Rage Rap: Klingt so die Zukunft des Hip-Hop?
Im Januar 2021 taucht ein kurzer Schwarz-Weiß-Clip auf Trippie Redds Instagram auf. Der Rapper spielt mit Joint im Mund einen neuen Song vor und tanz euphorisch durch das Zimmer. Das Video dauert nur 24 Sekunden, reicht aber aus, um das Internet in Aufruhr zu versetzen. Dieser hymnische Synthesizer-Sound klingt irgendwie neu und so gänzlich anders als die finsteren Piano-Klänge von Pooh Shiestys Überhit „Back In Blood“, der zu diesem Zeitpunkt gerade überall rauf und runter gespielt wird.
Bis „Miss The Rage“ dann wirklich erscheint, ziehen noch weitere vier Monate und diverse Leaks und Snippets des Songs vorbei. Als Trippie Redd dann endlich seine flehenden Fans erhört, schlägt die Single trotzdem ein wie eine Bombe und fungiert seitdem als Blaupause für ein junges Subgenre: Rage Rap.
Feature-Gast auf „Miss The Rage“ ist einer der wohl wichtigsten Pioniere für diesen neuen Stil: Playboi Carti. Der Rapper aus Atlanta sollte Hip-Hop-Interessierten spätestens seit seinem Hit „Magnolia“ ein Begriff sein. Sein Selftitled-Debüt und der viel gelobte Nachfolger „Die Lit“ entstanden Jahre vor der Bezeichnung „Rage Rap“. Trotzdem weisen beide Projekte stellenweise schon Merkmale auf, die heute charakteristisch für diese Musik sind: Kurze, repetitive Loops, dumpfe Trap-Drums, breite Lead-Synths mit verspielten Melodien. Seite an Seite mit Künstlern wie Lil Uzi Vert und Travis Scott hat Carti hier schon früh den Weg für ein neues Subgenre im Subgenre eröffnet, eine Trap-Unterart, die auf explosive Moshpits und Ohrwurm-Hooks setzt.
Weniger Rage als man denkt
Diese Moshpits sind übrigens auch indirekt Namensgeber für den schwammigen Begriff „Rage Rap“. Schon zu Zeiten von „Rodeo“ hat Travis Scott bei seinen Live-Konzerten die „Rage“ herauf beschworen, ein Toben und Ausrasten, weit über das damals übliche, verhaltene Auf-und-Ab-Bouncen hinaus. Heute kennen wir die verheerenden Folgen dieser Zuspitzung des Live-Geschehens durch die Causa Astroworld, trotzdem ist der Begriff „Rage“ längst in der Hip-Hop-Kultur verankert.
So auch bei Trippie Redd, der „Miss The Rage“ wohl in einem Moment der Konzert-Sehnsucht in Zeiten von Pandemie und Isolation geschrieben hat. Für unseren Ausflug in die Welt des Rage Rap ist vor allem wichtig: Diese Musik muss nicht mit Raserei und Ekstase verbunden sein. Die schwammige Bezeichnung kommt schlicht und einfach vom de facto ersten wirklich populären Song in diesem Mikrogenre.
Schon während „Miss The Rage“ nur als kurzes Snippet im Web herum geisterte, fand dieser neuartiger Sound Anklang – bei Fans und Rap-Kolleg:innen gleichermaßen. Trippie Redd baute seine Rage-Blaupause wenig später auf Albumlänge mit „Trip At Knight“ aus, Lil Yachty, UnoTheActivist und sogar Drake versuchten sich an eigenen Entwürfen. Und wie wir schon beim großen Drill-Comeback gesehen haben: Wo Drake gräbt, ist meistens eine Goldader versteckt.
Rage Rap wird allerdings nicht von prominenten Szenegrößen voran getrieben, sondern vor allem von den aufstrebenden Newcomern der nächsten Generation. SoFaygo, SSGKobe, midwxst, $not, TyFontaine, Lancey Foux, Coi Leray – die Liste ist schier endlos.
Die dunkle Seite
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, den unter der Wasseroberfläche hat sich längst ein finsterer Gegenpol zu Trippie Redds euphorischem Sound gebildet. Eine der zentralen Figuren ist hier Yeat. Der Rapper aus Oregon wurde 2021 in die plötzliche TikTok-Viralität katapultiert und ist spätestens seitdem so etwas wie die Speerspitze für einen chaotischen, dämonischen Rage-Sound, dem längst andere Newcomer wie Kankan, Yung Kayo und Autumn! nacheifern. Yeat versteckt sich hinter einem übergroßen „Turban“, hat eine Vorliebe für ständig wechselnde Flows und Stimmlagen und vor allem: Glocken. Viele Glocken.
Rage made in Germany
Noch vor wenigen Jahren hat man die deutsche Rapszene gerne ein bisschen dafür belächelt, den internationalen Trends immer ein Stück weit nachzuhinken. Heute weht da ein ganz anderer Wind. Sobald Künstler wie Yeat auf Soundcloud und TikTok explodieren, schauen Rap-Kolleg:innen aus aller Welt interessiert zu und machen sich Notizen. So auch in Deutschland.
Auch hier greift der Rage-Sound um sich und wird, wie in den USA, vor allem von der jungen Generation aufgegriffen. Schon 2020 hat Pashanim entsprechende Einflüsse auf seinem Song „junge ceos“ durchscheinen lassen, inzwischen manifestiert sich der Trend immer konkreter auf neuen Songs von Okfella, Dante YN, Skrt Cobain und vielen weiteren.
Rage Rap in der Sackgasse?
Aber egal ob Glocken-Gehämmer à la Yeat oder Trippie Redds EDM-Euphorie: Beide Rage-Entwürfe scheinen in ihrer Ausführung eher eindimensional und schnell durchgespielt. Schon bevor der neue Trend überhaupt im großen Mainstream angekommen ist, scheint man alle Synth-Melodien schon ein mal gehört zu haben. Wie sieht also die Zukunft von Rage Rap aus?
Spannende Entwürfe aus aller Welt
Hoffnung liegt vor allem in der Fusion mit weiteren Genres, aus der dieser Sound schließlich selbst entsprungen ist. Schon jetzt nähert sich zeitgenössischer Trap in den Händen von midwxst oder auch der schwedischen Drain Gang um bladee und Ecco2k dem Hyperpop-Trend an. Der Wiener Newcomer Gola Gianni mischt in „Ok Ok!“ blubbernde Elektro-Elemente mit einem Drill-Beat, während der kenianisch-amerikanische Rapper KayCyy sich gleich ganz jegliches Beat-Gerüst spart und energetisch über bloßes 8Bit-Gedudel performt.
Unbekannte Ecken der Synth-Plugins
Rage Rap entspringt einer unwahrscheinlichen Kombination aus EDM-Klängen, Gaming-Nostalgie und psychedelischem Trap aus den Untiefen Atlantas. Dass so etwas um die Ecke kommen würde, war im Opus von Playboi Carti und Lil Uzi Vert rückblickend vielleicht absehbar, trotzdem hat es einen Hit wie „Miss The Rage“ gebraucht, um die Formel für Rage Rap zu definieren. Und auch wenn dieser Baukasten in absehbarer Zeit durchgespielt sein wird: Es gibt genügend benachbarte Genres mit anderen Werkzeugen, an denen man sich kreativ bedienen kann und wird.
Das betrifft nicht nur die eigentlichen Rapper:innen, sondern vor allem deren Produzent:innen. Denn die stoßen dieser Tage in bisher unbekannte (oder verpönte) Ecken ihrer Synth-Plugins vor, hören Musiker wie Zedd, Diplo, Skrillex und sogar The Chainsmokers mit einem ganz anderen Ohr. Rage Rap ist ein kleiner, aber beachtlicher Mauerfall in Sachen Stigmata und wischt Genre-Grenzen mit einem lässigen „Warum denn nicht?“ weg. Für diese Errungenschaften sollten wir das Mikrogenre feiern – ganz egal, wie langfristig es uns begleiten wird.
Mehr Rage Rap findet ihr in unserer Playlist:
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