Hard In Here – mit Sightless Pit, Fågelle und Scáth Na Déithe
Sightless Pit – Lockstep Bloodwar
Ich habe es in der letzten Ausgabe bereits angekündigt: Ich muss mal wieder ein Release aus dem Full-Of-Hell-Kosmos hypen. Diesmal geht es um Sightless Pit, das Projekt von Fronter Dylan Walker und The-Body-Drummer Lee Buford, das 2020 (damals noch mit Kristin Hayter a.k.a. Lingua Ignota) sein hervorragendes Debüt „Grave Of A Dog“ veröffentlicht hat.
Mit „Lockstep Bloodwar“ haben die musikalischen Grenzgänger nun, wie üblich, ein Album gemacht, für das irgendwie noch das richtige Vokabular fehlt. Ist das Hip-Hop? Electronica? In den Songs schwingen Trip-Hop, Horrorcore, Trap Metal, Ambient und Industrial mit, doch jeder Track ist weitaus mehr als die Summe seiner Teile.
Das eröffnende Song-Doppel „Resin On A Knife“ mit Slowcore-Ikone Midwife und „Calcified Glass“ mit Experimental-Musikerin YoshimiO sowie der im Januar überraschend verstorbenen Ex-Three-6-Mafia-Rapperin Gangsta Boo ist das Beste, was ich bislang in diesem Jahr hören durfte – und die Qualität der Track- und Gästeliste lässt hintenraus nicht nach. Hatte ich etwas anderes erwartet? Natürlich nicht.
Fågelle – Den svenska vreden
Nachdem das Jahr aus Release-Perspektive sehr langsam gestartet ist, erschien zeitgleich mit „Lockstep Bloodwar“ gleich noch eines meiner am sehnlichsten erwarteten Releases 2023: Die schwedische Singer/Songwriterin und Experimental-Pop-Musikerin Fågelle (Foto) hat ihr neues Album „Den svenska vreden“ veröffentlicht. Die erste Songauskopplung „Ingenting“ habe ich im Ohr, seitdem ich sie im Frühjahr 2022 erstmals live erleben durfte, und generell ging mir diese Klangkünstlerin mit ihrer rohen Mischung aus Wut und Verletzlichkeit seitdem nicht mehr aus dem Kopf.
„Den svenska vreden“ („Der schwedische Zorn“) ist in weiten Teilen weniger traditionelles Singer/Songwriter-Album denn poetische Soundcollage. Harmonie und Dissonanz, Melodie und Distortion befinden sich hier im stetigen Wechselspiel – nicht als Kontrahenten, sondern als verschiedene Facetten dieses ambiguen Dings namens Leben.
Scáth Na Déithe – Virulent Providence
Okay, okay, es gibt tatsächlich auch richtigen Metal in dieser Ausgabe: Das irische Ein-Mann-Black-Metal-Projekt Scáth Na Déithe („Schatten der Götter“) hat sein neues Album „Virulent Providence“ veröffentlicht, das (Streaming-Algorithmen und TikTok-Aufmerksamkeitsspannen zum Trotz) aus zwei etwa 20-minütigen Tracks besteht. Cathal Hughes, der Musiker hinter diesem Projekt, beschäftigt sich in seinen gleichermaßen atmosphärischen wie kruden Songs mit der Folklore und oft grausamen sowie tragischen Geschichte seiner Heimat. Auf diesem Album etwa zitiert er das Volkslied „Amhrán na bPrátaí Dubha“ („Das Lied der schwarzen Kartoffeln“), das während der Zeit der Großen Hungersnot 1845-1849 entstand.
Das alles muss man natürlich nicht wissen, um „Virulent Providence“ genießen zu können, aber die Verankerung in den Grauen der Vergangenheit macht dieses ohnehin schon einnehmende Album noch intensiver. Dass nur eine Person für die Dynamik, Detailliertheit und Vielseitigkeit dieser beiden epischen Tracks verantwortlich ist, die sich zu einem überlebensgroßen Monument des Schmerzes aufbauen, ist gelinde gesagt beeindruckend.
Nagirčalmmiid – Down To The Bone
Ganz fresh gibt es außerdem noch einen neuen Song des Death-Doom-Duos Nagirčalmmiid – zwei Teens aus Trondheim, die zwar noch nicht viel veröffentlicht, jedoch seit ihrem Auftritt beim norwegischen Newcomer-Festival By:Larm 2021 für ordentlich Aufsehen gesorgt haben. Neben der traditionellen Sámi-Kultur widmet sich die Band auch linkspolitischen Messages – lieb’ ich ja (wie man hier zum Beispiel nachlesen kann)! „Down To The Bone“ ist weniger Stoner-rockig und ein bisschen kaputter als ihre bisherigen Songs, was mir durchaus zusagt und mich noch gespannter macht auf das erste Album, das in diesem Jahr erscheinen soll.
Die Playlist zur Kolumne:
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.
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