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Dress to Impress: Was steckt hinter dem Hype um Tour-Dresscodes?

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Ob glänzende Cowboystiefel bei Beyoncé oder pinke Hüte bei Chappell Roan. Wer in den letzten Monaten ein Konzert besucht hat, kam kaum daran vorbei: Künstler:innen geben ihren Shows nicht nur musikalisch, sondern auch modisch das Motto vor. Die Konzertgarderobe ist längst Teil einer kollektiven Inszenierung geworden. Ein visuelles Statement des Fandoms, das weit über klassische Fan-Shirts hinausgeht.

Auch im deutschsprachigen Raum wird die Bühne zum Laufsteg. Ob bei Shirin Davids „Schlau aber blond“-Tour, oder bei Kayla Shyx, die zum „Sad Baddie Summer“ lädt. Auch Newcomer:innen wie Ellice begrüßen ihr Publikum mit floralem Dresscode und Coquette-Vibes. Dresscodes auf Tour sind kein Gimmick mehr, sondern ein fester Bestandteil der Live-Experience. Fans kleiden sich nicht nur passend zum Sound, sondern performen ein Gefühl. Das Commitment zum Outfit wird zum Mittel, um sich sichtbar zum Fandom zu bekennen und gleichzeitig die Chance, in einer Crowd herauszustechen.

Aber was steckt hinter dem Dresscode-Hype? Wieso funktionieren diese Mottos so gut? Und inwiefern verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Empowerment, Gruppenzugehörigkeit und kommerziellem Kalkül? Dieser Text versucht, das Phänomen zwischen Mode, Musik und Identität aufzudröseln, mit einem Blick auf globale wie lokale Stars.

Fashion as Fandom: Wenn Artists den Look vorgeben

Der Popstar wird zum Stylisten. Artists machen nicht nur Musik, sondern geben mit klarer Ansage eine visuelle Identität vor. Mal heißt es „Sad Baddie Summer“, mal „Kink Is Karma“. Die Mottos werden auf Social Media geteilt, in Fan-Communities weitergetragen und kreativ interpretiert. Was auf den ersten Blick nach PR aussieht, ist oft Teil einer durchdachten Ästhetik: ein Gesamtkonzept aus Sound, Look und Attitude. Das zeigt sich international etwa bei Harry Styles, der mit Stylist Harry Lambert eine schillernde Glam-Ästhetik kultiviert hat, die zwischen Camp, Couture und Boyband-Remix changiert, und dabei längst auch sein Publikum prägt.

Chappell Roan etwa wird von Genesis Webb gestylt, die aus Vintage-Stücken und Drag-Aesthetic eine visuelle Welt zwischen Glam und Poptheater schafft. Klar, dass diese Outfits nicht nur auf der Bühne strahlen, sondern auch zur Gesamtästhetik beitragen, die die Fans auch prompt übernehmen.

Shirin David setzt dagegen auf Design-Elemente großer Namen wie Dolce & Gabbana oder Anne Isabella, die mal im Y2K-Remix, mal in Streetwear-Couture glänzen. Mit Stylistin Rachael Rodgers setzt sie Looks um, die die aktuelle High-Life -Attitüde ihres letzten Albums „Schlau aber blond“ perfekt inszenieren.

Viele der hier genannten Artists haben nicht erst zur Tour eine visuelle Sprache entwickelt, sondern kultivieren ihre Looks schon seit Jahren über Musikvideos, Red-Carpet-Momente oder Merch-Drops. Das Fandom ist mitgewachsen und reagiert entsprechend kreativ. Der Dresscode ist also nicht nur Styling-Anleitung, sondern Teil der Artist-Identität.

Zugehörigkeit durch Stil

Was früher durch Fan-Shirts oder DIY-Merch ausgedrückt wurde, funktioniert heute über eine andere Ästhetik. Tour-Dresscodes erzeugen ein kollektives Gefühl von „Wir“, das über geteilte visuelle Codes funktioniert: Farben, Schnitte, Make-up. Und dafür müssen sie noch nicht einmal explizit ausgesprochen werden.

Was vielleicht schon bei Taylor Swifts Eras-Tour mit selbstgebastelten Freundschaftsarmbändern begann, zieht sich immer weiter fort in den großen Arena-Konzerten. Bei Acts wie Troye Sivan, Sabrina Carpenter oder Charli xcx gibt es vor allem seit vergangenem Sommer, der als Brat-Summer in die Geschichtsbücher einging, auffällige Looks im Publikum. Fans stylen sich im offiziellen „Brat-Grün“ und fühlen ihre Outfits denen der Artists nach. Kurze Röcke und Lederelemente sind quasi ein Muss.

Beyoncé spielt dabei ganz vorne mit: Bei ihrer letzten Welt-Tournee dominierte ein inoffizieller Dresscode aus Glitzer, Cowboy-Boots und Denim, der als Anspielung auf ihr aktuelles Album „Cowboy Carter“ funktionierte. Dafür ließ sich auch direkt die passende Marke mit ins Boot holen: Denn Levi’s benannte für ihre Beyoncé-Kollaboration sogar ihr Logo in „Leviis“ um; ein Augenzwinkern an ihren Song „Levii’s Jeans“ mit Post Malone.

Die visuelle Harmonie erzeugt Intimität im großen Raum. Fremde Menschen fühlen sich für ein paar Stunden über Look, Haltung und unausgesprochene Fan-Referenzen verbunden. Und gleichzeitig wird sichtbar: Pop ist mehr als Musik. Und Fandom mehr als Songs zu hören. Aus all dem entsteht eigene Sprache, ein System aus Zeichen, das sich durch Konzert-Dresscodes und auch über Kleidung erzählt.

TikTok, Instagram und das performende Publikum

Der digitale Raum verstärkt den Effekt: TikTok-Reels wie „Get Ready With Me für Shirin David“ oder „Chappell Roan Tour Look“ boomen in den Netzwerken. Die Künstler:innen reagieren mit Reposts, kommentieren Outfits, teilen Reaktionen in ihren Stories. Pre-Concert-Rituale werden dokumentiert und ästhetisiert. Die Grenze zwischen Bühne und Feed verschwimmt: Fans werden selbst zur Show – als wandelbare, diverse, aber visuell einheitliche Crowd. Wer sich besonders kreativ stylt, hat Chancen auf Sichtbarkeit und digitale Anerkennung. Die Motivation ist dabei nicht nur emotional oder fandom-getrieben, sondern auch algorithmisch aufgeladen.

Empowerment vs. Erwartungsdruck

Aber nicht alles an dem inszenierten Fan-Dressup ist unkritisch zu betrachten. Was für viele Fans wie ein empowernder Moment wirkt, um sich selbst Ausdruck zu verleihen, kann auch Druck erzeugen. Vor allem, wenn bestimmte Ästhetiken mit Konsum und Körperbildern verbunden sind. Wer sich keinen neuen Look leisten kann oder nicht dem idealisierten TikTok-Type entspricht, fühlt sich vielleicht schnell außen vor. Das kollektive Styling, das so inklusiv wirkt, kann dadurch ungewollt exkludierend werden. Denn auch wenn es keinen offiziellen Dresscode gibt, entsteht schnell ein impliziter. Wer nicht „mitspielt“, wirkt wie ein Fremdkörper im Meer der „Brats“.

Auch das ist Teil des Popkultur-Paradoxons: Die Ästhetik wirkt offen, aber ist oft hochgradig kodiert. Die Frage bleibt: Wo verläuft die Grenze zwischen empowernder Performance und sozialem Druck?

Kurzer Rückblick: Gab’s das nicht schon früher?

Ganz neu ist die Idee natürlich nicht. Auch in den 90ern und 2000ern kleideten sich Fans Britney-mäßig im Schulmädchen-Look, trugen Band-Shirts oder färbten ihre Haare à la Gwen Stefani. Aber der Unterschied liegt im Kollektiv: Heute passiert es organisierter, bewusster und meist online. Social Media gibt Dresscodes eine Reichweite, die früher nur Fanforen oder Plattformen wie MTV hatten. Die Ästhetik ist nicht mehr regional oder szenespezifisch, sondern global zugänglich und schnell reproduzierbar.

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Kleidung als Pop-Katalysator

Tour-Dresscodes zeigen, wie fließend die Grenzen zwischen Künstler:in und Publikum, zwischen Performance und Realität, Mode und Musik geworden sind. Wer sich für Harry Styles in Quiet Luxury oder Pastell-Looks kleidet, schlüpft für einen Abend in eine visuelle Rolle. Nicht als Kopie, sondern als Hommage und als Teil eines popkulturellen Rituals.

Pop wird immer visueller und Mode immer performativer. Vielleicht ist es mehr als ein Trend, sich wie sein:e favorite Artist zu kleiden. Vielleicht ist es auch ein Moment des Mutes, ein eigenes Statement im Schutz der Crowd. Zwischen Glitzer-Cowboys, Sad Baddies und Pink Pony Girls.

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