Sag mir was du hörst, und ich sag dir, ob du ein Arschloch bist?
Vielleicht fragst du dich, warum dieser eine F*ckboy, der dich in deiner letzten Situationship ziemlich links liegen gelassen hat, sein Spotify-Wrapped dieses Jahr nicht auf Instagram geteilt hat. Seine Story vor dir verborgen, hat er ziemlich sicher nicht. Wahrscheinlich hatte der Typ, der sich seine narzisstischen Züge nicht eingestehen will, Gaslighting als ganz normales Gespräch wahrnimmt und das Ganze mit „so bin ich nun mal“ begründet, das Genre „Male Manipulator Music“ in seiner Top-Kategorie. Dabei waren vermutlich auch noch The Smiths, Radiohead, Nirvana oder Mac Demarco und TV Girl unter den Top Artists.
Das wäre nicht nur laut Spotify eine absolut treffende Bezeichnung seiner Persona, sondern auch im Rest der Internetkultur. Denn so oder ähnlich stellt sich das Internet einen „Male Manipulator“ vor. Also Männer, die dich in einer lockeren Beziehung ziemlich dreckig behandeln, psychologisch manipulieren und dabei ein gewisses Klischee erfüllen. Vor allem, was Interessen bezüglich Filmen, Büchern oder eben Musik angeht. Die oben genannten und noch weitere Bands werden zusammengefasst unter dem Begriff „Male Manipulator Music“. Was als Meme begann, ist mittlerweile augenscheinlich bereits ein Subgenre geworden. Aber was genau heißt das und warum ist ein solches Meme vielleicht doch nicht so harmlos, wie es scheint?
Meme oder Subgenre?
Wer bei Google nach „Male Manipulator Music“ sucht, stößt schnell auf Definitionen wie: „Ein Meme, das auf der App TikTok über ein spezifisches musikalisches Subgenre entstanden ist. Der Witz dabei geht ungefähr so: ‚Wenn sie diese Musik hören, dann renn!´“. So steht es auf Urban Dictionary. Know Your Meme wiederum weiß: „Male Manipulator Music bezieht sich auf einen Tweet, der die Leute dazu aufforderte, Musiker:innen zu nennen, die als ‚Red Flags‘ gelten würden, wenn ein:e potenzielle Partner:in sie mag. Der Tweet nannte Beispiele wie Radiohead, The Smiths und Slowdive und bezeichnete sie als ‚male manipulator music‘.“
Ein Meme also, das mich auf Basis meines Musikgeschmacks verurteilt. Aber alles kein Problem, alles harmlos – ist doch nur ein Witz. Irgendwie scheint die Auswahl an Bands, die in besagtes „Genre“ fallen jedoch ziemlich willkürlich. Was macht genau diese Indie-lastige Musik zu einer, die angeblich von Vollzeit-Gaslightern gehört wird? Okay, dieser Begriff würde zugegebenermaßen ziemlich gut in eine Charakterisierung von Morrissey passen. Aber warum ist die Person, die „How soon is now?“ hört, jetzt auch gleichzeitig ein manipulatives Arschloch? Scheint fast wie die altbekannte Frage von „Können wir Kunst und Künstler:in trennen?“. Obwohl das nicht ganz zutrifft, denn was denn Mac DeMarco oder Kurt Cobain getan haben, um diesen Stempel zu verdienen, ist nicht ganz ersichtlich. Also, versuchen wir das ganze mal aufzudröseln.
Was ist denn nun „Male Manipulator Music“?
„Male Manipulator Music“ scheint mehrere Dinge zu verbinden: Neben dem Stil, der meist in eine Indie-Rock Richtung geht, ist zunächst auch die Zeit auffällig, aus der die genannte Musik stammt. Vor allem späte 80er bis frühe 90er-Jahre sind in dem „Genre“ vertreten. Die Artists sind fast ausschließlich Cis-het-Männer und die Songs beinhalten alle ein gewisses Spektrum an Themen. Darunter fallen meist sehr emotionale, melancholische Songs über Nostalgie, Einsamkeit und Isolation bis hin zu Depression. Ziemlich heavy Stuff für ein Meme.
Irgendetwas schein da aber dran zu sein, dass genau diese Bands in die Kategorie „Male Manipulator Music“ fallen. Stellt man sich das genannte Klischee vor, ist es nicht abwegig, dass ein Nirvana-Fan dir samstagabends plötzlich die gesamte Biografie von Kurt Cobain vorträgt, während du einfach nur dein Bier genießen wolltest. Ohne vorauszuschicken, dass diese Manipulation alleine darauf basiert, dass die Person Nirvana hört. Musikgeschmack ist individuell und das ist natürlich das Schöne daran. Bei der Vorstellung von „Male Manipulator“-Typen ist es jedoch eher das „elitäre“ Verhalten und Mansplaining, das die längst überholte Machtstruktur zwischen männlich und allem anderen reproduziert. Und das wird eben durch Musik gemacht. Aber wieso ist das detaillierte Wissen von Andreas über Cobain überhaupt „elitärer“ als das von Sarah über Taylor?
Male Indie-Rock: Eine Elitenkonfiguration
Bands wie The Smiths, The Cure, Radiohead und viele weitere, die unter „Male Manipulator Music” fallen, gehören einem gewissen Kanon an, könnte man schon fast sagen. Ein Kanon, der „gute, qualitative“ von „schlechter, kommerzieller“ Musik unterscheidet. Eine Haltung, die eigentlich die Grenze zwischen Hochkultur und Popkultur zieht. Diese besagt nicht nur, dass die Beschäftigung mit der 16. Sinfonie von Mozart mehr Wert enthält als das Tanzen zum neuen Taylor-Swift-Album. Scheinbar gibt sie auch die Kategorisierung innerhalb von Popkultur vor. „Inhaltsvoll“ versus „inhaltslos“, scheint hier die Einordnung zu sein, denen sich die „Male Manipulator“ bedienen und mit Pseudo-Intellekt versuchen, durch Mansplaining über die tiefere Bedeutung von „Smells Like Teen Spirit“ aufzuklären. Und dabei scheint egal, ob du nun selbst großer Nirvana-Fan bist oder nicht.
Obwohl das alles ein wenig lächerlich wirkt, denn die Songs von Nirvana oder Radiohead zu kennen ist ja nun wirklich nichts Außergewöhnliches und die Texte von Taylor Swift werden ja bereits auf Elite-Unis studiert. Trotzdem bauen sich „Male Manipulator“ eine gewisse Ästhetik mit ihrer konstruierten Identität auf.
Bevor wir hier noch selbst in einen akademischen Ton verfallen: Wir sprechen hier immer noch über ein bewusst überhöhtes Klischee. Aber die Tatsache, dass Manipulation als Meme, als leichtherziger Witz verbreitet wird, bleibt dann doch bedenklich. Gaslighting und Misogynie als „normal“ bis „witzig“ zu betrachten, das schlägt schon kräftig auf den Magen. Ein „Male Manipulator“ zu sein ist nämlich gar nicht so funny, wie TikTok das weismachen will. Eine Romantisierung des verletzten Indie-Boy-Tropes, der sein Trauma an Frauen auslässt – wie originell. Haben wir das nicht schon mit dem Hype um „500 Days Of Summer“ durchgekaut? Sowohl die „Male Manipulator“ als Konsumenten, als auch die männlichen Artists bedienen sich hier einer Opfer-Täter-Umkehr aus dem Buche, was natürlich hervorragend zu dem Manipulations-Narrativ passt.
Eine Gender-Frage?
Aber was genau macht den Mann jetzt zum Manipulator, wenn er Fan von besagten Bands ist: Der Fakt, dass er deren Musik hört, oder die Inhalte der Musik? Vor allem: Was passiert, wenn eine Person eines anderen Geschlechts dieselbe Playlist auf Spotify hört? Ist sie dann auch ein Manipulator?
Tatsächlich hat sich inzwischen, wie das in der Meme-Kultur eben passiert, auch der Begriff „Female Manipulator Music“ herausgebildet. Ganz oben stehen hier in der Liste Lana Del Rey, Marina, Arctic Monkeys oder The Neighbourhood. Hier nehmen jedoch vor allem weibliche Artists die obersten Plätze ein, die ebenso eine melancholische Indie-Note in ihrer Musik vertreten. Jedoch ohne den misogynen Beigeschmack.
Was dabei interessant ist: Sowohl „Male- als auch „Female Manipulator Music“ wird auf TikTok vor allem von weiblich gelesenen Personen kommentiert. Dabei scheint dieses Phänomen ganz nahe an dem Motto „Gaslight, Gatekeep, Girlboss“ zu sein. Nämlich eines, indem Frauen eine ihnen gegenüber toxische Haltung für sich selbst neu definieren. Die meisten Creator:innen auf TikTok präsentieren stolz ihren „Female Manipulator“-Musikgeschmack, während Männer eher mit dem Begriff, entweder von Frauen oder von anderen Männern, gelabelt werden.
Subgenre ohne Substanz
Da eine Namensgebung eines Problems auch immer dabei hilft, darüber zu sprechen, ist es heute leichter, dieses Gespräch zu führen. „Gaslighting“ zu betreiben oder ein „Male Manipulator“ zu sein, darunter können sich die meisten etwas vorstellen. Im Internet wird dieses Phänomen auch nicht ohne Grund reproduziert. Der musikalische Bezug dazu ist aber dann doch ziemlich willkürlich. Gibt es für die Bands The Smiths, Nirvana, Radiohead aber auch Lana Del Rey oder Marina nicht schon Genre-Definitionen? Spotify hat zwar, wie es aus manchen Wrapped-Ergebnissen hervorgeht, aus dem Begriff „Male Manipulator“ eine Genre-Kategorie gemacht, dennoch ist das gesamte Bild dann mehr soziokulturell verankert als musikalisch.
Ein Meme daraus zu machen scheint lustig, ironisch und harmlos. Weil solche Trends eben immer ein Produkt von aktuellen Diskursen sind, steckt mehr dahinter als bloßes Verurteilen von Geschmäckern und Vorlieben. Während eine kritische Auseinandersetzung mit der Kunst, die konsumiert wird, sicher nicht schlecht ist, sollte weniger das Hören von The Smiths abgelegt werden und mehr die Einstellung dazu. Ein Hinterfragen der eigenen Handlungsweisen, vor allem von ebendiesen misogynen „Vollzeit-Gaslightern“ ist sicherlich hilfreicher als ihr Verhalten durch Memes und Witze auch noch zu normalisieren.
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