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„Wer in unsere Kultur eintauchen will, muss mit uns zusammenarbeiten“: Kelvyn Colt und Serious Klein über die Initiative „Tough As You“ von Dr. Martens

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Die Macher:innen der wohl berühmtesten Boots der Welt haben im vergangenen Jahr die Initiative „Tough As You“ gestartet. Die Idee: Erfahrene Mentor:innen wählen junge Acts, Künstler:innen, Produzent:innen oder Organisationen aus, die konstruktiv unterstützt und begleitet werden. In Deutschland sind die beiden Musiker Kelvyn Colt und Serious Klein für Dr. Martens am Start, die uns bereits im ersten Teil dieses Interviews erklärten, wie sie ihre Rolle als Mentoren ausfüllen werden (verlinken mit Teil 1). Im zweiten und letzten Teil des Gesprächs geht es um den Impact von Black Lives Matter in Deutschland, um Rassismus-Erfahrungen in der eigenen Szene, und warum wie sie mit ihren Engagement bei „Tough As You“ vor allem  BIPoCs in der Musikszene supporten wollen.

Werbung: Dieser Beitrag ist in Kooperation mit Dr. Martens entstanden und der zweite Teil eines längeren Interviews. Den ersten Teil findet ihr hier.

Wir sprachen zuletzt über eure Arbeit für die BIPoC-Community. Lasst uns daran direkt anknüpfen: Als Black Lives Matter vor zwei Jahren in Amerika Fahrt aufnahm, hatte das bis heute einen spürbaren kulturellen Impact. Ich habe das Gefühl, dass man es an den Büchern, den Filmen und den Platten merkt, die seitdem in Amerika herauskommen, dass vor allem in der Musik- und in der Kulturbranche nun viele etablierte und lange Jahre von weißen Männern geführte Firmen und Verlage ihre Hausaufgaben machen und tatsächlich Platz schaffen für diversere Künstler:innen, für Migrationsgeschichten, für schmerzhafte Einsichten über Herkunft, verinnerlichtem Rassismus und Ungleichheit. Aber mir kommt es vor, dass Deutschland nach einer kurzen Phase der Zustimmung eher langsam in Gang kommt, wenn es darum geht, Dinge zu ändern. Wie schätzt ihr das ein?

Kelvyn Colt: Ja, da sagst du was. Und es ist nicht nur so, dass diese Leute dann empört sind, wenn man andeutet, dass sie vielleicht rassistisch denken oder handeln, sondern dann wiederum viel Redezeit und Diskursraum einnehmen, um sich über diese vermeintliche Ungerechtigkeit auszulassen. Da gab es doch diese eine Talkshow, wo eine komplett deutsche und weiße Gesprächsrunde über Rassismus schwadroniert und sich fragt, ob man noch das N- und das Z-Wort sagen darf. Das ist symptomatisch für Deutschland. Ich meine: Hey, ich liebe es hier und alles, aber wir haben alte weiße Männer, die über Abtreibung entscheiden wollen, wir haben einen Raum weißer Menschen, die über Rassismus sprechen und wir haben eine Gruppe von Menschen, die niemals wohnungslos waren, die das Problem der Obdachlosigkeit lösen sollen. Und ich habe sogar in meinem engen Bekanntenkreis jemanden, der mir sagt: „Ist mir völlig egal, ob du weiß, schwarz, grün oder gelb bist. Das Konzept Hautfarbe ist mir fremd.“ Und ich muss ihm dann sagen: „Ja, Mann. Du bist ja auch weiß. Danke, dass du nicht akzeptierst, dass meine Erfahrungen in der Hinsicht von deiner abweichen und ich jeden Tag spüre, dass es hier eben NICHT egal ist, wenn man wie du aussiehst.“ Wenn ich mit Marken zusammenarbeite, höre ich auch immer zuerst: „Hey, wir wollen Diversity pushen. We want to shine a light an BIPoC-People!“ Ist ja schön, dass sie das wollen, aber das ist gerade eben auch ein Trend. Künstler wie Serious und ich müssen aufpassen, dass wir nicht einfach ein Feigenblatt sind, weil es gerade ein Trend in der Werbung ist, sich weltoffen und tolerant zu zeigen. Und wenn dann eine Marke ein paar Monate Scheiße baut, weil sie einen rassistischen Werbeclip raushaut, der bei der Abnahme nicht aufgefallen ist, weil niemand was Schlimmes drin gesehen hat, sind wir am Arsch und müssen uns anhören, wie zum Henker wir bloß mit dieser Scheißmarke zusammenarbeiten konnten. Ich sage dann am Anfang einer Kooperation: „Hey, das find ich cool, dass ihr das machen wollt. Dann sagt mir doch mal, wie viele BIPoC people bei euch arbeiten?“ Wer in unsere Kultur eintauchen und sie für seine Brand inszenieren will, der muss auch bereit sein, mit uns auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten. Oder sich zumindest von einer Agentur beraten lassen, die Diversity Trainings und Sensibilitätsschulungen macht. Der Part ist dann für die Firmen eher unangenehm, weil man selbst in den Spiegel schauen muss. Aber ich will auch nicht so negativ sein: Ich spüre immerhin, dass die Menschen daran arbeiten, da grundlegende Dinge zu ändern. Für mich war es zum Beispiel wichtig, dass Patrick Mushatsi-Kareba 2018 CEO bei Sony wurde. Ich habe mit diesem Label zwar auch eine eher durchwachsene Geschichte, aber das habe ich gefeiert.

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Serious Klein: Wenn es um Black Lives Matter und unserem Movement hierzulande geht, würde ich sagen: We’re still in baby steps. Deutschland ist immer noch sehr ignorant, wenn es darum geht, Toleranz zu zeigen und Diversität zu fördern. Man kann es förmlich riechen, wenn jemand nur so tut, weil es gerade eben auch als trendy und zeitgemäß angesehen wird, und damit auf dieser Welle reiten will. Ich kenne Brands und Partner:innen, bei denen ich weiß, dass sie seit Jahren BIPoCs fördern und anstellen und ich kenne welche, die mit dir arbeiten wollen, aber dann nervös werden, wenn es politisch wird. Einmal sollte ich für eine dieser Marken ein offizielles Statement zu Black Lives Matter geben, weil sie sich das selbst nicht trauten. Und das ist falsch. Sich vermeintliche Neutralität bei diesem Thema zu bewahren, ist eben auch ein Privileg. Es sollte auch kein Trend sein, Chancengleichheit erreichen oder ein guter Mensch werden zu wollen. Was mich bei den Reaktionen auf Black Lives Matter in Deutschland störte, war, dass viele so taten, als wüssten sie nicht, warum wir so wütend und laut sind. Ich glaube, für einige dieser Menschen ist Ignoranz schon Teil ihrer DNA. Aber ich bin da bei Kelvyn: Es ändert sich langsam was. Man sollte auch die kleinen Veränderungen wertschätzen und dass es überhaupt einen Fortschritt in diesem Prozess gibt.

Eine letzte Frage hätte ich noch: Ich habe im Vorfeld viel über den Namen der Initiative nachgedacht. „Tough as You“ gefällt mir eigentlich sehr gut. Aber das Wort und das Konzept „Toughness“ hat gerade im Rap ja viele Facetten, einige davon nicht unproblematisch oder gar toxisch, gerade in Verbindung mit Männlichkeit. Es gibt sehr harten, tough spielenden Rap, der das oft mit übersteigertem Testosteron-Gehabe und Sexismus an den Mann bringt. Und selbst bei den jüngeren, eher progressiveren Rap-Crews werden dann doch immer wieder mal sexistische Lines benutzt. Ihr rappt oft über Themen wie Depressionen, habt teilweise sehr gefühlvolle Stücke, verhandelt religiöse Fragen – wie denkt ihr über dieses Konzept „Toughness“ in Verbindung mit Rap?

KC: Ich weiß ja, wo es herkommt bei mir. Ich bin ein Mann, ich bin Schwarz, einer der wenigen in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin – da musste ich mir auch eine gewisse Toughness zulegen. Gleichzeitig wurde ich komplett von den Frauen in meiner Familie großgezogen, deswegen habe ich glaube ich einen sehr direkten Zugang zu meinen Emotionen und kein Problem damit, die zu teilen. Für meine Musik galt das also schon immer, aber in den letzten anderthalb Jahren habe ich viel an mir gearbeitet, das auch im persönlichen Leben zu vertiefen. Aber was die Toughness in der Musik angeht: Es kommt halt darauf an, was du mit einem Track erzielen willst. Es gibt auch von mir Nummern, die – wenn man mich und meinem Background nicht kennt – nach Testosteron-Überschuss klingen. Manchmal brauche ich diesen Wild Shit und dieses Vokabular, weil es eine sehr rohe, unvermittelte Energie hervorbringt. Wenn man das allerdings nur macht, wird es schnell eindimensional. I can’t really judge anyone for it … – aber jeder sollte reflektieren, was er da raushaut und wie er gesehen wird. Natürlich kann man da in einer tieferen Diskussion in die Frage reingehen, wo das herkommt, und warum viele ihre Emotionen hinter dieser Attitüde verstecken, aber das würde den Rahmen dieses Gesprächs noch mehr sprengen.

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SK: Du hast gerade das Wort „toxisch“ benutzt – ich würde das nicht automatisch mit „Toughness“ gleichsetzen. Tough zu sein, bedeutet für mich eher, schwierige Dinge durchlebt zu haben und drüber sprechen zu können. Das macht dich tough. Im Rap waren es anfangs oft die Dinge, die man auf der Straße gelernt hat, die da vermittelt wurden – und da ging es eben härter zu. Heute kann man allerdings auch über den mentalen Struggle rappen, die bestimmte Erfahrungen mit sich bringen. Es gibt also viele Perspektiven in dieser Frage. Ich habe anfangs 50 Cent geliebt oder generell Gangsta Rap. Dann entdeckte ich aber Leute wie Nas und Tupac, die schon damals zeigten, dass man verletzlich und voller Fehler sein kann. Später kamen dann Leute wie J. Cole oder Kendrick Lamar dazu. Bei ihnen fühlte ich mich noch mehr verstanden. Ich bin nun mal der Typ, der inzwischen darüber rappt, was ich liebe, was mich inspiriert und was ich erleben musste, um an diesen Punkt zu kommen. Und ich bin immer noch da – so yeah, I would say I’m tough, too.

Die Ziele der Mentee-Projekte von Kelvyn Colt

Kyle Flamigni
Der junge Künstler, Produzent und Mix Engineer aus Berlin wird im Rahmen von „Tough As You“ in seinem Kyanite Studio mit jungen Acts arbeiten. Er ist ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Studio Space, Fachwissen und Plattformen zu bieten. Ein Ziel ist es, innerhalb der Kampagne einen Sampler aufzunehmen, der das Potential dieser Acts abbildet, auch Workshops mit jungen Engineers und Produzent:innen wären möglich.

ROOTS Berlin (BIPoC-Kollektiv aus Berlin)
Das Kollektiv ROOTS Berlin arbeitet seit geraumer Zeit daran, der BIPoC-Community Plattformen zur Vernetzung und zur Weiterbildung zu bieten. Im Rahmen von „Tough As You“ wollen sie diese Aktivitäten auf den Musikbereich ausrichten, BIPoC-Artists supporten und educaten und auf diese Weise weiterhin die Music Community stärken.

Die Ziele der Mentee-Projekte von Serious Klein:

Oroko Radio
Serious Klein möchte mit „Tough As You“ vor allem Plattformen schaffen und fördern, die ihm am Anfang seiner Karriere nicht zur Verfügung standen. Der Support von Nico Adomako und seiner Online-Plattform Radio Oroko unterstreicht diesen Ansatz. Der in Berlin und im ghanaischen Accra wirkende Adomako – der nicht nur DJ, sondern auch Event Manager und Networker ist – möchte mit seiner Arbeit Acts in der afrikanischen Diaspora fördern und ihnen in Clubs und in seinem Radio eine Bühne bieten.

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