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Das weisse Album: Haftbefehl erzählt von Höhenflügen und Stürzen im Leben als Rapstar

Posted in: Features

„Das weisse Album“: Eine Anspielung auf das Beatles-Album, Kontrastprogramm zum Jay-Z-Album oder eine Huldigung des weißen Pulvers, über das Haftbefehl so gerne rappt? Wir wissen es nicht genau, irgendwie stimmt aber wahrscheinlich alles. Was wir jedoch wissen ist, dass Haftbefehl fünf Jahre nach seinem letzten Mixtape „Unzensiert“ endlich zurück ist. Womit? Mit Geschichten aus einer Welt, die in den Medien nicht wirklich stattfindet und von der Politik oft unter den Teppich gekehrt wird. „Das weisse Album“ beinhaltet Musik, die maßgeblich von Haftbefehls turbulentem Lebensweg beeinflusst ist. Auch die lange Wartezeit auf das neue Projekt kann man sich durch sein bisheriges Leben erschließen. Erste Erklärungen gab Haftbefehl in der Vorab-Single „Bolon“, die er im März zusammen mit dem Albumtitel präsentierte: „Chabos scheißen auf Schule / Scheißen auf Okul / Anstatt Buch im Rucksack Schnuff / Waffen, Rapper sein Idol“ rappt Haftbefehl über den Alltag im Block.

Haftbefehl – Bolon

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1985 geboren in Offenbach am Main, wuchs Aykut Anhan inmitten der Mainpark-Blocks auf: Einer sozial benachteiligten Gegend, in der mehrheitlich Migranten leben. Um diesem Leben zu entfliehen, wählen viele Jugendliche die Karriere auf der Straße: Drogen verkaufen am Frankfurter Hauptbahnhof. Diesen Weg schlug schon Aykuts Vater ein, der daran zerbrochen ist und Suizid beging. Zurück ließ er den 14-jährigen Aykut, seine Mutter und seine beiden Brüder in einer 40 Quadratmeter großen Wohnung. Aykut stürzte sich innerhalb kürzester Zeit in das Straßenleben und wurde kriminell. Nach wenigen Jahren hatte er so viele Anzeigen und Vorstrafen angesammelt, dass die Flucht nach Instanbul zu Verwandten die einzige Möglichkeit war, einer weiteren Haftstrafe zu entgehen. Diese Phase seines Lebens begann Haftbefehl auf seinem Album „Russisch Roulette“ mit der 1999-Reihe zu erzählen, die er auf seinem neuen Album mit einer weiteren Trilogie fortsetzt. „Cops sind stark, doch ich robb‘ das Gras / Szene Oscar-reif im Maybach-Mercedes / Pack’ die Plomben ab, mit Glock am Sack / Fuck auf Cops, ich bin ein Mainpark-Baby“, rappt er im fünften Part und beschreibt seinen damaligen Alltag.

Haftbefehl – 1999 Part. 5

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„Die Zeit in Istabul hat mich abgebremst. Ich hab mich voll verändert. Vorher hab ich nicht so viel nachgedacht“ erzählt der Rapper im Dokumentationsfilm „Der Haftbefehl von Haftbefehl“. Mit 20 entschied er sich, nach Offenbach zurückzukehren und sich der Polizei zu stellen. Er bekam Auflagen, unter denen er weiter in Freiheit leben könnte. Seine Ausbildungsstelle besuchte er nur selten. Eher fiel er zurück in alte Muster, war auf der Suche nach dem großen Geld und eröfffnete ein Wettbüro, in dem er mehr in die Automaten steckte, als er zu dem Zeitpunkt verdiente. 2010 brach er mit „Ich nehm dir alles weg“ und seinen Parts für „Halt die Fresse“ sämtliche Deutschrap YouTube-Rekorde, wurde anfänglich allerdings belächelt. Wie keiner zuvor rappte Haftbefehl in seinem eigenen Slang, der sich „Kanackiş“ nennt, warf Reimschemata über Bord und verpasste mit jeder Zeile einen Schlag in die Fresse der Gesellschaft, die ihn nicht akzeptiert. Mit der Expertise seiner jahrelangen Straßenerfahrung rappte er über das Leben, das viele seiner Freunde immer noch ihren Alltag nennen. Auch zehn Jahre später hat sich daran nichts geändert. „Ich hab‘ den Rücken an der Wand, deal‘ Gramm, Kilo, Tonn’n / Ich liefer‘ Kokain in Plomben, Ali Hanf aus Niederland“ so die Hook von „RADW“.

Haftbefehl – RADW

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Egal was Haftbefehl gemacht hat, er löste damit eine noch nie da gewesene Faszination aus. „Ja Ja Ve Ve“, „Gestern Gallus, Heute Charts“ oder „Sommernacht in Offenbach“: Er beschrieb, wie man trotz fehlendem Schulabschluss an Geld kommt. Spätestens mit „Chabos wissen wer der Babo ist“ sollte er aber auch Menschen begeistern, die mit Kriminalität und Migration keine Berührungspunkte haben: die Mittelschicht. Der Song wird über Handys auf Schulhöfen und über billige Boxen auf WG-Partys abgespielt. Die Lyrics versteht damals kaum jemand, nachrappen kann sie trotzdem jeder und egal ob in Köln, München oder Berlin: „Nix mit Hollywood – Frankfurt Brudi“. Haftbefehl brachte die Stadt am Main wieder auf die deutsche Rap-Landkarte und das stärker als je zuvor. Das ging so weit, dass Universal Music dem Rapper einen Deal anbot. Haftbefehl lieferte nach unterschriebenem Vertrag mit „Russisch Roulette“ sein bis dato erfolgreichstes Album und zeigte, dass seine Story noch lange nicht auserzählt ist. Erstmals rappte er auf dem Album reflektiert über seine Vergangenheit. Es geht um die die Narben seiner Seele, über den Teufel im Kopf und seine verlorene Jugend: Themen, die auch auf dem „Weissen Album“ wiederzufinden sind. In „Depression & Schmerz“ mit seinem Bruder Capo erzählt er davon, wie ihn seine Vergangenheit geprägt hat und wie kalt sein Herz dadurch geworden ist. Wenn Haftbefehl nicht gerade wehmütig über seine Vergangenheit nachdenkt, dreht er so richtig auf. „Du baust den Beat, versucht ihn so laut wie möglich zu machen und ich schrei einfach rein, Bruder! Und wir kämpfen einfach: eins gegen eins“, so seine Anweisung an den Produzenten Ben Bazzazian, der schon seit Haftbefehls erstem Album an den Reglern sitz und bis auf eine Ausnahme auch „Das weisse Album“ produziert hat. Wenn der Bass richtig dröhnt, ist Haftbefehl „Conan der Barbar“, fährt „im Maybach durch Moskau“, ist „für immer reich“ und der „Trapking“. Da kann es schon mal passieren, dass Haftbefehl Auto-Tune-Rappern Kopfnüsse verpasst und im nächsten Moment selbst mit Auto-Tune um die Ecke kommt. Was andere davon halten, hat den Offenbacher noch nie interessiert und das wird sich auch nicht ändern. Das macht ihn zum letzten überbleibenden Rockstar der Szene. Er ist ein authentisches Produkt seiner Sozialisation im Block.

Haftbefehl – Morgenstern

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Auf seinem neuen Album nimmt uns Haftbefehl mit auf eine Reise durch sein Leben: Von den Mainpark-Blocks bis zum Zenit seines Erfolgs. Mit seiner Musik steigt er aus dem Problemviertel zu einer Lichtgestalt des Deutschrap auf. Dass er das geschafft hat, wovon er immer geträumt hat, schreit er in Tracks wie „Für immer reich“, „KMDF“ und „Ice“ aus sich raus und zeigt es allen, die nie an ihn geglaubt haben. Der Druck, den man in der aufgeladenen Stimme von Haftbefehl hört, zeigt, wie besessen er vom Erfolg war und phasenweise immer noch ist. Er war so besessen, dass er tagelang auf Koks im Hotel wach blieb und die Beziehung zu seiner heutigen Frau riskierte, wie er im Song „Hotelzimmer“ verrät. „Das weisse Album“ verdeutlicht, dass eine so traumatische Jugend und die Narben, die man daraus mitnimmt, durch Erfolg und Geld nicht einfach so verschwinden. Vielmehr muss man diese Erlebnisse verarbeiten und sich seiner Vergangenheit stellen. Das hat Haftbefehl in den letzen Jahren getan und auf diesem Album äußerst eindrucksvoll mit uns geteilt.

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