Punk im Kettenhemd und Metal durch die Jazz-Brille
Poison Ruīn – Confrere
Kettenhemden raus und Schwerter geschärft, die Mittelalter-Punks von Poison Ruīn haben uns mit einer neuen EP beglückt! Am Grundrezept der Band aus Philadelphia hat sich seit ihrem gefeierten Album
„Härvest“ (2023) nicht viel geändert: Wir bewegen uns weiter im Schnittfeld von Post- und Anarcho-Punk sowie Hard Rock; wir baden uns weiter in warmen (wenn auch etwas klareren) Lo-fi-Sounds, die uns vergessen lassen, dass wir bereits das Jahr 2024 schreiben.
Standesgemäß wird „Confrere“ der Art von Synth-Intro eröffnet, das bei Unwissenden – zusammen mit ihren Mittelalter-Visuals und Songtiteln wie „Execute“ und „Frozen Blood“ – die Vermutung weckt, bei Poison Ruīn handele sich um eine Dungeon-Synth- oder Black-Metal-Band. Was folgt, sind jedoch 20 treibende, entfesselte Minuten, die eher im Zeichen der Wipers als von Darkthrone stehen.
Darüber hinaus schafft die Band das, was die wenigsten der ästhetisch gleich verorteten Bands schaffen (wollen): ihren altertümlichen Fantasie-Narrativen abseits von reinem Eskapismus eine kontemporäre, gesellschaftskritische Relevanz zu verleihen. „Confrere“ ist nicht zuletzt eine Hymne auf die Freundschaft, auf Solidarität und Kameradschaft im Kampf für eine bessere Welt. Abgesehen davon lassen sich Zeilen wie „Confrere, my comrade, my friend, back to back until we reach the end“ aber auch einfach sehr gut mit erhobener Faust mitgröhlen.
Gel – Persona
Besser als eine neue EP sind natürlich nur zwei neue EPs, deswegen dürfen Gel hier nicht fehlen. Ihr fünf Songs starkes „Persona“ manifestiert ihren Ruf als eine der stärksten jungen Hardcore-Bands da draußen. Seit dem Release ihres Debütalbums „Only Constant“ sind keine anderthalb Jahre vergangen, doch in dieser Zeit hat sich anscheinend einiges getan.
Auf „Persona“ ist erstmals kein Song unter zwei Minuten, und die neu dazugewonnene Spielzeit füllen Gel mit einer Dynamik und einem Facettenreichtum, das man bis dato nicht von der Band kannte. Von den Riffs bis zu den Vocals haben die Überflieger:innen aus New Jersey ganz neue, oftmals melodischere Nuancen von sich selbst entdeckt; Produzent Jon Markson (Drug Church, Drain) hat das Ganze in eine cleanere, fettere, definierte Richtung gelenkt. Dabei klingen Gel jedoch in keiner Sekunde weniger brutal oder ungezügelt als in ihrem „hardcore for the freaks“ der Anfänge.
Mamaleek – Vida Blue
Mamaleek waren ja schon immer was für die Experimentierlustigen, mit ihrem achten Album „Vida Blue“ verlangen sie ihren Hörer:innen jedoch besonders viel ab. Waren zu Beginn ihrer Karriere, vor nunmehr etwa 15 Jahren, noch die Überreste von Black Metal neben unter anderem Trip-Hop, Noise, Post-Rock und nahöstlicher Folklore in ihrem Sound zu definieren, haben sie sämtliche Genres mittlerweile so weit dekonstruiert, dass man angesichts der Freiform und Atonalität weiter Teile dieses Albums primär Parallelen zum Jazz ziehen kann.
„Vida Blue“, benannt nach dem gleichnamigen Baseball-Spieler, ist eine Meditation auf Verlust – angestoßen durch den letztjährigen Tod des Keyboarders Eric Alan Livingston der sonst anonymen Band. Es geht jedoch nicht nur um den Verlust von Menschen, sondern von „Geld, Ruhm, Land, Verstand, des Lieblingssportvereins, und, täglich, des Selbst“, erklären Mamaleek. Die Band navigiert diese wüste Landschaft unter anderem mit gurgelndem Gesang und Geschrei, krächzenden Bläsern, pointierten Gitarrenlicks und improvisatorischem Drumming. Melodien, traditionelle Rhythmen und Songstrukturen geben sie uns zwischendurch nur, um sie anschließend gekonnt auseinanderzunehmen.
Hier gehts zur Hard in Here Playlist:
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Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.

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