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Was uns die KI-Band The Velvet Sundown lehren kann

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The Velvet Sundown klingen exakt so wie das „Bandfoto“ auf Spotify und Co. vermuten lässt: Sie liefern 70s-inspirierten, psychedelischen, spirituell aufgeladenen Lagerfeuer-Fuckboy-(Pferde)-Schwanz-Indie mit leicht nasalem, melancholisch anmutendem Gesang und Khruangbin-Gitarren. Die Band ist dabei auffällig produktiv: Das Debütalbum von The Velvet Sundown – das ultra-deep betitelte, 13 Song lange „Floating On Echoes“ – kam am 5. Juni, das ebenfalls 13 Song lange „Dust and Silence“ (mit Liedern wie „Where The Rebels Meet“) kam am 20. Juni und das, wieder 13 Song lange „Paper Sun Rebellion“ ist für Mitte Juli angekündigt.

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Gute Playlist-Platzierungen werfen Fragen auf

The Velvet Sundown haben inzwischen über eine halbe Million monthly Listeners bei Spotify. Man findet ihre Lieder in gut platzierten Playlisten wie „Vietnam War Music“ (kein Scheiss), „Good Mornings – Happily Positive Music To Start The Day“ oder „Heartbreak Hits“. Und The Velvet Sundown sind in offiziell aussehenden Playlisten mit den Soundtracks zu den Serien und Filmen „Supernatural“, „Twilight“, „The OC Soundtrack“, „Lucifer“, „Suits“, „Pulp Fiction“ und „The Vampire Diaries“ …

Wer genau dahintersteckt, weiß man bis heute nicht so recht. Aber, dass sie zumindest in sehr großen Teilen ein K.I.-Produkt sind, zweifelt niemand mehr an. Das sieht man schon an den „Bandfotos“, die diesen kalten Midjourney-Glanz haben – und man glaubt es eben auch in der Musik zu hören, die klingt, als hätte man bei Suno AI den passenden Prompt eingegeben für „70s-inspirierten, psychedelischen, spirituell aufgeladenen Lagerfeuer-Fuckboy-(Pferde)-Schwanz-Indie.“

Während auf dem Instagram-Account (der übrigens den Satz „Saving Modern Rock“ in der Bio hat) ein paar billo Bandfotos mit Referenzen an Queen und die Beatles geteilt werden, gibt es auch einen X-Account, auf dem es zum Beispiel heißt:

Ein Sprecher der Band redet von einem „Kunst Hoax“

Was übrigens nicht stimmt. Wir versuchen seit einer Woche, die „Band“ zu erreichen und haben ihnen angeboten, über die „haltlosen K.I.“-Vorwürfe zu sprechen und bekamen keine Antwort. Der amerikanische „Rolling Stone“ hatte da mehr Glück. Die Redakteure und Autoren David Browne und Brian Hiatt telefonierten mit dem vermeintlichen Sprecher der Band, der sich an Andrew Frelon nennt. Frelon gab zu, dass man die Software Suno benutzt habe, um die Musik von The Velvet Sundown zu generieren. Außerdem gab er zu: „Es ist Marketing. Es ist Trolling. Früher hat es niemanden interessiert, was wir gemacht haben, und jetzt reden wir plötzlich mit dem Rolling Stone, und alle fragen: ‚Ist das falsch?‘“

Frelon gibt zu, dass er sich sehr für „Kunst Hoaxes“ interessiere. Ihn haben vor allem die „Leeds 13“ fasziniert. Eine Gruppe von britischen Kunststudenten, die gefälschte Fotos von sich gemacht haben, wie sie ihre Stipendien an einem Strand verprassen – das wurde zu einem riesigen Skandal. Frelon meint: „Ich finde das wirklich interessant… Wir leben heute in einer Welt, in der Dinge, die gefälscht sind, manchmal sogar mehr Wirkung haben als Dinge, die echt sind. Das ist zwar verrückt, aber es ist die Realität, mit der wir heute konfrontiert sind. Die Frage ist also: Sollen wir diese Realität ignorieren? Sollen wir diese Dinge ignorieren, die sich auf einer Kontinuum zwischen real und gefälscht oder einer Mischung aus beidem bewegen? Oder sollen wir uns darauf einlassen und es einfach zur neuen Sprache des Internets werden lassen?“

Laut Andrew Frelon habe man die Suno-K.I. vor allem zu Brainstorming-Zwecken genutzt und nur einige Songs – er werde nicht sagen welche – seien komplett Suno-generiert. Er habe dazu das „Persona“-Feature genutzt, das es ermöglicht, durchgehend die gleiche Stimme für den Sänger zu generieren. Das benutzt zum Beispiel auch Produzent Timbaland für seine virtuelle Sängerin TaTa.

@themarinerapper

MUSIC INDUSTRY COOKED! 😂 @timbaland new AI recording artist TaTa already dropping visuals faster than you. She in BLEEP MODE. Get to work humans! Billboard, Rolling Stone and Hot97 co-signed! Video by: @themarinerapper #themarinerapper #tmr #military #marines #timbaland #ai #aivideo #aiartist #aimusiclabel #aimusicvideodirector #tata #apop #kpop

♬ original sound – TMR

Was ist denn eigentlich Fake-Folk?

Nachdem der Ärger über diese Dreistigkeit ein wenig verflogen ist, können wir heute ein wenig klarer sehen, welche ja durchaus interessanten Fragen diese Band triggert. Eine erste Erkenntnis ist eigentlich ziemlich traurig: Die Musik von The Velvet Sundown klingt auch nicht generischer als so einige Bands, die im ähnlichen Stilsegment unterwegs sind. Was man sicher über jedes Genre sagen kann: Wenn Musik zu formelhaft wird, bzw. keine charismatischen Charaktere die Formelhaftigkeit eines Genres sprengen können, wird es schnell ähnlich beliebig wie zum Beispiel der Velvet Sundown-Song „End The Pain“ klingt, den man in diesem Fall durchaus wörtlich nehmen kann.

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Schuld daran ist oft auch eine bestimmte Form der Produktion: Vor allem im Indie-Folk, aber auch im Alternative-Rock, im Grunge, im Rap, im Metal gibt es schnell die Tendenz, ein eher roughes, authentisches Genre mit einer sehr kalkulierten „fetten“ Produktion für einen größeren Markt zugänglich zu machen. Es mag Beispiele geben, wo auf diese Weise ein wirklich guter Sound entstand, aber wir alle kennen mit Sicherheit einen Act, bei dem man genau merkte, wann das „Durchbruchs-Album“ angesagt war. Was ja auch durchaus aufgehen kann – man denke nur „Only By The Night“ von Kings of Leon.

Warum lassen die Streamingdienste diese „Karriere“ zu?

Eine der spannendsten Fragen hat der „Sprecher“ der Band im „Rolling Stone“ leider nicht beantwortet – angeblich, weil er dafür nicht zuständig sei: Wie kann es sein, dass ihre Musik in vielen, verhältnismäßig großen Spotify-Playlisten auftaucht? Wo sie sich teilweise so gut einfügt, dass man es beim Nebenbei-Hören gar nicht gemerkt hätte? Mischt man Songs wie „Where The Rebels Meet“, „End The Pain“ oder „The Wind Still Knows Our Name“ in die passende Indie-Playlist, wird der eine oder die andere sich diese Lieder todsicher speichern.

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Dass sich die Streamingplattformen nicht darum scheren, ist dann schon erstaunlich bis erschreckend. Wobei Deezer zumindest kürzlich ankündigte, K.I. ab sofort mit einem gut sichtbaren Tag zu markieren. Als der Streamingdienst das vor einigen Wochen ankündigte, lieferte er auch gleich etwas schockierende Zahlen mit und verriet, dass 18 Prozent der täglich bei Deezer hochgeladenen Lieder reine K.I.-Produkte sind – das beträfe täglich im Schnitt 20.000 Stücke. Bei Spotify dürften das noch mehr sein – und ihr System scheint anfällig. Da ist es logisch, dass viel darin eine Chance sehen: Wer K.I.-Musik produziert und sie auf die Plattform und in Playlisten bekommt, hat eine Möglichkeit, damit Geld zu verdienen.

Fake Music für die Playlisten?

Damit passiert den Musikstreamingplattformen natürlich das, womit auch TikTok und YouTube „kämpfen“. Wobei: Kämpfen sie überhaupt damit? Oder freuen sie sich, dass eine riesige Content-Menge noch mehr Reichweite generiert? Die meisten Musikfans vermuten letzteres. Und das ist ein weiterer spannender Punkt dieser Diskussion: Obwohl zum Beispiel Spotify der meistgenutzte Musikstreamingdienst ist, richtete sich ein Großteil des Hates und des Entsetzens gegen diese Firma.  

Viele vermuteten schnell, Spotify wolle Geld sparen, indem man gut laufende Mood-Playlisten in Teilen mit eigens produzierten K.I.-Songs auffüllt, damit man sich für ein paar Acts die Tantiemen spart. Im November letzten Jahres sagte deren Co-Präsident Gustav Soderstrom allerdings noch, Spotify werde das nicht tun. Andererseits wurde kürzlich bekannt, dass Spotify-Chef Daniel Ek gerade mit einem von ihm gegründeten Fonds rund 600 Millionen Dollar in die Firma Helsing investiert hat, die K.I.-Tools für den Militäreinsatz entwickelt – und auch wenn das natürlich moralischer Whataboutism ist, wundert es uns nicht, dass viele Kreative diesem Typen nicht trauen.

Wie stehen die Majorlabels zu dieser Musik?

Auch gegen die Majorlabels wird als Reaktion auf The Velvet Sundown geschossen. Dazu muss man wissen: Anfang Juni berichtete das „Wall Street Journal“, dass Universal, Sony und Warner in Verhandlungen mit den K.I.-Musik-Start-ups Suno und Udio seien. Noch Monate vorher hatte man diese verklagt und geschrieben, diese Firmen hätten, um ihre K.I.-Modelle zu trainieren, Urheberrechte „in einem fast unvorstellbaren Ausmaß“ verletzt. Nun verhandele man aber über Lizenzgebühren und technische Standards wie Content-IDs, die dokumentieren, welcher Song benutzt wurde. Aber die Majors wollen laut „Wall Street Journal“ auch „aktiv an den musikbezogenen Produkten der KI-Unternehmen mitwirken, einschließlich eines Mitspracherechts bei der Entwicklung und Funktionsweise der Produkte.“

Die negative Reaktion in Richtung der Labels ist interessant. Im Grunde treten diese ja für die Rechte ihrer Künstler:innen ein. Aber auch hier – ähnlich wie bei Spotify – ist die Skepsis groß, ob das wirklich alles den Künstler:innen zugutekommt. Der Berliner Rapper Amewu postete dazu diesen interessanten Take:

History repeating also? Die Parallele zum Umgang mit illegalen Downloads und der Rettung durch Streamingmodelle ist zumindest naheliegend. Im Zentrum dieser Kritik steht aber auch wieder die Empfindung, das gängige System sei unfair und viele – vor allem kleinere Artists – hätten kaum reale Chancen von der Musik leben zu können, während die Labels dank des Streamingbooms gut verdienen würden.

Haben Lieder eine Art Aura, die man mit K.I. nicht generieren oder simulieren kann?

Letztlich berühren The Velvet Sundown aber auch sehr spannende, eher philosophische Fragen: Sie haben sich musikalisch ausgerechnet für ein Genre entschieden, dessen Vertreter:innen gerne Werte wie Authentizität und Bodenständigkeit für sich beanspruchen. Obwohl viele dieser Musiker:innen dann eben auch keine durch die Weiten der USA oder Norwegens streifende Naturmenschen sind, sondern vielleicht doch nur Nepo-Babies, die an Pophochschulen studiert haben und gerne Baumwollhemden tragen. Im Angesicht dieser Fakeband, schimmert die Fakeness vieler realer Kolleg:innen dann auch ein wenig erkennbarer durch.

Positiv betrachtet, kann man aber auch vorzüglich darüber sinnieren, was Musik am Ende berührend und/oder authentisch macht. Hat ein Lied eine gewisse Aura, die man technisch nicht reproduzieren kann? Ist Musik nur halb so berührend, wenn sie nicht an reale Menschen geknüpft ist, die man auf Bühnen oder am Merchstand stehen sehen kann? Verstärken The Velvet Sundown mit ihrem „Erfolg“ vielleicht schon den Ekel, den einige gegenüber dieser unnatürlich glatten K.I.-Bild- und Soundästhetik haben?

Hier wird es noch mal ganz anders interessant – aber wenn wir das jetzt noch ausformulieren würden, sind wir schnell auf Buchlänge angekommen …

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