Musikvideos der Woche
Ilgen-Nur – Matter Of Time
Alles eine Frage der Zeit, bis ich mich gut fühle. Ilgen-Nur liefern mit dem Video zu ihrem Song „Matter Of Time“ akustischen Glückskeksinhalt, zumindest wenn man sich traut, Gesagtes in die Muttersprache der Hamburger Band zu übersetzen. Auf Englisch klingt das ganze nicht halb so pathetisch, obwohl sich die Sängerin in ihrer Facebook-Biographie zu post-pupertären Texten bekennt. „Sad songs about growing up“, verkleidet in Indie-Pop liest es sich da. Fast schon Ironie des Schicksals, wenn man dann herausfindet, dass die Band bei der Plattenfirma „Sunny Tapes“ untergekommen ist. Ganz anders, als von der obigen Beschreibung post-pupertär zu erwarten, gibt sich Frontsängerin und Namensgeberin der Band Ilgen-Nur Borali ziemlich unbeeindruckt von ihrem Umfeld, melancholisch lässig in den Räumlichkeiten einer Bowling-Anlage und steht damit repräsentativ für das Gefühl einer Generation: Ein bisschen ungewiss in die Zukunft blickend, im Hier und Jetzt aber erstmal eine ruhige Kugel schieben.Dexter – Venus & Mars ft. Waldoe & Kuchenmann
Der weiße Kittel hängt vorübergehend am Haken, stattdessen wird die Hoodie-Beanie-Kombo wieder tragbar für den gebürtigen Heilbronner. Das heißt im Klartext: Dexter, seinen kleinen Patienten und der elterlichen Fanbase wohl besser bekannt als Felix Göppel, tauscht mit seinen Feature-Gästen im Gepäck Praxis gegen Tourleben und bespielt zahleiche Clubs des Landes. Zwischen Soundcheck und Stagetime ist da offensichtlich auch noch Zeit ein Video zu veröffentlichen, dass gar nicht repräsentativer für die kürzlich veröffentlichte EP „Nicht auf Arbeit, sondern Tour“ stehen könnte. Alle bisherigen Tourbesucher und Vornesteher können jetzt mittels Press-Play nach sich selbst Ausschau halten im großen Bewegt-Suchbild. Aber auch alle zu Hause gebliebenen Dexter-Fans haben sehr viel Spaß an der gewohnt lässigen Zusammenkunft Dexters und seiner Feature-Partner, die sich im Video zu „Venus & Mars“ als Antithese zum derzeitigen Who-Is-Who des Deutschraps inszenieren. Dexter verzichtet auf dicke Klunker am Unterarm, gebrandmarkte Shirts, für die Monatsmieten draufgehen und Hustensaft in Plastikflaschen. Viel lieber wird in Vino Rosso und Bianco investiert, als Kinderarzt muss man es ja besser wissen.Dillon – Contact Us
Der einst Albumcover gewordene Blumenschmuck gerät jetzt ganz genau unter die Ästhetik-Lupe – Dillon, mit bürgerlichem Namen Dominique Dillon de Byington, entführt uns in ihrem neuen Video zur aktuellen Platte „Kind“ in einen Botanischen Garten, in dem jede Suche nach Grün ins Leere läuft. Ein schwarzes Loch, in dem rosa-rote Prachtexemplare leise und behutsam vor sich hinblühen, sich zum Takt der Musik entfalten und zu einem späteren Zeitpunkt im Video schon fast eine Art Symbiose mit der ebenfalls rosanen Silhouette der Sängerin eingehen – das lässt uns Dillon im Musikvideo zu „Contact Us“ sehen. Parallel dazu, sehnt sich ihre zerbrechliche Charakter-Stimme nach Berührungspunkten, wenn sie die überschaubare Anzahl an verschiedenen textlichen Motiven im Wechsel aneinander haucht. Dillon, zumindest das lyrische Ich, möchte gehört, gesehen und berührt werden.Juicy Gay – CA$$LER
Juicy Gay aka Juicy Süß tänzelt wieder verträumt auf Häuserdächern oder in Tiefgaragen, heißt: Neues Videomaterial zur aktuellen Single „CA$$LER“ ist veröffentlicht worden. Gewohnt das Gegenteil von Bescheiden verkörpernd, wird mit dem Song einmal mehr ins Rap-Game reingesteppt und eigenen Aussagen zufolge alles niedergerappt, was sich überhaupt Wortakrobat nennt. Juicy steckt sie alle in die Tasche, lieber noch in den Mund, Rapper nur Appetithäppchen vor der allabendlichen Pasta-Ration. Einzig und allein Casper sei aus dem sympathischen Rundum-Bite ausgenommen, ist doch der komplette Song sogar eine Art Hommage an den Rap-Kollegen. Hit-Maschine Juicy Gay offenbar uns seine Inspirationsquelle Nummer eins, während er ganz bodenständig durch die Gegend radelt – die eine Hand am Lenker, die andere mit Gang Signs beschäftigt.Planetarium – Nimm mich
Das aktuelle Video der Kölner Band Planetarium weckt auf den ersten Blick den Eindruck, unsere Großeltern hätten sich ganz still und heimlich an unserem Kleiderschrank bedient. Bomberjacken in Neonfarben und Markenkultur á la Adidas und Fila – des einen oder anderen Lesers Outfit sei hiermit erzählt. Vielleicht haben die im Video posierenden Omas und Opas aber einfach mal in ihrem eigenen Kleiderschrank gekramt und sich in die wieder modern gewordene Retro-Schale geschmissen. So sei also zu allererst vorweg genommen: Wenn es überhaupt jemandem zusteht selten lässig und einen Hauch arrogant mit seinem Kleiderschrankinhalt in abgewrackten Locations verträumt in die Kamera zu schauen, dann unseren Großeltern. Zu unser aller Überraschung können die dann auch noch mindestens genauso gut mit Kippe im Mund, Hände in den Taschen oder auf dem BMX radelnd in U-Bahn-Stationen abhängen. Auch der Nachtclub nicht mehr einzig und allein Territorium unserer Generation, bewegen sich die vermeintlichen Originale ebenso elegant in Nebelschwaden und Trance. Opa ist in diesen knapp dreieinhalb Minuten auch kein Stück erwachsener geworden, wenn er sich auf dem Weg zur überdachten Tanzfläche den Vodka aus der Flasche kippt. „Nimm mich an die Hand, bleib mit mir wach, wenn du kannst“ – unsere Großeltern können.Vega – Ein Schluck
Bevor ihr euch obiges Video in voller Gänze anschaut, sollte für eins bereits im Vorfeld gesorgt sein: Eine Flasche eures Wahlgetränks, das in den kommenden knapp drei Minuten so gut wie geext wird. Denn der Frankfurter Rapper und Labelgründer Vega ist durstig und trinkt auf alles und jeden. Seine Gang, sowie seine Feinde, die Wolkenkratzer gewordenen Wahrzeichen seiner Heimatstadt und die noch ausstehende Million. Mit jedem Schluck gibt es dann auch ein Rap-Klischee auf dem Silbertablett serviert. Frauen, die in Kreisen des Rappers bevorzugt in der Taunusstraße angetroffen werden, dicke Karren, Klunker, Drogen und das SEK, das seinem Umfeld scheinbar gern über die Schulter schaut. Started-from-the-bottom-Ansagen, die zwar auf Dialekt verzichten, nicht aber auf die Glorifizierung der hessischen Millionenstadt. 
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