So war es beim HipHop Open 2023 in Stuttgart
„Schön, dass du wieder da bist“, HipHop Open! „Wir haben uns lang nicht mehr gesehen“. Um es mit den Worten des Stuttgarter Rappers Max Herre und Sängerin Joy Denalane zu sagen. Ihre Ode „1ste Liebe“ von 2004 an die Hip-Hop-Stadt Stuttgart machte das HipHop Open 2023 als Highlight zum Abschluss auf der Stuttgarter Grabkapelle mit einem Benefiz Konzert komplett. Doch spulen wir kurz nochmal ganz zurück…
Im Jahr 2000 fand das Hiphop Open zum ersten Mal statt. Also im Prinzip in dem Jahr, in dem die durchschnittlichen Besucher:innen der diesjährigen Ausgabe des Festivals geboren sind. Denn als „Deutschrap-Mami“ Kitty Kat ihre Crowd-Umfrage „Wo sind meine 80er-Jahrgänge?“ startete, waren die Fan-Reaktionen zumindest deutlich leiser als die der 90er-, geschweige denn der 00er-Jahrgänge. Die haben nämlich richtig Stimmung gemacht, als sie gefragt waren. Aber wirklich groß geworden sind sie mit dem HipHop Open wohl eher nicht. Denn seit 2015 war erstmal für acht Jahre Funkstille bei dem Festival, das seit jeher nationale sowie internationale Acts der Hip-Hop-Szene zusammenbrachte. Eine schon fast schmerzlich-lange Zeit für eine Hip-Hop-Metropole wie Stuttgart.
Gruppenkuscheln und K.I.Z-Gesänge
Nun ist das HipHop Open endlich wieder zurück auf dem Gelände des Cannstatter Wasen, wo auch das traditionelle Frühlingsfest stattfindet, neben VfB-Stadion, Porsche Arena und Hans-Martin-Schleyer-Halle. Rund 25.000 Hip-Hop-Fans pilgerten hier zur Comeback-Ausgabe hin. Für die ein oder anderen mag es sich wirklich nach einer Pilgerschaft angefühlt haben, denn aufgrund einer Baustelle (ach, stimmt, wir sind ja in der Stadt der ewigen Baustellen) fuhren keine Sonderzüge und Bahnen direkt zum Gelände. Zumindest konnten sich so Wochenend-Pendler:innen oder Stadtbesucher:innen auf gemeinsames Gruppenkuscheln in den Stadtbahnen sowie auf K.I.Z-Gesänge und Fußball-Parolen von euphorisierten Hip-Hop-Fans freuen (oder halt auch nicht…).
Bootsfahrt im Regen mit 102 Boyz bis hin zum Moshpit-Tornado bei OG Keemo
Und um es einigen anderen großen Festivals gleich zu tun, wie zum Beispiel dem Hurricane oder Southside, war auch der erste Tag des HipHop Open mit Regenwasser getauft. Aber ein echter Hip-Hop-Fan ist wasserfest. „Wir sind ja schließlich nicht aus Zucker“, wie Badmomzjay ihren Fans zurief. Für teure Regen-Effekte wie sonst nur bei einer Taylor Swift-Show, einen echten Regenbogen, passend zur parallel-laufenden CSD-Parade in Stuttgart und einer Abendsonne wie in einem Disney-Film sorgten die Wettergötter in diesem Jahr ganz von selbst. Während die einen am ersten Tag noch mit nassen Klamotten heim sind, gab’s Sonnenbrand-Gesichter am nächsten Tag. Bei den 102 Boyz wirkte der Regen jedenfalls schon wie ein Teil der Show, während sie sich in einem Boot sitzend durch die Menge tragen ließen.
Nach dem ersten großen Moshpit des Tages war der Regen weniger spektakulär als der blankgezogene One-Pack von Chapo102. Und der durfte seinen hart erarbeiteten und noch nicht ganz trockenen Kessel bei Rapper-Kollege Pashanim nur wenige Stunden später erneut präsentieren. Der hat, mit oder ohne Hilfe der 102 Boyz, eine absolute Abriss-Show hingelegt. Um die über 600 Kilometer lange Strecke nicht umsonst zurückgelegt zu haben, lautete die Ansage: „Lasst uns alles zerreißen!“. Die darauffolgende Reaktion und Aktion der Crowd entlockte aus Pashanim unter der Cap ein von Herzen kommendes: „Ich küsse eure Augen“ und ein „Ihr seid sehr stark!“.
Dem gleichziehen konnte am nächsten Tag der Meenzer-Jung OG Keemo, welcher außerdem Kwam.E im Gepäck hatte, der ebenfalls nach seinem eigenen Auftritt überraschend bei Keemo auf die Bühne sprang. Und sind wir doch mal ehrlich, die beiden waren ja wohl das absolute Dreamteam des Tages. Für sie gab es jedenfalls viele Küsse zurück in Form einer hochmotivierten Crowd mit starker Moshpit-Power.
Sido und Nachrücker-Act Kool Savas bringen Generationen zusammen
Ob es Ski Aggu durch sein Feature mit Comedian Otto Waalkes und der Wiedergeburt von „Friesenjung“ geschafft hat, bei den 80er- und Anfang-90er-Kids präsent zu sein, ist noch fraglich. Alle jüngeren hat er in jedem Fall ausnahmslos vor die Bühne gelockt. Auch Acts wie $oho Bani, Yung Hurn und Kelvyn Colt haben besonders ihre Fans der 00er springen lassen. Doch Sido und Nachrücker-Act Kool Savas brachten alle Hip-Hop-Generationen wieder zusammen und füllten die Reihen bis hinter den dritten Wellenbrecher. Ob mit „Bilder im Kopf“ oder „Mein Block“ – der Mann mit dem mittlerweile grauen Langbart und Fischermütze wirkte fresher denn je! Auch Kool Savas, der statt Aitch auf die Bühne kam, wurde nicht nur von seinen treuen Fans, sondern auch von Badmómzjay persönlich auf der Bühne als bester Rapper Deutschlands gefeiert. Und hatte vor allem eine Message: Peace für alle, die nicht in Frieden leben dürfen!
Nicht genug Zeit für Kwam.E
Mehr Liebe sorgt bekanntlich auch für mehr Frieden auf diesem Planeten. Und die kam vom selbsternannten „Rapper mit mehr Stil“ Kwam.E mit gigantischen Rapskills und vielen verbalen Küssen auf unsere Herzen. Und wir sind uns sicher: Diesem Rapper gebührt im kommenden Jahr eine ganze Headliner Show (Nur ein kleiner Tipp am Rande!). Schon fast gestresst wirkte der Hamburger nämlich, als er immer wieder betonte, dass er nur eine halbe Stunde habe und ihm nicht viel Zeit bleibe. Mit Hits wie „Hallow Kitty“ und „Roadrunner“ war der Kreis aber schneller offen, als er selbst gedacht hatte.
Layla mit den Moves und textsichere Juju-Fans
Musikerinnen und Rapperinnen wie beispielsweise Bounty & Cocoa, Dilla, LIZ, Kitty Kat, Badmómzjay, Domiziana und Alewya mischen grad so richtig die Hip-Hop-Szene auf. So war Layla mit ihrer DJ und zwei Tänzerinnen am Start und das übrigens zum allerersten Mal. Eine Premiere war ebenfalls die Performance ihrer neusten Single „Taste“, zu der sie auf der Mainstage eine komplette Choreografie für die HipHop Open-Crowd mitgebracht hatte.
Am Abend folgte dann Rapperin Juju mit ihrer gesamten Band und dem Support von Rapperin Aylo. Dass sie auf der Second Mainstage spielte, dementsprechend ohne Videoübertragung, ermöglichte es leider nur den vorderen Reihen, ihre energiegeladene Aura zu sehen und zu spüren. Schade eigentlich, denn die war mitreißend und emotional zugleich. Vor allem als sich für ihre Akustik-Ballade „Wenn du mich siehst“ auf einen Sockel setzte und mit ihrem Gitarristen ihre Gesangsstimme zum Besten gab. Doch spätestens nach ihren Aufrufen „Prost, ihr Säcke!“ waren Tausende Fans vor der Bühne mit einem „Prost, du Sack!“ zurück wieder mitten im Rap-Fieber. Dabei gab es für Juju selbst wirklich kaum etwas auszusetzen, außer dass sie nicht in Berlin war. Doch diesen Schmerz nahm ihr zum Glück Sarah aus dem Publikum, die sie für ihren Song „Intro“ mit auf die Bühne nahm. Die bereits etablierte Aktion ist mittlerweile bei Juju-Fans bekannt. Und zum allerersten Mal rappte ein Juju-Hardcore-Fan aus dem Publikum wirklich alles bis zum Ende mit.
Ein Finale mit Herz-Rhythmus-Massage à la Trettmann und Feuerwerk nach K.I.Z
Als Headliner am ersten Tag massierte Trettmanns Bass die Hip-Hop-Herzen. Mit altbekannter Schwarz-Weiß-Optik und Sonnenbrille versammelte der fast 50-Jährige ca. 12.000 Menschen vor seiner Bühne. Das Lichtermeer aus Handytaschenlampen und Feuerzeugen hat beinahe endlos gewirkt, als er seinen Song „New York“ performte. Dabei vergaß er nicht, diese Momente auch für seine Tochter mitaufzunehmen und rannte mit seinem Handy in der Hand für einen kurzen Moment die Bühne hoch und runter. Stuttgart ist und bleibt ihm nicht nur durch’s HipHop Open in guter Erinnerung, sondern auch durch seine zahlreichen Dancehall-Parties, die er in vergangenen Jahren hier öfter besuchte, wie er erzählte.
Doch wer leider durch die fehlende Zugabe schweren Herzens nach Hause gehen musste, konnte umso mehr Energie sparen für den finalen Headliner K.I.Z am darauffolgenden Tag. Und die hatten mal wieder ALLES dabei – auch humoreske Ansagen wie „Stuttgart, du könntest überall auf dieser Welt sein, aber du hast dich entschieden, hier zu sein!“ oder selbstironischen Fragen wie „Nach 20 Jahren sind wir wieder zurück! Wie findet ihr unsere Performance, dafür, dass wir schon fast 50 sind?“ Natürlich wissen wir alle, dass K.I.Z erstens während ihrer Shows mal die ein oder andere sinnbefreite Rede schwingen, die aber immer wieder mit einen schlauen Twist aus Parodie und Gesellschaftskritik endet und zweitens natürlich so abreißen, dass für gewöhnlich nur das Mitmachen im Moshpit die einzige Überlebensstrategie ist. Aber mit all den friedlichen Hiphop-Flossen, wie sie es selbst sagen, waren selbst die unausweichlichen Gerangellagen ein versöhnliches Good-Bye-Pogen, welches mit einem bunten Feuerwerk über der Festival-Bühne endete.
Mit Badmómzjay zwischen komplett asozial und herzerwärmend
„Meint ihr, Stuttgart kann komplett asozial sein?“, feuerte Badmómzjay direkt zu Beginn an. „…mal den Respekt vor uns selber verlieren!? Zusammen durchdrehen!?“ Während ihre Rap-Skills viele Kollegen alt aussehen lassen, sind ihre Ansagen nicht nur tough, sondern auch emotional. Vor allem vor ihrer balladigsten Nummer „Supernova“, in der sie über ihren abwesenden Vater singt. Auf dem HipHop Open stand sie mit einem Selbstbewusstsein auf der Bühne, wie die absolute Queen of Rap, die uns hier und da auch mal ihre verletzliche, menschliche Seite zeigt.
Learnings für 2024
Aufgrund ihres hohen Bestrebens nach maximaler Sicherheit war es für die meisten Festivalbesucher:innen des HipHop Open leider kaum mehr möglich, ihre Acts hautnah zu erleben, wenn sie nicht schon Stunden früher vor der Bühne waren oder während der sehr schnell hintereinander ablaufenden Shows über das Festivalgelände sprinten wollten. Wer einmal raus aus dem Bereich vor dem ersten Wellenbrecher war, kam kaum erneut durch die Absperrung – daher lautete der Schlachtplan für die Hardcore-Fans: Bleibt wo ihr seid. Das verhinderte aber natürlich auch die Möglichkeit, andere Festival-Besucher:innen nach vorne vor die Bühne zu lassen.
Zu einem Instagram-Kommentar, der sich kritisch zur Organisation des Festival äußerte, zeigte sich das HipHop Open jedoch absolut kritikfähig und lernbereit: „Wir versichern, dass euch, dass wir diese Aufplanung für 2024 anpassen und verbessern werden. Wir hätten euch auch vor Ort besser informieren müssen und werden dafür unter anderem kommendes Jahr unser Awareness Team […] vergrößern […]. […] Wir nehmen all euren Input ernst und werden damit das Konzept für kommendes Jahr entsprechend verbessern.“
Orga-Chaos wegen Sicherheitsbedenken sind als Festivalbesucher:in natürlich schwerst frustrierend, die Vorsicht der Veranstaltenden ist aber durchaus verständlich, wenn man berücksichtigt, dass das Rolling Loud, das kurz zuvor in München über die Bühne ging, wegen fehlender Kontrolle über die Crowd fast abgebrochen werden musste. Von diesen vereinzelten Wehrmutstropfen mal abgesehen, überwiegt bei uns aber definitiv die Freude über das Comeback dieses traditionsreichen Festivals. Oder, um es nochmal in den Worten von Max Herre und Joy Denalane zu sagen: „Schön, dass du wieder da bist“, HipHop Open!
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