Kommt mit Oasis und Pulp der Britpop zurück oder wird er nur kurz aufgewärmt?
Die ersten Schritte von Pulp zurück ins Studio begannen im Rahmen ihrer Proben zur ersten Comeback-Tour, bei der es eigentlich keine neue Musik geben sollte. Jarvis Cocker erzählte es in einem Interview kürzlich so: „Als wir 2023 wieder tourten, probten wir einen neuen Song namens ‚The Hymn of the North‘, bevor wir ihn dann in der Sheffield Arenaspielten. Das schien alle Schleusen zu öffnen: Mit der ersten Jahreshälfte 2024 hatten wir dann die restlichen Songs beisammen. Einige von ihnen greifen allerdings noch Ideen aus dem letzten Jahrhundert auf.“
24 Jahre nach ihrem letzten Album melden sich Pulp nun also zurück – mit einer Platte, die passenderweise „More“ heißt. Ein Werk, das vermutlich klingen wird wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Produziert von James Ford, kündigt schon die Vorabsingle „Spike Island“ an, was die Fans erwartet: eine Mischung aus hymnischen Synths, dramatischen Streichern und bittersüßer Melancholie. Nostalgie? Klar. Aber nicht nur. Mit der Ankündigung kam auch ein Zusatz: „Keine KI war an diesem Prozess beteiligt.“ Ein augenzwinkerndes Statement (weil das Video dazu sehr wohl auf nicht richtig funktionierende KI setzt) und gleichzeitig eine klare Positionierung. „More“ steht für analoge Handschrift und den ikonischen Pulp-Stil – und trifft damit einen Nerv.
Denn Pulp sind nicht allein: 2025 markiert das Jahr, in dem der Britpop zurück ist: Auf Plattentellern, Festivalbühnen und Tourplänen. Neben Pulp formieren sich auch andere Größen der Ära neu, allen voran Oasis, deren lang erwartete Reunion-Tour kurz bevorsteht. Doch warum erleben ausgerechnet jetzt jene Bands ein Comeback, die einst als Soundtrack einer selbstironischen, zynischen Generation galten? Und was erzählt uns dieser Hype über die Gegenwart?
Die goldene Britpop-Ära
Das Genre, oder viel mehr das Phänomen Britpop etablierte sich in den 1990er Jahren und bildete zu dieser Zeit etwa das britische Pendant zum US-amerikanischen Grunge, der zur selben Zeit seine Hochphase erlebte. Der Sound war eingängig, emotional, oft trotzdem tanzbar und hatte dabei stets eine starke, selbstbewusste, oft ironische, Haltung. Vorbilder waren hier britische Größen vergangener Generationen wie beispielsweise die Beatles oder David Bowie, die ihren popkulturellen Einfluss mit der nationalen Identität verschmelzen. Britpop macht es ihnen nach und trug dabei etwas dicker auf.
Dabei vertraten die großen Britpopper ihrer Generation verschiedene Lager. Die Working-Class-Helden Oasis aus dem Norden Englands standen für rohe Energie, Authentizität und ihre große Klappe: Die Gallaghers trugen ihre Herkunft wie ein Ehrenabzeichen – „mad fer it“ und Pint in der Hand.
Ihnen gegenüber stand die Band Blur. Sie etablierten sich als sanftere Version des Britpop, verstanden sich als intellektuell. Damon Albarn & Co. spielten mit Klischees der britischen Mittelschicht, referenzieren Popkultur wie ein Soziologie-Seminar („Parklife“, „Country House“) und standen für eine Londoner Coolness, die Oasis nie interessierte.
Aus diesen Gegenpolen entstand zu der damaligen Zeit ein Duell, das bis heute weitergetragen wird. Wer verkauft mehr Platten? Wer bekommt mehr Stadien voll? Und die Allerwichtigste aller Fragen unter Musikfans der 90er: Bist du Oasis- oder Blur-Fan? Denn beides geht nicht!
Pulp gestalteten sich währenddessen als Außenseiter mit Kunsthochschul-Charme. Jarvis Cocker erzählte Geschichten aus der Vorstadt mit einem Blick für das Absurde, das Schmutzige und das Erotische („Common People“, „Disco 2000“). Pulp waren nie wirklich Mainstream – und gerade das machte sie so besonders.
Aber auch Bands wie Echo Belly, Suede, Elastica, oder The Verve hinterließen bleibenden Einfluss auf die Kultur des damaligen britischen Pop. Mit einer Masse an Musik, Kunst und Fashion war eine neue Ära geboren: Britpop war der Sound einer Generation, die an sich und ihre Zukunft glaubte. Mitte der 90er schien in Großbritannien alles möglich: In den Clubs lief Pulp, auf der Leinwand flimmerte „Trainspotting“, auf den Straßen trugen Kids Fred Perry und Adidas Gazelle.
„Cool Britannia“ war das Schlagwort dieser Aufbruchsstimmung – eine Renaissance der Jugendkultur, die sich auch die Politik zunutze machte. Tony Blair und seine New-Labour-Partei inszenierten sich als jung und modern, und als Oasis-Gitarrist Noel Gallagher im Salon der Downing Street auftauchte, war das wie ein Ritterschlag für die Popkultur. Doch der Traum war kurz. Viele Musiker:innen fühlten sich später instrumentalisiert, der Hype flachte ab – erst musikalisch, dann gesellschaftlich. Was blieb, war die Erinnerung an eine Zeit, in der Musik, Mode und Politik für einen kurzen Moment dieselbe Sprache verstanden.
Back for Good: Warum der Britpop wieder ankommt
Was damals Aufbruch war, schallt bis heute nach. Und es scheint laut und deutlich gehört zu werden. Die Wiederauferstehung des Britpop ist dabei kein Zufall, sondern Ausdruck eines kollektiven Gefühls – und eines im Angesicht ihrer Bandhistorie sensationellen Comebacks.
Als die ersten Gerüchte über eine Oasis-Reunion-Tour die Runde machten, folgte ein erbitterter Ticketkampf, bei dem selbst eingefleischte Fans oft leer ausgingen. Und der Ansturm kam nicht nur von Menschen, die die 90er selbst erlebt haben. Auch die Gen Z – aufgewachsen mit Playlists, nicht Plattensammlungen – drängt plötzlich vor die Konzertbühnen dieser Bands. Sie sehnt sich nach einer Ära, die sie nur aus Film, Mode und den Spotify-Algorithmen kennt: nach einer Cool Britannia, die für eine bestimmte Haltung, Stil und musikalische Unverwechselbarkeit stand.
Diese Sehnsucht ist kein bloßes Retro-Spiel. Sie reagiert auf ein Gefühl kultureller Entfremdung. Die Ankündigung des neuen Pulp-Albums „More“ mit dem No-AI-Gütesigel verspricht etwas. Zwischen synthetischen Stimmen, algorithmisch optimierten Refrains und reproduzierbaren Sounds wirkt das wie eine kleine Rebellion. Denn Britpop war nie glatt oder perfekt. Er war roh, ironisch, manchmal größenwahnsinnig. Genau das fehlt vielen heute.
Dabei ist das Neue keineswegs schlechter – im Gegenteil: Selten war Pop so vielfältig und zugänglich. Dennoch wächst neben der permanenten Verfügbarkeit bei vielen auch das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit und klaren Formen. Nach Musik, die nicht perfekt ist, aber persönlich. Genau da knüpfen die Britpop-Bands wieder an. Sie verkörpern nicht nur Musikstile, sondern Haltungen. Ob Jarvis Cockers ironisch-intellektuelle Kunstfigur, Liam Gallaghers rotzige Arroganz oder Damon Albarns melancholisches Erzählen – all das sind Profile, die wieder zu leuchten beginnen, weil sie in ihrer Unverwechselbarkeit ein Gegengewicht zum endlosen Scrollen durch Trends und Empfehlungen darstellen.
Dass die 90er gerade in Mode, Film und Popästhetik ohnehin omnipräsent sind, verstärkt diesen Effekt. Die neue Generation trägt Baggy-Jeans, hört Alben auf Vinyl und zitiert in ihren TikToks gerne VHS-Ästhetik. Der Blick zurück wird dabei nicht nur aus Nostalgie geworfen, sondern auch als Suche nach etwas Eigenem.
Revival mit Fragezeichen
Mit „More“ kündigen Pulp ein Spätwerk an, das vieles verspricht: Eigenwilligkeit, Haltung, Soundspielerei – und einen Jarvis Cocker, der nicht ins Museum gehört, sondern mitten in die Gegenwart. Ob das Album die Erwartungen erfüllt, bleibt offen, aber schon die Ankündigung ist ein Statement für sich. Oasis wiederum ließen erst kürzlich von ihrem Manager klarstellen, dass es keine neue Musik geben wird. Die Shows seien für Menschen, die bisher keine Chance gehabt hätten, die Band live zu erleben. Die perfekte Altersversorge für die Gallaghers sind die Shows ganz nebenbei natürlich auch noch. Trotzdem: Die Fans werden schon dafür sorgen, dass diese Gigs eine einzige Britpop-Messe werden.
Aber ist damit Britpop direkt wieder zurück? Vielleicht nicht direkt als Szene oder Welle, sondern mehr als ein kollektives Verständnis. Als kulturelles Echo einer Ära, in der Pop sich noch klarer positioniert hat, in der Fehlbarkeit zur Attitüde wurde und man sich zwischen Oasis und Blur entscheiden musste, weil es eben etwas bedeutete.
Was bleibt, ist vielleicht eine Generation, die sich wieder spüren will. Zwischen digitaler Überforderung, KI-Debatten und individualisierter Distanz freut sie sich, von schwitzig-herzlichen Fred-Perry-Träger:innen in den Arm genommen zu werden, einen Bierbecher an den Kopf geschmissen zu bekommen und dabei zu singen: „You and I are gonna live forever!“
Aber es gibt eben auch ein neues, jüngeres Publikum, dass die zeitlos hymnische Kraft vieler Oasis-Songs spürt, oder vielleicht versteht, warum das bissige, sozialkritische „Common People“ mehr ist als ein Indie-Klassiker und uns heute noch etwas sagen kann.
Was jetzt vielleicht noch fehlt, sind jüngere Acts, die den Britpop wieder nach vorne bringen. Und auch hier sieht es im Grunde nicht schlecht aus: die irischen Fontaines DC haben dem reinen Post-Punk abgeschworen und empfehlen sie mit Songs wie „Favourite“ und „Starburster“ schon längst für die Britpop-Schublade, die in einem Londoner Pub gegründeten Mên An Tol schlagen auf ihrer Debüt-EP stilistisch eine Brücke zwischen Oasis und The Verve, die Cardinals aus dem irischen Cork spielen britischen Ladrock, der ohne toxische Vibes auskommt und mit Künstlerinnen wie Nia Archives und Rachel Chinouriri gibt es Musikerinnen, die sich offen als Britpop-Fans outen und erklären, dass dieser Spirit einen großen Einfluss auf ihren Songwriter-Pop bzw. ihren Drum’n’Bass-Sound hat.
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