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So war das Hurricane Festival 2023: Nachbericht, Videos, Fotos

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Man fragt sich ja schon manchmal, wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Städtchen in der zur Stader Geest gehörenden Wümmeniederung unweit der Nordheide – sprich irgendwo mittig zwischen Bremen und Hamburg – zum Schauplatz eines Tradtions-Festivals werden konnte. Aber Scheeßel kennt man seit Mitte der 90er in internationalen Booking-Kreisen und wer gut mit Gitarrenmusik und großen Festivals kann, hat das Hurricane ebenfalls auf dem Zettel. Über die Jahre haben es die Veranstalter:innen dabei geschafft, das Gelände um den Eichenring für ein Publikum von in diesem Jahr rund 77.500 Menschen so zu trimmen und so auszurüsten, dass man trotz der Größe recht entspannt zwischen den drei offenen und der Zeltbühne variieren kann.

Zumindest, wenn das Wetter mitspielt – was in der Historie des Hurricane nicht immer der Fall ist. 2006 konnten die Headliner Muse nicht mehr spielen, weil ein Unwetter die ganze Gegend plattmachte: Dafür schrieben Gnarls Barkley ein schönes Kapitel Festivalgeschichte, als sie im Zelt ihren Hit „Crazy“ spielten und draußen Petrus den Verstand verlor. 2016 ging dann das #hurricaneswimteam viral, als es fast das gesamten Wochenende durchregnete, die Besucher:innen immer wieder ins Auto musste bei den zahlreichen Gewitterwarnungen, dann aber das Beste draus machten und eine Schlammparty veranstalteten.

Land unter bei Madsen

Warum uns gerade dieser Wetter-Exkurs in die Hurricane-Historie einfällt? Weil es in diesem Jahr die perfekte Gedächtnis-Stunde dafür gab. Witze über den Namen Hurricane in Verbindung mit den Wetterextremen der Wümmeniederung sind ja schon fast eine eigene Stilform, deshalb hat Petrus in diesem Jahr am Samstag eine Stunde lang die Schleusen geöffnet und versucht, den Madsen-Gig zu ersäufen. Geklappt hat das nicht. Ungefähr 30 Sekunden, nachdem wir für unsere „Vorher / Nachher“-Sofortbildaktion die Band auf der Bühne fotografiert hatten, und Sebastian Madsen die ersten Strophe des ersten Songs sang, ging ein Wolkenbruch runter, der den Namen verdiente.

Ohne mit der Wimper zu zucken, spielten Madsen weiter bzw. legten sich noch mehr ins Zeug. Der Blick von der Bühne aufs Publikum war dabei eine reine Freude. Circle Pits, Polonaisen, glückliche, laut singenden Gesichter, trotz des massiven Regens. Nach dem Gig wars dann auch schon wieder vorbei und man freute sich, dass es danach ein paar Stunden mal nicht staubte.

Alte Recken und Studi-Soundtrack

Ein anderer Grund, warum wir noch mal die Geschichte des Festivals aufrollen, ist dieser: In diesem Jahr hat man deutlicher denn je gesehen, dass die Macher:innen nicht beschlossen haben, gemeinsam mit den Fans ins Grab zu reiten, wie es andere Festivals und Musikmagazine tun. Das Line-up fährt vielmehr zweigleisig: Man kann sich mit alten Recken wie Anti-Flag, Frank Turner, Queens Of The Stone Age, Billy Talent, Muse, Sondaschule, Die Ärzte oder Pascow bei Laune halten, oder aber, man feiert eben das, was gerade in geschmackssicheren Kreisen zwischen Abi, Studium und ersten Jobs gefeiert wird – 01099, Nina Chuba, Provinz,  BHZ, Majan. Auf der Pressekonferenz konnte man auf Nachfrage erfahren, dass das, anhand von Ticketkaufdaten ermittelte, Durchschnittsalter zwischen 23,5 und 25 Jahren liegt. Das ist eine recht erstaunliche Zahl, bei einem Festival, das 1997 zum ersten Mal an den Start ging.

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„Love Songs“ bei Sonnenuntergang

Es ist natürlich wie immer ein Ding der Unmöglichkeit, ein Festival dieser Größenordnung komplett in einem Text einzufangen. Deshalb hier nur eine kleine Auswahl der zahlreichen Highlights. Peter Fox war wohl jener Act, der die Generationen am ehesten zusammenbrachte. Bei seinem Sonnenuntergangs-Slot lieferte er die smoothen „Love Songs“ seines letzten Albums, ausgewählte Seeed-Classics, „Stadtaffe“-Banger wie „Schwarz zu Blau“ und „Alles neu“. Die Bühne war dabei voller Tänzer:innen – professionellen sowie vorher ausgewählten Anfänger:innen (die allerdings erstaunlich viel konnten) – und Peter Fox gab den so gar nicht hüftsteifen Sympathen – der ganz nebenbei eine der lustigsten Ansagen des Festivals hatte: „Ich weiß, wir sind hier in Deutschland, aber wir klatschen hier bitte nicht auf der eins.“

Kraftklub fordern Solidarität und Randale

Eine der besten Ansagen kam am gleichen Abend von Kraftklub, die – neben Casper, Chvrches und Nina Chuba – zeigten, dass die zweitgrößte Bühne der eigentliche Place To Be war. Felix sagte auf der Bühne vor dem Song „Randale“: „Ich will jetzt nicht irgendwie Applaus einheimsen, ich will nicht irgendwas erzählen, das andere vor uns schon wesentlich ausführlicher und wesentlich besser erzählt haben“. Aber, sein Appell sei: „Solidarität! Und glaubt den Betroffenen!“ Es sei in den letzten Tagen „so viel Scheiße ans Tageslicht“ gekommen, dass man sich schäme, als Mann auf der Bühne zu stehen. „Manchmal verändern sich Sachen eben nicht von alleine. Manchmal, Hurricane, braucht es für Veränderungen so’n bisschen Randale.“

Außerweltliches Finale bei Casper

Auch Bosse, der vor und auf der Stage den vielleicht größten Chor des Festivals versammelte, forderte vor seinem Song „Paradies“ „Solidarität mit den Betroffenen von sexueller Gewalt“. Zuvor hatten sich schon Acts wie Donots und auch Madsen öffentlich geäußert, was generell nach den Vorwürfen gegen Till Lindemann von Rammstein eine gute Idee ist. Gewinner des Wochenendes war für viele Casper. Wir hätten selbst nicht gedacht, dass er uns nochmal so umhaut, nachdem er schon im letzten Jahr sein aktuelles Album spektakulär auf die Bühne gebracht hatte, aber diese Abend war außerweltlich gut. Mit einer speziellen Bühnenbrücke über den Publikum, seinem wild wuchernden Bühnenbild, einer fantastischen Band, Gästen wie Drangsal und Tua, Songs von alt bis neu, „viel Puffpaff“ (wie Casper uns im Interview sagte) und vor allem mit 150 Prozent Casper-Energie, lieferte er das beste Samstagsfinale, das man sich vorstellen konnte.

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Frühaufsteher:innen werden belohnt

Es lohnte sich dabei immer auch, morgens und nachmittags von Bühne zu Bühne zu streifen. Da gewannen die Musikerinnen von My Ugly Clementine mit ansteckender Spielfreude viele neue Fans, Akne Kid Joe feixten, sie seien ja nur „wegen der Flinta-Quote“ gebucht und rauschten so euphorisiert durch ihr Set, dass die Setlist schon vor Ende des Konzerts durch war – man also einen Hit zweimal hörte. Kelsy Karter & The Heroines lieferte schon zur Mittasgzeit Rock’n’Roll auf Anschlag, Ashnikko füllt mit ihrer Energie und ihrem Punk-meets-Hyperpop-Sound jede Bühnengröße ganz alleine, Tash Sultana spielte wie immer gefühlt 13 Instrumente gleichzeitig und/oder hintereinander und Gayle, deren „abcdefu“ immer noch bei TikTok heißläuft, ist eine der charismatischten und besten Newcomer:innen der letzten Jahre.

Zum Dorfkrug Live und Gefühls-Achterbahn bei Badmómzjay

Auch viele Acts, die DIFFUS eng verbunden sind, überzeugten auf ganzer Linie: 01099, BHZ, Provinz, Domiziana, Donots, Trettmann, Majan, RIN und natürlich Zugezogen Maskulin, die nicht nur mit Antje Schomaker das perfekte Opening lieferten, sondern am Samstag mit einer Live-Aufnahme ihres Podcasts „Zum Dorfkrug“ einen tollten Start in den Programmtag lieferten. Badmómzjay zeigte am Samstag die perfekte Ballance zwischen tough und verletzlich. Während ihre Rap-Skills viele Kollegen alt aussehen lassen, waren ihre Ansagen geradezu herzwärmend. Vor allem vor „Supernova“, jener Ballade über ihren abwesenden Vater. Sie fragte zunächst, wer mit nur einem Elternteil aufgewachsen sei. Als tatsächlich recht viele den Arm hoben, gab sie den Frauen, die sie großgezogen haben, Props und musste nach dem Song sogar selbst ein wenig weinen. Außerdem sagte sie: „Ich bin sehr dankbar, auf einem Festival wie diesem spielen zu dürfen. Ich weiß, dass es sonst eher rocklastig ist.“ Wie gut ihr Set bei der sehr großen Crowd ankam, bewies dann wieder einmal, dass Rock eben gerade friedlich neben modernen Rap bestehen kann.

NNDW bis zum Einlassstop und Allis Bühnen-Swag

Drei Gewinner:innen des Wochenendes sollten hier aber auch noch mal gehighlightet werden: Zum einen hat man spätestens bei der Performance von „Jil Sander Sun“ gemerkt, dass Betterov auf dem Weg ist ein ganz Großer zu werden. Dieser Pathos, diese Wucht, das schon jetzt textsichere Publikum – all das machte sein Set auf der Zeltbühne ziemlich eindrucksvoll. Und last but not least, freuen wir uns, Edwin Rosen beim Herzen-Gewinnen zuzuschauen. Nicht nur war er einer der entspanntesten Vorher-Nachher-Foto-Künstler, er sorgte auch dafür, dass das Zelt zum ersten Mal am Wochenende einen Einlassstopp ausrief.

Als schon beim zweiten Song „Verschwende deine Zeit“ tausende von Anfang bis Ende mitsangen, wusste man, dass man von ihm noch spannende Dinge erwarten kann. Und dann wäre doch noch Alli Neumann – bei der man einfach mal appreciaten muss, wie sehr sie die deutsche Musiklandschaft bereichert. Ihre sehr eigenen Texte, ihre politisch stabile Haltung, ihr zeitloser Bühnen-Swag, ihr Style, ihr Sound, der gängigen Hypes entgegenläuft und trotzdem überzeugt – das ergibt immer wieder eine Show, der man noch größeren Bühnen wünscht.

Luft nach oben gibt es immer

Ihr merkt also: Wir sind noch ein wenig beseelt von diesem riesigen Festival, das erstaunlich entspannt und euphorisch zugleich sein konnte. Es gibt natürlich noch einiges, was man verbessern kann: Zum Beispiel könnte sich die Einsicht ausbreiten, dass viele Flinta-Bands gerade die reinen Jungs-Bands an die Wand spielen und man sie nicht immer auf die Nachmittagsslots legen muss. Der gute Wille ist erkennbar, aber im Line-up gibt’s immer wieder ein paar – manchmal auch sehr teure – Männers-Acts, bei denen man sich fragt, was denn ihre Bühnengröße und ihre Gagen rechtfertigt. Wir würden uns also sehr freuen, wenn sich das bis zum nächsten Jahr ein wenig deutlicher ändert …

Alle Interviews und Fotos

Wir haben zahlreiche Musiker:innen beim Hurricane Festival für kurzweilige Interviews und Vorher-Nachher-Fotos getroffen. Alle Interviews findet ihr auf unseren YouTube Shorts, Instagram Reel und TikTok-Kanälen, die Fotos gibt’s drüben bei Instagram.

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Außerdem im Heft: Interviews mit badmómzjay, t-low, Magda, Paula Engels, fcukers, Betterov uvm. Außerdem große Reportagen über Kneipenkultur, Queer Rage und Essays!