Sexismus trifft Ageism: „Das ist kein Journalismus. Das ist Mobbing.“
In der Popkultur dreht sich vieles um Veränderung – neue Trends, neue Stimmen, neue Gesichter. Und doch scheint es einen Punkt zu geben, an dem Veränderung nicht mehr willkommen ist: der Moment, in dem Menschen, besonders Frauen, sichtbar älter werden. Ageism – die Diskriminierung aufgrund des Alters – ist dabei nicht einfach ein beiläufiger Kommentar, sondern ein strukturelles Problem. Es spiegelt tiefliegende gesellschaftliche Vorstellungen darüber, wie Frauen zu sein und auszusehen haben. Besonders in der Musikindustrie wird deutlich, wie eng Jugend und Wertschätzung miteinander verknüpft sind – und wie schmerzhaft der Bruch damit sein kann.
Warum fällt es uns so schwer zu akzeptieren, dass Frauen sich verändern dürfen? Warum werden Körper immer noch kommentiert, bewertet, abgewertet? Und wem nützt es eigentlich, diese Narrative immer wieder zu bedienen? Ein Blick auf aktuelle Beispiele zeigt: Es ist höchste Zeit, diese Fragen laut zu stellen.
Garbage feiern ihr Comeback – und sollen aussehen wie vor 30 Jahren?
Die US-Rockband (mit schottischer Sängerin) Garbage ist seit Mitte der 90er aktiv. Während die damals 27-jährige Shirley Manson als große Entdeckung galt, waren ihre Bandkollegen schon musikalische Schwergewichte. Butch Vig hatte kurz zuvor mit Nirvanas „Nevermind“ eines der prägendsten Alben der Grunge-Ära produziert und auch seine Bandkollegen Duke Erikson und Steve Marker waren gestanden und etwas ältere Studiomusiker. Shirley Manson wurde schnell und völlig zurecht zum Star der Band und auch der Garbage-Sound, der grungige Alternativ-Gitarren mit sehr zeitgemäßen Popsounds versöhnte, passte sehr gut in die Zeit. Es waren aber vor allem Mansons Stimme und ihre Lyrics in Songs wie „Queer“, „Only Happy When It Rains“, „Stupid Girl“ oder „I Think I’m Paranoid“, die Garbage besonders machten. Wer genau hinhörte, fand schon damals zahlreiche Lines, in denen Manson teilte, wie es sich anfühlt, zu dieser Zeit Popstar und Frau zu sein.
In den vergangenen Jahren wurde es dann etwas ruhiger um die Fünferformation (obwohl alle paar Jahre noch EPs, Alben und vereinzelten Gigs kamen), da sich die Bandmitglieder zum einen mehr ihrem Privatleben zuwenden wollten. Zum anderen hatte die Sängerin Shirley Manson mit gesundheitlichen Herausforderungen zu kämpfen. Ende Februar dann aber das glückliche Announcement für alle Fans: Garbage kündigten ihr bereits achtes Studioalbum „Let All That We Imagine Be The Light“ für den 30. Mai 2025 an und gaben gleichzeitig Daten für eine Welttournee bekannt. Am 9. April erschien dazu die erste Singleauskopplung „There’s No Future In Opimism“.
Anstatt jedoch das Comeback einer Kultband gebührend zu feiern, erfinden manche Medien Schlagzeilen, die vor allem Aufmerksamkeit erregen sollen: „Ikonische amerikanische Rockband ist nicht wiederzuerkennen auf ihren neuen Albumpromo-Bildern, als sie ihre erste Single promoten“, schreibt die Daily Mail als Headline für ihren Artikel über die Albumankündigung der Band.
Dass hier von qualitativem (Musik)Journalismus nicht mehr die Rede sein kann, ist klar. Dass die britische „Daily Mail“ ein hetzendes Gossip-Blatt ist hoffentlich ebenso. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum bedienen sich Journalist:innen, Medien, beziehungsweise die Öffentlichkeit immer noch daran, Erscheinungsbilder zu kommentieren, um Aufmerksamkeit zu generieren? Und warum scheint sich die „Daily Mai“l darüber zu wundern, dass sich die Personen einer Band, die seit fast 30 Jahren besteht, äußerlich verändert haben? Die Antwort scheint wie so oft der rote Faden der Misogynie zu sein, der sich durch die Musikindustrie zieht.
Sängerin Shirley Manson schreibt selbst einen Tag nach der Veröffentlichung des Artikels dazu auf Instagram: „Nun ja…was eine Schlagzeile gestern von der Daily Mail. Was soll DAS bedeuten?! Die Jungs sehen fast genauso aus wie immer in den letzten dreißig Jahren, also kann ich nicht anders, als zu denken, dass sich das auf mich bezieht. Seht her – ich bin fast sechzig Jahre alt. Natürlich sehe ich nicht mehr so aus wie in meinen späten Zwanzigern?! […] Diese Art von Sprache wird genutzt, um Frauen wie mich in ihre Schranken zu weisen. […] Ich werde weiterhin so altern, wie ich es tue. Ich werde weiterhin Falten bekommen und an manchen Stellen ein wenig schrumpfen, an anderen zunehmen – aber ich werde trotzdem süß aussehen in meinen Pyjamas, mit zerzausten Haaren und ohne Make-up. Und ich werde – egal, wie ich aussehe, egal, was sie über mich sagen – immer härter rocken als die meisten.“
Die Headline des Artikels liest sich dann doch eher wie eine Punchline. Denn abgesehen von der Überschrift wird das Aussehen der Band gar nicht thematisiert. Es folgt stattdessen eine nette Nacherzählung der letzten Meilensteine von Garbage. Klassisches Clickbaiting also.
Bei Ageism geht es nicht um’s „Alt-Sein“
Dass auf Kosten von Frauenkörpern Klicks oder Views generiert werden, ist ein altes Spiel der Massenmedien. Besonders in den 2000er Jahren – in der Hochzeit von Paparazzi-Kultur, Boulevardpresse und Internetforen – wurde das Aussehen prominenter Frauen gnadenlos kommentiert. Man sollte meinen, dass wir heute weiter sind. Schließlich wird in der Kreativindustrie oft von Offenheit, Diversity und Empowerment gesprochen. Doch die Realität zeigt: Ageism ist zäh. Besonders Frauen in der Öffentlichkeit spüren seine Mechanismen nach wie vor deutlich. Und: Die Angriffe beginnen heute wohl noch früher.
Denn natürlich ist nicht nur Shirley Manson von dieser langjährigen Epidemie an misogynen Headlines betroffen. Anfang März reagierte Schauspielerin Millie Bobby Brown auf ähnlich entwürdigende Schlagzeilen. Die damals 21-Jährige, bekannt geworden durch ihre Rolle in Stranger Things, wurde unter anderem mit einem Artikel betitelt: „Warum altern Gen Z’ler wie Millie Bobby Brown so schlecht?“ – wieder einmal von der „Daily Mail“.
In einem Video auf ihren sozialen Kanälen sagt Millie Bobby Brown dazu: „Ich möchte einen Moment nutzen, um etwas anzusprechen, das größer ist als ich selbst – etwas, das jede junge Frau betrifft, die unter öffentlicher Beobachtung aufwächst. Ich habe mit zehn Jahren in dieser Industrie angefangen. Ich bin vor den Augen der Welt aufgewachsen, und aus irgendeinem Grund scheinen die Menschen nicht mit mir erwachsen werden zu können. Stattdessen erwarten sie, dass ich eingefroren in der Zeit bleibe – so aussehe wie damals in Staffel 1 von ‚Stranger Things‘. Und weil ich das nicht tue, bin ich nun ein Angriffsziel.“
Sie schloss ihr Statement mit klaren Worten ab: „Das ist kein Journalismus. Das ist Mobbing.“ Millie Bobby Brown bringt damit auf den Punkt, was viele erleben: Ein weiblicher Körper wird zum öffentlichen Gut erklärt. Jede Veränderung – sei sie altersbedingt oder einfach Ausdruck persönlicher Entwicklung – wird bewertet, kritisiert oder pathologisiert.
Reflexion als Schwäche?: Der Umgang mit Selena Gomez
Auch Selena Gomez erlebte kürzlich, wie schnell die Öffentlichkeit Frauen Gefühle von Unsicherheit und Unzulänglichkeit vorwirft – selbst, wenn sie diese ehrlich thematisieren. Nachdem sie ein Selfie postete, auf dem sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „ALL THE GIRLS AT THIS PARTY ARE YOUNGER AND HOTTER THAN ME“ trägt (eine Zeile aus ihrem neuen Song „Younger and Hotter Than Me“), folgte ein Shitstorm. Manche warfen ihr „Selbstmitleid“ oder eine „Pick-Me-Mentalität“ vor.
Dabei verkannten viele, worum es ihr ging: In „Younger and Hotter Than Me“ reflektiert Selena genau die Mechanismen Hollywoods, in denen junge Frauen schnell ausgetauscht werden – und wie schmerzhaft es sein kann, dabei zuzusehen, wie die eigene Relevanz an Oberflächlichkeiten gemessen wird.
Fans verteidigten Gomez mit Nachdruck: „‚Younger & Hotter‘ handelt buchstäblich davon, dass Disney-Channel-Stars gegen noch jüngere und hübschere ersetzt wurden – und ihr verdreht es so? Kein Wunder, dass ehemalige Kinderstars nie offen sprechen.“
Der Umgang mit Selena Gomez macht deutlich: Gesellschaftliche Erwartungen an Frauen in der Öffentlichkeit sind nicht nur rigide, sondern widersprüchlich. Veränderung, insbesondere das natürliche Älterwerden, wird nicht als selbstverständlich hingenommen, sondern bewertet. Selbst wenn Betroffene den Druck thematisieren, unter dem sie stehen, wird ihnen Authentizität abgesprochen. Damit wird nicht nur die individuelle Erfahrung entwertet, sondern auch ein System stabilisiert, das Frauen für ihr Altern bestraft – während es gleichzeitig Authentizität und Offenheit einfordert.
Wem nützt Ageism?
Ageism – insbesondere gegenüber Frauen – ist dabei kein zufälliges Phänomen, sondern erfüllt eine zentrale Funktion: Es hält bestehende Machtstrukturen aufrecht, indem es Unsicherheit sät. Wer ständig Angst davor haben muss, nicht mehr zu „genügen“, ist leichter zu manipulieren – als Konsumentinnen, als Künstlerinnen, als öffentliche Figuren. Wer damit beschäftigt ist, den eigenen Körper und das eigene Altern zu kontrollieren, hat weniger Raum, bestehende Normen zu hinterfragen oder die eigene Position selbstbewusst zu gestalten. Gerade Industrien wie der Musik- und Unterhaltungsbranche, die von der Vermarktung bestimmter Schönheitsideale lebt, hat ein Interesse daran, diesen Druck zu verstärken und aufrechtzuerhalten.
Je sichtbarer Frauen werden, die sich offen gegen diese Mechanismen stellen, desto stärker geraten diese Strukturen ins Wanken. Darum sind Stimmen wie die von Shirley Manson, Millie Bobby Brown und Selena Gomez so entscheidend: Sie benennen die Strukturen, entlarven die damit verbundenen Erwartungen – und verweigern sich bewusst der Rolle, die ihnen zugeschrieben werden soll.
Hört auf, unsere Körper zu bewerten!
Es ist längst überfällig, dass die Öffentlichkeit versteht: Frauenkörper sind keine öffentlichen Projekte, keine Trends und nichts, worüber es eine Meinung zu haben gibt. Sie sind keine Objekte der Bewertung, keine Symbole für Erfolg oder Verfall. Sie gehören den Frauen selbst. Mit deren Bewertung muss aufgehört werden. Nicht, weil es „nett“ wäre – sondern weil es schlicht und einfach niemanden etwas angeht.

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