Meine Lieblingsbands verlassen Spotify – was sagt mir das?
Wenn ich die Top 10 der besten Clubkonzerte des letzten Jahres aufstellen müsste, wären zwei Gigs todsicher dabei: Deerhoof im SO36 im Februar 2024 und Godspeed You! Black Emperor im Oktober 2024 (hier gibt es meinen Nachbericht). Beides Bands mit einer reichen Geschichte, einem umfassenden Werk und einem spürbaren Indie-Vibe: Was hier nicht die Musik meint, sondern tatsächlich den eigentlichen Ursprung der Wortnutzung im Musikbereich: Sie sind auf Independent-Labels zuhause, schaffen es recht faire Ticketpreise aufzurufen und Godspeed kriegen es sogar bei jeder Tour wieder hin, qualitativ hochwertige Shirts mit faszinierendem Design für 25 Euro anzubieten.
Nicht viele, aber nicht unbedingt kleine Bands verlassen den Marktführer
Aber ich schweife ab. Beide Bands haben kürzlich Schlagzeilen gemacht, weil sie einen Schritt wagen, den viele als kommerziellen Schuss ins Knie bezeichnen würden. Sie verlassen Spotify. Und damit sind sie nicht alleine: Auch Jamie Stewarts fantastische Band Xiu Xiu (die zur letzten Platte noch bei uns im Interview waren) und King Gizzard & The Lizzard Wizard haben diesen Schritt verkündet. Bei all diesen Bands handelt es sich zwar nicht um Streaming-Charts-Top-10-Acts, aber sie alle haben über die Jahre einen umfangreichen Back-Katalog angesammelt – und King Gizzard zum Beispiel ein paar „Hits“, die zwischen 20 und 50 Millionen Streams verbuchen können. Bei Godspeed dürfte es ähnlich aussehen: Sie tauchten in zahlreichen Instrumental-Playlisten auf und hatten Songs wie „East Hastings“, der dank seines Einsatzes in der besten Szene des Kultfilms „28 Days Later“ Streams in zweistelliger Millionenhöhe gesammelt hatte. Eine Entscheidung wie diese hat also definitiv finanzielle Konsequenzen, selbst wenn all diese Bands im Kern eine eher analog tickende Fangruppe haben, die auch noch Platten, Merch und Konzerttickets kauft.
Die Gründe des Ausstiegs sind nicht unbedingt (nur) finanzieller Natur
Interessant wird es bei den Gründen für den Ausstieg: Spotify selbst hat erst kürzlich im diesjährigen „Loud & Clear“-Bericht offengelegt, dass man im vergangenen Jahr fast 60 Milliarden US-Dollar „an die Musikindustrie ausgeschüttet“ habe. Mehr als jemals zuvor. Und ja, keine Frage: Einige Acts – auch welche, über die wir oft schreiben – profitieren sehr von diesem Modell und der Sichtbarkeit bzw. Verfügbarkeit, die Spotify gewährleisten kann. Andere Zahlen der letzten Jahre zeigen, dass Spotify unter den etablierten Streamingdiensten (Tidal, Apple Music, Deezer, Amazon Music) mit am schlechtesten pro Einzelstream zahlt. Kleinere Indiekünstler:innen trifft es außerdem, dass Spotify erst ab 1000 Streams pro Jahr überhaupt Auszahlungen macht. Dass dieses System, das mit Hilfe der großen Plattenfirmen aufgebaut wurde, im Indie-Game nicht funktioniert und viele kreative Menschen ihre Arbeit entwertet sehen, rumort schon länger in unserer Bubble – wobei sich der Unmut hier natürlich nicht nur gegen Spotify richtet. Es hilft auch nicht, dass Spotify und andere wenig bis gar nix gegen K.I.-generierte Musik machen, wie man zuletzt am Fall der „Band“ The Velvet Sundown sehen konnte (den wir hier ausführlich erklären).
Diese Faktoren muss man mitdenken, wenn man auf die aktuellen „Austritte“ schaut – die übrigens noch nicht alle vollzogen sind, weil es technisch und rechtlich gar nicht so leicht ist, das zu erwirken. Deerhoof, Xiu Xiu und King Gizzard & The Lizzard Wizard nennen für ihr „Fuck Spotify!“ alle ein privates Investment von Spotify-Gründer und CEO Daniel Ek als Hauptgrund. Ek ist nämlich nicht nur Mr. Spotify sondern auch einer der reichsten Männer der Welt: Laut Forbes, Stand Mai 2025, wird er mit einem Nettovermögen von knapp über neun Milliarden Dollar bewertet. Daniel Ek ist aber auch Investor: Er gründete vor einigen Jahren den Investment-Fonds Prima Materia – mit dem in London lebenden „Business Angel“ Shakil Khan. Khan ist der Typ Mann, der sich selbst solche Sätze ins LinkedIn-Profil schreibt: „He is one of the most influential business people on the planet. His wisdom stretches across dozens of areas of expertise. He’s a role model.“ Auf der Website des Fonds steht ausdrücklich, es gäbe keine Verbindung zu Spotify. Was vielleicht buchhalterisch betrachtet stimmt, aber natürlich Quatsch ist, denn die Tatsache, dass der Spotify-Gründer, der durch Spotify reich wurde, einen beträchtlichen Teil seines Geldes in Prima Materia packt – das ist ja schon eine Verbindung.
KI-Drohnen sind die Zukunft – Daniel Ek gefällt das
Deerhoof, Xiu Xiu, Godspeed You! Black Emperor und King Gizzard & The Lizzard Wizard stört vor allem, dass Ek einer der Hauptinvestoren einer Münchener Firma namens Helsing ist. Helsing produziert Soft- und Hardware für K.I.-betriebene Waffensysteme. Der Bestseller ist gerade die „HX – 2“ (https://helsing.ai/de/hx-2), eine „AI Strike Drohne“, die zur genannten „lauernden Munition“ gehört, die sich in einen Luftraum schleichen kann, um dann – K.I.-gesteuert, allerdings mit einem menschlichen Operator – ihr Ziel zu zerstören. Die ukrainischen Streitkräfte sind gerade sehr dankbar über diese Waffen.
Und spätestens hier wird es moralisch vertrackt: Es ist nun mal leider eine Tatsache, dass auch den Menschen in Europa spätestens seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine klar ist, dass Pazifismus und Weltfrieden nur funktionieren würden, wenn alle mitmachen. Ek und auch die Geschäftsführung von Helsing argumentieren also – mit Teils blumigen Worten – dass man vor allem die Demokratie verteidigen wolle und man sich entsprechend rüsten müsse. Was sicher stimmt – aber eben auch nichts daran ändert, dass man Soft- und Hardware baut für Geräte, die ohne großes emotionales Zutun lernen, wie man am besten Menschenleben auslöschen kann.
Spotify funktioniert leider für User:innen ziemlich gut
Auch auf der kleineren Ebene ist diese Diskussion tricky: Ich nutze Spotify gerne, ich schätze viele Menschen, die bei Spotify Deutschland arbeiten und zweifelsfrei im Herzen Musikfans sind, die Gutes für die Künstler:innen rausholen wollen. Immer, wenn ich in der Berliner Spotify-Zentrale war, spürte ich gute Vibes. Ich konnte sogar schonmal die sehr fähige und sympathische Deutschland-Chefin interviewen und habe dort einen Talk zum „Mental Health Day“ moderiert. Trotzdem hören wir in unseren Interviews mit zahlentechnisch „kleineren“ Acts oder Newcomer:innen auch immer wieder, dass sie zunehmend an einem System verzweifeln, an dem für kreativen Menschen nur die Krümel vom Kuchen übrigbleiben.
Deshalb frage ich mich seit einigen Wochen, ob ich meinen Lieblingsbands folgen soll – und merke dabei leider, dass ich rein technisch betrachtet ein überwiegend zufriedener Kunde bin. Als Musikjournalist hilft Spotify immer wieder für einen Eindruck eines Newcomers, ich schätze das einfache Zusammenschieben der Playlisten, verbinde es gerne mit dem Autoradio und ärgere mich nur manchmal, wenn mir mein Release Radar wieder spürbar gekaufte Kacke reinmogeln will. Außerdem gehe ich gerne auf stilistische Tauchgänge und bin auch nach Jahren des Streamingzeitalters immer noch begeistert, wie schnell man hier mal ausnahmsweise richtig im Internet abbiegen kann und neue Musik entdeckt. Das geht bei Spotify besonders gut von der Hand.
Und trotzdem: Es bleibt dabei, dass Spotify recht übersichtlich zahlt und mit der Entscheidung Streams unter 1000 nicht auszahlen zu wollen, kleinen Artists ins Gesicht spuckt. Auch wenn das nur ein paar Cent wären – hier geht es schließlich ums Prinzip. Spotify macht außerdem gerade zum ersten Mal seit Jahren Gewinn – und das liegt vermutlich auch an solchen Entscheidungen. Und vielleicht an der Tatsache, dass sie nicht mehr jedem dauersabbelndem Podcast-Bro-Duo Scheine hinterherwerfen – aber das ist eine andere Geschichte.
Spotify ist eben auch nicht an allem Schuld
Es ist natürlich zu kurz gegriffen, hier nur den Marktführer zu attackieren. Bei einigen Streaminganbietern sieht es auch nicht besser aus – und das Problem liegt tiefer in der Musikindustrie. Die war – zumindest auf Major-Label-Ebene – sehr clever, nach den digitalen Piratenjahren hier wieder ins Oberwasser zu kommen. Was auch erklärt, warum Godspeed eigentlich alle Streaminganbieter hinter sich lassen – außer Bandcamp, das eher wie ein digitaler Plattenladen funktioniert.
Ich habe meinen Entscheidungsprozess noch nicht ganz abgeschlossen, aber die Tatsache, dass Spotify jetzt auch noch die Preise erhöht – und nicht hat verlauten lassen, dass dieses Plus in höhere Streaming-Vergütungen fließt – macht die Sache vielleicht einfacher. Auch Interviews mit Daniel Ek „helfen“ mir: Der Typ ist kein Musikfan, der ist ein Tech-Bro und Investor – nicht so schlimm wie andere, aber eben auch kein Sympath, dem man sein Herzensthema Musik anvertrauen will.
Kleine, zynische Schlusspointe zum Ende: Der meistgestreamte Song von Deerhoof bei Spotify heisst übrigens „Your Dystopic Creation Doesn’t Fear You“. Ein Satz, den Skynet … äh … Helsing … hoffentlich als Reminder in der Firmenzentrale hängen hat.

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