzten Endes ist die Absage auch ein Eingeständnis dieser Erkenntnis. Ich habe da keinen Kampfgeist mehr, weil ich da einfach an meine Grenzen gekommen bin. Außerdem habe ich in dem Jahr, in dem es kein Maifeld gab, gemerkt, dass ein Privatleben auch ganz geil ist. Das kam immer zu kurz, sobald die Vorbereitungen für das Festival losgingen.“

Und auch hier ist Timo sehr ehrlich: Die Entscheidung, das Aus schon jetzt zu kommunizieren, hat natürlich auch einen wirtschaftlichen Hintergrund: „Dieser Schritt und dieses Statement hätten auch nicht viel später kommen dürfen. Sprechen wir mal offen: Ich brauche auch den jetzt zum Glück schon spürbaren Effekt dieser Nachricht auf die Ticketverkäufe. Ich stecke da privat mit meiner Existenz drin. Ich brauche das und ich brauche die Solidarität von Bands, von Helfer:innen aus den letzten Jahren, damit wir das alles noch einmal gewuppt bekommen.“

Könnte das inoffizielle Motto für das letzte Maifeld Derby sein, oder? (Foto: Florian Trykowski)

Save the last Ride!

Auch, wenn ich hier gerade beim Schreiben eine ziemliche Trauer-Fratze tragen, weiß ich als jemand, der mal als Chefredakteur sein Lieblingsmagazin in die Garage fahren durfte / musste, dass jedem Abschied auch ein … ach, ihr wisst, wie es weitergeht. Man könnte hier noch ein paar ausgelatschte aber eben oft wahre Sätze droppen wie: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Oder noch mal fragen, ob wir alle nicht endlich aus der Erkenntnis lernen könnten, dass man manchmal erst weiß, was man an einem Herzensding hat, wenn es ganz und gar verloren ist. Aber besser geht es einem damit halt auch nicht.

Deshalb empfehle ich das, was sich auch bei der Magazin-Sache für bewehrt hat: Wenn es schon einen Abschied geben muss, dann sollte man den mit aller Liebe, aller Begeisterung und aller Euphorie, die wir alle zusammen aufbringen können, feiern – und zwar als gäbe es kein Morgen. Was im Falle des Maifeld Derbys ja sogar stimmt. Lasst uns also den nächsten Sommer so planen, dass sich alle, die ein Herz für das Festival haben, am 30. Mai auf Maimarkt-Gelände treffen, um sich gemeinsam in diese Euphorie zu werfen, die so nur das Maifeld Derby auszulösen vermochte.

Das bisher bestätigte Line-up, Tickets, eine Spendenmöglichkeit und Merch gibt’s hier.

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